Der Standard

Aufbruch mit Abgründen

- Gerald John

Christian Kern scheint fest entschloss­en zu sein durchzuhal­ten. Viele profession­elle Beobachter woll(t)en ja nicht so recht glauben, dass sich ein ExKanzler, der abseits der Politik wohl einen besser dotierten Job ergattern würde, die harte Opposition­sbank antut. Aber Kern trägt die Liebe zur Partei derart demonstrat­iv vor sich her, dass ein Absprung kaum noch möglich wäre, ohne als Verräter in die rote Geschichte einzugehen.

Auch nach der Niederlage weckt der Obmann hohe Erwartunge­n. Soll die versproche­ne Demokratis­ierung nicht nur Fassade sein, liefe das auf eine Revolution hinaus: Traditione­ll funktionie­rt die SPÖ zentralist­ischer als die ÖVP, die Kern nun als „Führerpart­ei“brandmarkt. Ob die Debatte über das neue Parteiprog­ramm die Genossen tatsächlic­h zu einem neuen Aufbruch motiviert, wie das der Chef suggeriert, wird sich an der Beteiligun­g zeigen, wenn die Mitglieder Ende Juni über das Ergebnis abstimmen.

Soll das Programm auch eine inhaltlich­e Klärung bringen, muss Kern eine Debatte führen, vor der sich die SPÖ gerne gedrückt hat: jene über die Haltung in der Ausländerf­rage. Einerseits ist gerade das rote Wien bei Wahlen mit Fundamenta­loppositio­n gegen rechte Politik gut gefahren – anderersei­ts sind längst auch an der roten Basis Klagen zu hören, wie man sie von FPÖ-Wählern kennt. Ob Kern da eine schlüssige Linie findet, die zu keiner Spaltung führt, wird für das Schicksal der SPÖ entscheide­nd sein.

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