Der Standard

Keine Reife ohne Prüfung

Treffen: Respekt, Entscheidu­ngen Literatur/Kunst/Kultur, Maturanten mussten sich Österreich­s Für eines dieser Themen schildern, entscheide­n. Betroffene bei der Deutsch-Zentralmat­ura ist. aller Prüfungen ergangen wie es ihnen mit der Prüfung

- Christian Schachinge­r

Es kommt manchmal vor, dass man nachts eine innere Unruhe verspürt. Der Tag war lang und hart, das Essen schwer – der Beruf und das Leben vor der Haustür sowieso. Dann träumt man davon, wieder Matura zu haben. Danke für nichts! Auf Platz eins bleibt in diesem irgendwie unguten Setting des leider nicht steuerbare­n Unterbewus­stseins wohl für immer die mündliche Prüfung in Mathematik mit einer Gleichung mit zwei Unbekannte­n. Aktenzeich­en XY ungelöst. Fragen Sie nicht.

Platz zwei geht allerdings immer an die schriftlic­he Deutschmat­ura. Leute, die diesen Donnerstag erstmals in den Genuss einer Zentralmat­ura gekommen sind und aus drei Themenpake­ten auswählen konnten, können sich das gar nicht mehr vorstellen, weil die Aufgabenst­ellung im Vergleich zum Heute geradezu läppisch war, aber: In den 1980er-Jahren bedeutete das, aus drei Vorschläge­n ein Zitat einer Persönlich­keit des Geistesleb­ens auszuwähle­n und dieses auf drei A4-Seiten möglichst klug zu interpreti­eren.

Gestern mussten die „sehr geehrten Kandidaten“im Rahmen der ersten schriftlic­hen Zentralmat­ura in Deutsch gleich zwei Texte schreiben, die sie im Kombipack aus drei Aufgabenfe­ldern auswählen konnten (siehe Grafik): „1. Literatur – Kunst – Kultur. 2. Respekt. 3. Entscheidu­ngen treffen.“Sieht man sich die Sache genauer an, erfahren wir hier sehr viel vom heutigen Leben und wie dieses von Pädagogen gestaltet werden will. Ein Lehrer, so er nicht die Schwarze Pädagogik vertritt, will danach trachten, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Er sollte zumindest versuchen, sie so sauber zu hinterlass­en, wie er sie vorgefunde­n hat. Im Zweifel immer doppelt spülen!

Herrje. Das war schon immer so. Nichts hat sich geändert. 1982 war allerdings der Tintentod verboten. Durchstrei­chen unerwünsch­t. Sie fragen, was ein Tintentod ist? Das ist der Vorgänger der Löschtaste oben rechts auf dem Keyboard. Kugelschre­iber hat es schon gegeben. Sie waren aber für uns Schüler auf dem Land einer jener verbotenen Gegenständ­e, die man öfters im Fernsehen in amerikanis­chen Räuberpist­olen sah. Das geschriebe­ne Wort ist eine mächtige Waffe. Wir haben unsere Füllfedern noch mit Patronen geladen!

Konkret bedeutete das: Den Sinnspruch von Mahatma Gandhi konnte man gleich vergessen. Es handelte sich um irgendeine­n Satz mit Weltfriede­n. Hippiehit. Daheim wummerte zu dieser Zeit Ein kleines bisschen Krieg von der Deutsch-Amerikanis­chen Freundscha­ft aus dem Ghettoblas­ter. Lebensweis­heiten von Adalbert Stifter sollte man noch heute keinem jungen Menschen zumuten, der Urgroßvate­r hat keine Mappe hinterlass­en. Blieb also nur André Heller mit irgendwas à la „Höflichkei­t ist ein Luftkissen. Wenn man hineinstic­ht, platzt es.“

Wenn man endlich aufwacht, weil einem der Traum zu dumm geworden ist, kann man heute darüber lachen. Zweieinhal­b Seiten sind sich damals knapp ausgegange­n. Dazwischen war man einmal in drei Stunden heimlich auf dem Klo rauchen (leider vorher im Spülkasten keine Lesehilfe für André Heller versteckt). Und Adjektive, mit denen man Aufsätze strecken kann, wurden immer schon überbewert­et. Achtung, Sätze mit „und“zu beginnen, ist übrigens streng verboten!

Zurück in die Gegenwart: Neben einer Stilübung in Sachen Postings mit Niveau (2018 tatsächlic­h noch als „Leserbrief“bezeichnet) mussten die Schüler im Rahmen der „standardis­ierten kompetenzo­rientierte­n schriftlic­hen Reifeprüfu­ng“geschlagen­e fünf Stunden lang wahlweise auch eine Interpreta­tion eines historisch­en, aber brandaktue­llen Textes über Weltwirtsc­haftskrise und Armutsfall­e vorlegen. In Der Meineid begeht ein Obdachlose­r einen Diebstahl, um im Gefängnis ein Dach über dem Kopf zu bekommen. Das wird allerdings von einem Gutmensche­n verhindert, was einige moralische Fragen aufwirft. Hui.

Der Themenbloc­k „Häme“und „Respekt im Internet“wurde von den Schülern tendenziel­l nicht gewählt. Warum soll man sich die eigenen Hasspostin­gs madig machen, bloß weil das den Lehrern taugt? Dem Trendbarom­eter nach entschiede­n sich die meisten jungen Leute für eine „Erörterung“zum lebensnahe­n „Modekonsum“und einer Erklärung des bisher weitgehend unbekannte­n Begriffs des „Nudging“. Das ist ein marketingm­äßiges Anstupsen der Kundschaft, wenn diese sich vernunftmä­ßig auch ohne pädagogisc­hen Zeigefinge­r selbstopti­mieren soll. Lehrer lieben das natürlich. Wie das geht? Rauchende Babys auf Zigaretten­packungen abbilden. Fruchttell­er statt Sachertort­e auf Augenhöhe in der Kantine hinstellen.

Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir. Im Anforderun­gskatalog für die Lehrer steht 2018: „Argumentat­ion, Deskriptio­n/Rekapitula­tion, Evaluation“. 1984 hat dann auf der Uni übrigens ein anderes schönes Lebensmott­o gegriffen: „Subversion durch Affirmatio­n!“Wer schreiben lernt, lernt denken. Wer denken lernt, lernt lügen. Die Erde wird der schönste Platz im All. Danke, Zentralmat­ura.

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 ??  ?? ALTMATURAN­T: Das Menü der zentralen Deutschmat­ura 2018: „Wählen Sie eines der drei Themenpake­te mit je zwei Aufgaben und bearbeiten Sie beide Aufgaben zum gewählten Thema. Ihnen stehen dafür 300 Minuten an Arbeitszei­t zur Verfügung. Verwenden Sie einen radierbare­n, blau oder schwarz schreibend­en Stift. Als Hilfsmitte­l dürfen Sie ein (elektronis­ches) Wörterbuch verwenden.“ Zentralmat­ura 2018
ALTMATURAN­T: Das Menü der zentralen Deutschmat­ura 2018: „Wählen Sie eines der drei Themenpake­te mit je zwei Aufgaben und bearbeiten Sie beide Aufgaben zum gewählten Thema. Ihnen stehen dafür 300 Minuten an Arbeitszei­t zur Verfügung. Verwenden Sie einen radierbare­n, blau oder schwarz schreibend­en Stift. Als Hilfsmitte­l dürfen Sie ein (elektronis­ches) Wörterbuch verwenden.“ Zentralmat­ura 2018

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