Der Standard

Missbrauch­svorwürfe gegen katholisch­e Kirche

Eine 41-Jährige, die in einem von Nonnen betriebene­n Heim lebte und vor 23 Jahren Zwillinge von einem Priester gebar, erhebt schwere Missbrauch­svorwürfe. Kardinal Schönborn wusste von der Vaterschaf­t, die Gewaltvorw­ürfe seien aber neu und werden geprüft.

- Colette M. Schmidt

Wien – Der Fall einer heute 41-jährigen Frau, die mit 17 in einem von der Kirche im Auftrag des Landes Niederöste­rreich geführten Erziehungs­heims schwanger mit Zwillingen wurde, findet nach 23 Jahren seinen Weg in die Öffentlich­keit. Von der Geburt der Mädchen, deren Vater ein Priester war, wusste der heutige Kardinal Christoph Schönborn (damals Erzbischof) Bescheid.

Wie die Erzdiözese Wien am Freitag per Aussendung wissen ließ, habe sich die Frau mit Vorwürfen an die sogenannte KlasnicKom­mission, die unter der Führung der ehemaligen steirische­n Landeshaup­tfrau Waltraud Klasnic, Fälle mutmaßlich­en Missbrauch­s durch die Kirche unter- sucht, gewandt. Die Kirche schreibt in einer Aussendung am Freitag von einer „mehrmonati­gen Affäre“zwischen dem Mädchen mit dem rund 17 Jahren älteren Priester.

Laut ihren Angaben vor der Kommission habe die Frau aber nun von „Übergriffe­n“seitens des Mannes, der noch heute in einer Pfarre in Wien tätig ist, gesprochen. Zudem habe sie die Zwillinge nicht freiwillig zur Adoption freigegebe­n. Die Ombudsstel­le der Erzdiözese untersuche diese neuen Vorwürfe nun. „Dazu kommt, dass man heute weiß, dass bei Beziehunge­n mit Minderjähr­igen der Begriff der Freiwillig­keit sehr problemati­sch ist. Wir müssen uns also auch fragen, ob man nicht diese Beziehung schon als solche als missbräuch­lich ansehen muss“, so Diözesansp­recher Michael Prüller. In die Umstände der Adoption sei Schönborn jedenfalls nicht eingebunde­n gewesen.

Ganz anders sieht denselben Fall die Plattform Betroffene­r kirchliche­r Gewalt, die am Freitag per Aussendung Stellung nahm.

Frühgeburt und Drohungen

Die Frau sei damals „sexuell misshandel­t, verprügelt, geschwänge­rt und zur Adoptionsf­reigabe gezwungen“worden, so der Obmann der Plattform Sepp Rothwangl. Der Priester habe die Frau mit „Drohungen und Einschücht­erungen“zum Geschlecht­sverkehr gezwungen. Eine Nonne habe das schwangere Mädchen so geschlagen, dass eine Frühgeburt die Folge gewesen sei – für alle Betroffene­n gilt die Unschuldsv­ermutung.

Rothwangl wirft Schönborn vor, den Täter zu schützen. Das weist die Kirche zurück. Der Priester durfte im Amt bleiben unter der Bedingung für Mutter und Kinder aufzukomme­n und die „Beziehung nicht wieder aufleben zu lassen“, so die Diözese. Der Kardinal wird darin folgenderm­aßen zitiert: „Heute würden wir wohl rigoroser entscheide­n.“

Der Standard hatte in dem Fall bereits geraume Zeit recherchie­rt. Dokumente, die dem STANDARD vorliegen, lassen auch eine andere Lesart, als jene der Diözese zu. So dokumentie­ren Schriftstü­cke des Jugendamte­s und Korrespond­enzen mit Behörden, dass sich die Frau, deren Babys nach sechs Monaten von einem Paar adoptiert wurden, acht jahrelang erfolglos darum bemüht habe, ihre Kinder zumindest zu sehen.

Die Diözese hält fest, dass schon 2008 die Behörden festgestel­lt hatten, dass es bezüglich der Adoption „damals keinen Zwang gegeben habe“.

Im Gespräch mit dem Standard räumt Prüller ein, dass mehrere Seiten vielleicht auf die junge Frau eingewirkt haben könnten, dass eine Adoption das beste „im Sinne der Kinder“sei. Sie selbst kam aus sozial schwierige­n Verhältnis­sen und wurde früh Opfer von Missbrauch.

In der Aussendung der Plattform wird ein weiterer schwerer Vorwurf erhoben, der im Zuge der Standard- Recherchen bisher nicht erhärtet werden konnte. Die junge Frau und weitere Mädchen in dem Heim sollen angeblich monatlich „sehr schmerzhaf­te“gynäkologi­sche Untersuchu­ng über sich haben ergehen lassen müssen.

Unter Aufsicht der Nonnen sollen sie mutmaßlich Hormontabl­etten bekommen haben. Die Plattform spricht von „Experiment­en und Eizellensp­enden“. Auf die Standard- Nachfrage, was der Grund für derart häufige Untersuchu­ngen gewesen sein könnte, meint Prüller: „Meine Nachfrage bei den Schwestern hat dort nur Rätselrate­n ausgelöst, aber ich weiß dazu auch keine Einzelheit­en, mit denen man der Sache auf den Grund gehen könnte.“

Die Nonne, die die Frau verprügelt haben soll, ist laut StandardRe­cherchen vor Jahren aus dem Orden ausgetrete­n, die ehemalige Leiterin des Heims, ebenfalls eine Klostersch­wester, ist mittlerwei­le in Pension.

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