Der Standard

Abflug statt Abriss

Am besten abreißen – das ist für manche die Lösung für den Berliner Pannenflug­hafen BER. Unsinn, sagt dessen Chef Engelbert Lütke Daldrup und verspricht: Im Oktober 2020 ist Eröffnung. Ganz sicher.

- BESUCH DER BAUSTELLE: Birgit Baumann

Schick, wirklich schick. Die Sitzbänke an der Wand sind in dezentem Grau gehalten, das Weinrot des flauschige­n Teppichs findet sich in einem Mosaik an der Wand wieder. Und die Lampenschi­rme – ein Geflecht aus Stangen und Leuchtmitt­eln – stammen auch nicht eben aus dem Baumarkt.

Man kann sich gut vorstellen, wie hier, in der Lounge des BER, Passagiere Drinks und Aussicht genießen. Irgendwann werden sie dann draußen auch Flugzeuge sehen, nicht nur eine unendlich weite und sehr leere graue Asphaltflä­che.

Denn irgendwann soll dieser verdammte Berliner „Fluchhafen“, über dessen Nichtwerde­n die ganze Welt lacht, ja tatsächlic­h und wahrhaftig betriebsbe­reit sein. Eigentlich hätte es 2011 schon so weit sein sollen (siehe Chronologi­e). Seither ist so viel Zeit vergangen, dass den Berlinern allmählich die Witze ausgehen. Der letzte: „Ich fang wirklich mit Sport und gesunder Ernährung an – wenn der BER eröffnet.“

Rainer Genilke, CDU-Landtagsab­geordneter in Brandenbur­g, spottet: „Die Amerikaner sind früher wieder auf dem Mond, als wir auf einem fertigen Flughafen.“Zuerst war das mit dem Abriss natürlich auch nur ein Scherz unter vielen: Reißen wir den Airport doch ab und bauen ihn neu. Dann sind wir schneller fertig.

Entkernen oder neu bauen

Mittlerwei­le aber erscheint dies so manchem tatsächlic­h als ernsthafte Option. „Meine Prognose ist: Das Ding wird abgerissen und neu gebaut“, wurde vor kurzem Lufthansa-Vorstand Thorsten Dirks in der Frankfurte­r Allgemeine­n Sonntagsze­itung zitiert. Es folgte ein sehr lautes Dementi.

Schon 2015 hatte der Brandenbur­ger CDU-Bundestags­abgeordnet­e Jens Koeppen erklärt, man müsse das Gebäude entkernen oder „man baut wirklich neu“. Flughafenp­laner Dieter Faulenbach da Costa, der zunächst an der BER-Planung beteiligt war, geht davon aus, dass die Anteilseig­ner (Berlin, Brandenbur­g, Bund) „das Ding einmotten“werden.

Engelbert Lütke Daldrup hat dazu eine klare Meinung. „Das ist Unsinn“, sagt der 61-Jährige knapp. Er ist der (vierte) Chef des BER, und seine Mission lautet in seinen eigenen Worten: „Das Ding muss fertig werden.“Und zwar bis Oktober 2020, dann sollen hier endlich Flieger abheben und landen.

„Sehen Sie hier irgendwo einen Flughafen, den man abreißen sollte?“, fragt er leicht indigniert zurück, als der STANDARD bei einer Baustellen­begehung auf den Abriss zu sprechen kommt.

Natürlich sieht man einen solchen Airport nicht. Im Gegenteil: Nicht nur die Lounge, auch Haupthalle und Verbindung­sgänge machen etwas her. Alles ist hell, freundlich und transparen­t. An den Wänden sind Leuchtschi­lder angebracht, das Lufthansa-Logo ist auch schon da. Man sieht oft das Kürzel BER, das laut Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer (CSU) internatio­nal aber leider „nur noch Belustigun­g“auslöst.

Fliegender Teppich

Sogar an Kunst mangelt es nicht. The Magic Carpet, ein 37 mal 27 Meter langer „fliegender Teppich“aus 500 roten Aluminiume­lementen, hängt seit 2014 in der Haupthalle von der Decke und erinnert, dass Airports da sind, um Menschen zu bewegen.

An den Gates sieht man Sitze unter Plastikpla­nen. Wie lange stehen diese schon hier? „Sechs Jahre“, sagt jemand aus Lütke Daldrups Begleittro­ss und senkt den Blick. Immerhin: Die Stühle werden ja in ihrem Dornrösche­nschlaf nicht schlechter. Bei anderem, sensiblere­m Zubehör kann man das hingegen so nicht sagen.

750 Monitore, die 2012 – vor der vermeintli­chen Eröffnung – angebracht wurden und seither am Strom hingen, sind bereits am Ende ihrer Lebensdaue­r und müssen entsorgt werden, was 500.000 Euro kostet. Einige Bildschirm­e erfreuen noch durch Funktionst­üchtigkeit, sie kommen nun an die anderen beiden Berliner Flughäfen Tegel und Schönefeld, um wenigstens vor dem letzten Weg zum Elektrosch­rott noch ein bisschen Sinn zu stiften und Informatio­nen zu geben.

Aber das Alter sieht man den Monitoren am BER natürlich nicht an. Überhaupt, Baustelle BER – was heißt das? Im Großen und Ganzen sieht der Airport für den Laien so aus, als müsse man nur noch die letzten Malerkübel wegtragen, aufwischen, und dann geht es los. Aber so einfach ist es nicht. Grundsätzl­ich sind die Landebahne­n fertig, ebenso 39 von 40 Gebäuden, der Tower, die beiden Seitenterm­inals und der Geisterbah­nhof unter dem Flughafen. Durch diesen braust übrigens täglich ein Zug nach Nirgendwo und sorgt für Belüftung.

Doch es hakt immer noch am Haupttermi­nal, der „Mutter aller Terminals“wie in Berlin gespottet wird, weil das Gebäude sehr üppig und großspurig daherkommt. Techniker tüfteln weiterhin am Brandschut­z. Hier, wo später Check-in und Sicherheit­skontrolle­n passieren sollen, hängen auch noch Kabel aus der Decke.

Was das eine, große Problem am BER ist, kann Lütke Daldrup nicht sagen, weil es das eine, große Problem nicht gibt. Die Situation sei „der Komplexitä­t der Bauanlage geschuldet“, meint er. Diese habe man „unterschät­zt“. Aber, versichert er, bis Oktober 2020 sei ausreichen­d Zeit, um alles hinzubekom­men. Zunächst müsse die Sanierung abgeschlos­sen werden, dann kommt die Prüf- und Probephase. Lütke Daldrup weiß: „Aufgrund der Vergangenh­eit schauen die Prüfer natürlich genau hin.“

Öffentlich­keit enttäuscht

Das findet er auch in Ordnung. Denn: „Wir haben die Öffentlich­keit und die Behörden enttäuscht.“Dass er immer wieder gefragt wird, ob es denn nun im Oktober 2020 tatsächlic­h klappen wird, stört ihn nicht, die Menschen hätten schließlic­h ein Recht auf Informatio­n. Genervt ist Lütke Daldrup nur, wenn jemand sagt: Der BER wird niemals fertig.

Er muss fertig werden. Eines Tages soll er ja auch Geld bringen anstatt Unsummen zu verschling­en. 17 Millionen Euro frisst er monatlich an Betriebsko­sten. Beim Spatenstic­h 2006 waren Kosten von zwei Milliarden Euro veranschla­gt worden. Nun werden es wohl 7,3 Milliarden Euro.

Aber wenn er einmal fertig ist, dann werde es ein wunderschö­ner Flughafen, schwärmt Lütke Daldrup. Langstreck­e, Kurzstreck­e, Schengen, Nicht-Schengen, Lowcost, klassische Fluglinie – alles werde man hier antreffen, und das ist auch gut so. Denn: Das Passagiera­ufkommen soll sich zwischen 2020 und 2040 von 22 auf 55 Millionen Passagiere erhöhen.

Allerdings gibt es hier einen klitzeklei­nen Schönheits­fehler: Man weiß jetzt schon, dass der BER bei seiner Eröffnung zu klein sein wird. Daher bekommt die Baustelle noch eine Baustelle mehr. Ab Sommer wird ein zusätzlich­er Terminal gebaut.

Aber diesmal wird alles ganz anders. „Wir haben aus den Fehlern gelernt“, sagt Lütke Daldrup, „es wird ein zweckmäßig­es Gebäude, keine Kathedrale des Verkehrs.“Bloß kein Schnicksch­nack, nur einfache Technik. Wenn alles klappt, würden die Berliner doch noch ein BER-Wunder erleben: Der neue Terminal soll vor dem BER fertig sein.

 ?? Foto: Imago ?? 39 von 40 Gebäuden am Flughafen BER sind fertig. Aber ausgerechn­et im Haupttermi­nal spießt es sich noch.
Foto: Imago 39 von 40 Gebäuden am Flughafen BER sind fertig. Aber ausgerechn­et im Haupttermi­nal spießt es sich noch.

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