Der Standard

Managerprä­sident und Start-up-Kanzler

Sebastian Kurz und Emmanuel Macron, die am selben Tag nach der Macht griffen, sind sich in vielem ähnlich – auch in dem, was sie nicht tun.

- ZWISCHENBI­LANZ: Christoph Prantner

Blankpolie­rte Kürassiere, glänzende Limousinen und zwei junge Herren in gut geschnitte­nen Anzügen, die auf den Treppen vor dem Élysée-Palast um die Wette strahlen. Es ist Mitte Jänner. Sebastian Kurz ist seit ein paar Wochen Bundeskanz­ler der Republik Österreich. Es sind die Tage, in denen der Meister der Symbolpoli­tik seiner noch jungen Amtszeit auch internatio­nal Geltung und Glamour verleihen will. Seine erste Auslandsre­ise hat er nach Brüssel gemacht. No na. Die zweite führt ihn nicht etwa ins urfade Bern oder nach Berlin, wo die eben wiedergewä­hlte Angela „Mutti“Merkel dabei ist, eine Koalition aus dem Geist freudloser Notwendigk­eit zu bilden. Stattdesse­n fährt Kurz nach Paris, zum flamboyant­en Emmanuel Macron.

Die beiden Herren werden gelegentli­ch als politische Komple- mentäre beschriebe­n. Und tatsächlic­h ähneln sie sich in vielen Belangen: Beide können Stimmungen in der Bevölkerun­g lange vor allen anderen erspüren. Beide sind hochintell­igent und extrem machtbewus­st. Beide denken strategisc­h, sind pragmatisc­h und kontrollie­ren ihre Umgebung und ihre Agenden bis ins kleinste Detail. Und schließlic­h, bei beiden stellen sich gar nicht so wenige Beobachter die Frage: Hat das Substanz, oder sehen wir bloß perfekt konstruier­te Marketingo­berflächen, auf die dankbare Wählerinne­n und Wähler ihre Sehnsüchte und Wünsche projiziere­n? Was ist Sein, und was ist Schein?

Transforma­tive Politiker

Angetreten ist Kurz wie Macron mit dem Anspruch, zumindest Reformpoli­tiker zu sein. Aber eigentlich wollen sie mehr: Sie wollen die aus ihrer Sicht überkommen­en Strukturen in Österreich und Frankreich aufbrechen, ihren Ländern eine neue Richtung ge- ben, in Wien und Paris das sein, was die Amerikaner in ihrem Land „transforma­tive Präsidente­n“nennen. Das sind Staatsmänn­er, die nach dem Ende ihrer Amtszeit ein tatsächlic­h veränderte­s Land hinterlass­en.

Wo Kurz und Macron sich unterschei­den, ist ihr Stil: Dort der distinguie­rte Absolvent der französisc­hen Elitenschm­iede École nationale d’administra­tion und frühere Investment­banker, der seine Präsidents­chaft als eine Art Management­aufgabe begreift (siehe Analyse auf Seite zwei). Da der leutselige ehemalige Jus-Student, der das althergebr­achte System Österreich quasi disruptiv aufgebroch­en hat und mit einem neuen politische­n Businessmo­dell zu einer Art Start-up-Kanzler geworden ist.

Echte, politisch weitreiche­nde Ergebnisse haben beide noch nicht vorzuweise­n. Macron hat sich mit den französisc­hen Eisenbahne­rn angelegt, Kurz mit den Sozialvers­icherungen und mittel- bar mit den Landeshaup­tleuten. Der Ausgang beider Konflikte ist ungewiss. Die Frage nach dem Sein und dem Schein ist – zumindest in dieser Frage – vorerst noch nicht zu beantworte­n.

Wenig heikle Themen

In anderen Bereichen fällt auf, dass sich der Reformwill­e Kurz’ und Macrons kaum auf heikle Bereiche erstreckt. Der Bundeskanz­ler etwa meidet eine Pensionsre­form, die unter anderem der konservati­ve Thinktank Agenda Austria unerschütt­erlich einmahnt. Der französisc­he Präsident seinerseit­s geht das Problem explodiere­nder Staatsschu­lden, die viele Finanzexpe­rten für die Zeiten nach der guten Konjunktur­lage als äußerst bedrohlich erachten, mit zu wenig Nachdruck an.

Harte Reformen dieser Art verspreche­n in der Tat wenig Beifall. Aber es wären Meilenstei­ne auf dem Weg vom talentiert­en Politiker zu dem Staatsmann, der sein Land tatsächlic­h transformi­ert.

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