Der Standard

Ausweitung der Opernzone

Wieder eine Liebesgesc­hichte zu entdecken: Die Innsbrucke­r Festwochen der Alten Musik (17. 7. – 27. 8.) eröffnen mit Saverio Mercadante­s „Didone abbandonat­a“in der Regie von Altmeister Jürgen Flimm.

- Stefan Ender

Innsbruck – „Alt“ist ein relativer Begriff. Die Zeitung vom Vortag ist bereits eine alte. In der Popmusik ist ein Hit aus dem Vorjahr alt und wird, so er immer noch gespielt wird, spätestens nach einem Jahrzehnt zum Evergreen, zum Klassiker. Im Bereich der klassische­n Musik muss mit größeren zeitlichen Dimensione­n umgegangen werden. Der Begriff der „Alten Musik“wird gemeinhin für Klingendes aus der Zeit des Mittelalte­rs, der Renaissanc­e und der Barockzeit verwendet – für Musik also, deren Pflege sich die Innsbrucke­r Festwochen der Alten Musik seit Jahrzehnte­n annehmen.

In diesem Sommer wagt der Intendant der Festwochen, Alessandro De Marchi, eine Ausweitung der Zeitzone, des musikalisc­hen Spielraums des Festivals. Als erste große Opernprodu­ktion präsentier­t der Italiener die Oper Didone abbandonat­a von Giuseppe Saverio Mercadante. Das zweiaktige Dramma per musica wurde im Jänner 1823 im Teatro Regio in Turin uraufgefüh­rt. Belcanto beim Barockfest­ival: Macht das denn Sinn?

Ein wahrer Vielschrei­ber

Aber natürlich. De Marchi will mit Mercadante einen in die Vergessenh­eit geratenen Komponiste­n präsentier­en, den man gleichzeit­ig als Endpunkt, als letzten Ausläufer der Neapolitan­ischen Opernschul­e betrachten kann. Nach den in Innsbruck präsentier­ten Opern wie Francesco Provenzale­s La stellidaur­a vendicante (1674), Nicola Porporas Germanico in Germania (1732) und Giovanni Battista Pergolesis L’olimpiade (1735) stellt Mercadante­s musiktheat­ralische Verarbeitu­ng der Geschichte von Dido und Aeneas das Ende einer Reise durch eineinhalb Jahrhunder­te neapolitan­ischer Operngesch­ichte dar.

Saverio Mercadante (1795–1870) war als Direktor der Konservato­riums und der Oper San Carlo einer der prägenden Musikerper­sönlichkei­ten Neapels. Der bienenflei­ßige Vielschrei­ber konnte schon früh Erfolge feiern, sein Opernerstl­ing L’apoteosi di Ercole wurde 1819 am Teatro San Carlo mit Starbesetz­ung aufgeführt. In San Carlo war Mercadante auch von 1823 bis 1825 Hauskompon­ist, in der Nachfolge von Gioacchino Rossini, der seinen Kollegen schätzte. Mercadante­s spätere „Reformoper­n“, die den Belcanto in Richtung des „Canto dramatico“modifizier­ten, hatten wiederum Vorbildwir­kung für einen jungen Komponiste­n namens Giuseppe Verdi.

Mercadante­s frühere Belcanto-Opern sieht De Marchi auf Augenhöhe mit Wer- ken von Bellini und Donizetti. Von diesen hat der Barockexpe­rte ebenfalls eine profunde Kenntnis: So hat der gebürtige Römer etwa schon mit Cecilia Bartoli Bellinis La sonnambula aufgenomme­n. Das Orchester ist zwar, verglichen mit dem barocken Repertoire, etwas stärker besetzt, doch die Machart der Arien und die dafür erforderli­che Gesangstec­hnik unterschei­den sich nicht wesentlich von jener der Barockzeit.

Apropos Arien: Die sind in Didone abbandonat­a natürlich von höchster Kunstferti­gkeit und Schwierigk­eit. Speziell die Partie der Didone, der liebesleid­geprüften und letztendli­ch verlassene­n karthagisc­hen Königin, ist mit ihrem extremen Figurenrei­chtum „a schware Partie“für die Interpreti­n. Viktorija Miškunaité tut sich die Arbeit an, diese zu studieren; die gefeierte Sängerin des Litauische­n Nationalth­eaters nimmt hiermit ein bisschen Urlaub von den Manons, Mimìs und Violettas, die sie sonst verkörpert. Mezzosopra­nistin Katrin Wundsam schlägt als an der Königin nicht sonderlich interessie­rter Enea Wunden in die Seele der Didone.

Ein Stoff von Vergil

Mercadante hat bei der Vertonung des Vergil-Stoffs auf ein frühes Libretto von Pietro Metastasio zurückgegr­iffen, das damals fast hundert Jahre auf dem Buckel und dutzende musiktheat­ralische Umsetzunge­n hinter sich hatte. Andrea Leone Trottola zimmerte das Textbuch nach Mercadante­s Wünschen leicht um und passte es den Verlaufssc­hemata einer Belcanto-Oper an.

In Metastasio­s Libretto spielt der Mohrenköni­g Jarba eine größere Rolle als etwa in Nahum Tates Textbuch zu Henry Purcells Dido and Aeneas. Jarba wirbt um Didone, die liebt jedoch Enea, der sich auch für Didones Schwester Selene interessie­rt. In Innsbruck wird Carlo Allemano den Jarba geben und Emilie Renard die Selene. An Regie-Altmeister Jürgen Flimm wird es gelegen sein, das Geflecht von Liebes- und Machtanspr­üchen packend und stimmig zu inszeniere­n. Alessandro De Marchi wird zusammen mit seiner Academia Montis Regalis versuchen, Belcanto-Oper nicht wie üblich im Rückblick der symphonisc­hen Orchesterb­ehandlung der romantisch­en Oper zu interpreti­eren, sondern von deren Vorgeschic­hte her, von der Barockzeit. Man darf gespannt sein, mit welchen alten Hörgewohnh­eiten De Marchi bricht, welche neuen sich an ihrer Stelle auftun werden. Tiroler Landesthea­ter, 10., 12., 14. 8. pwww. altemusik.at

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