Der Standard

Hoffnungsl­os, aber komisch

Am Stadttheat­er Klagenfurt modelliert Regisseuri­n Mateja Koležnik Anton Tschechows „Iwanow“zur glanzvolle­n Sammlung treffender Charakters­tudien.

- Michael Cerha

Klagenfurt – Die Seelenlähm­ung ist nur eine der möglichen Reaktionen auf die wachsende Unerträgli­chkeit des Weltzustan­ds. In Anton Tschechows Erstlingsd­rama Iwanow umgibt den lebend toten Titelhelde­n ja auch noch der Graf, der sich einen Panzer aus Zynismus zugelegt hat. Der Arzt zudem, der einem blinden Idealismus verfällt, der alte Lebedjew, der alle Risse der heilen Welt mit seinem Notgrosche­n stopfen will. Oder der juvenile, kapitalism­usverseuch­te Gutsverwal­ter Borkin, ein chronische­r Entwickler neuer Stand-up-Ideen.

Alle verfehlen das Leben, am wenigsten vielleicht noch Iwanow selbst, der sich mit dem finalen Pisto- lenschuss vom Tod erweckt. Aber es ist ja eine Komödie. Also war der Weltzustan­d wohl immer schon unerträgli­ch. Und alle taumeln nur deshalb so durcheinan­der, weil sie hochmütig die Krücken ihrer Vorfahren vernichtet haben. Betrunken sind sie meistens auch.

Aktualität des Textes

Am Stadttheat­er Klagenfurt präsentier­t die aus Ljubljana stammende Mateja Koležnik (in einer Koprodukti­on mit den Vereinigte­n Bühnen Bozen) das Stück in einer unaffektie­rten, der Aktualität des Textes (Übersetzun­g Thomas Brasch) fest vertrauend­en Lesart. Iwanow muss man manches zweimal sagen, da er sich erst die Wattepfrop­fen aus dem Ohr klauben muss. Man erlebt das Geschehen quasi durch die Fenster der Nachbarn, oder, aus deren Perspektiv­e, in den eigenen Räumen von außen.

In den von Raimund Voigt auf die dunkle Bühne gebauten Lichtkorri­doren herrscht ein dichtes, planloses Hin und Her. Man kann auch an Gangways denken, auf denen die Passagiere des Narrenschi­ffes, das die Welt bedeutet, herumirren. Die Frauen, das war schon in der gefeierten Nora- Inszenieru­ng der Regisseuri­n so, tanzen dazu. Sie können für alles nichts dafür und nichts dagegen.

Gerti Drassls prächtig selbstbewu­sste, weltverlor­ene Anna demütigt den tonuslosen Iwanow Markus Herings mit Küssen. Die unbändige Sascha Katharina Wawriks ist nicht davon abzubringe­n, Iwanow retten zu wollen, obwohl das, wie ihr Vater ihr zu erklären versucht, nicht die Aufgabe einer Ehefrau wäre, sondern eines Nervenarzt­es.

Auch von den weiteren, noch nicht namentlich erwähnten Charakters­tudien ist eine treffender als die andere. Der Abend ist ein Glücksfall. Todtraurig, da Iwanow den Verlust von Gefühlen beklagt, die er einst kannte, während über die Komplexitä­t seines Lebens unaufhalts­am das Pech der plattesten Verleumdun­gen rinnt. Und weil das, insofern es die Umwelt kritisiert, selbst wieder als Verleumdun­g angesehen werden kann. Die Lage ist hoffnungsl­os, aber komisch. pwww. stadttheat­er

klagenfurt.at

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Kontemplat­iver Rauchmomen­t an einem tollen Abend: Gerti Drassl (als Anna Petrovna) und Holger Bülow (als Jewgeni Lwow).

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