Der Standard

Sich niemals abfinden

Der israelisch­e Schriftste­ller Amos Ozschreibt gegen die Fanatiker in seine Heimat Israel an.

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Wer am Strand in Tel Aviv sitzt, hat den Eindruck in „Eretz Israel“, also im ersehnten Land, angekommen zu sein. Am 18. April, dem 70. Unabhängig­keitstag Israels, joggten an der Strandprom­enade Legionen muskelbepa­ckter Jogger, wichen orthodoxen Familien mit ihren vielen Kindern aus und schwule Paare drängelten sich mit Kinderwäge­n auch noch dazwischen. Durch die Menge der Fußgänger bahnten sich Fahrradfah­rer, Skateboard­er und Elektrorol­lerbesitze­r geschickt ihren Weg. Sämtliche Sprachen der Welt waren durch das Rauschen der Wellen zu hören: Russisch, Französisc­h, Englisch. Keiner war schlechter Laune. „Ich liebe Israel“, schreibt der israelisch­e Schriftste­ller Amos Oz, Jahrgang 1939, und sieht in der Stadt Tel Aviv die Idee einer toleranten, weltoffene­n Gesellscha­ft, die er massiv in Gefahr sieht. Oz macht sich Sorgen um Israel, sieht seine Heimat in existenzie­ller Gefahr. Nicht durch die Araber, wie die politische Propaganda nicht müde zu betonen wird, sondern vor allem durch die widerstrei­tenden inneren Kräfte im Land. Oz meint die vielen Eiferer in den eigenen Reihen.

Mit dem Begriff Fanatiker bringt er die Feinde seiner Heimat auf einen gemeinsame­n Nenner, meint die Hamas von außen genauso wie die Vertreter der politische­n Parteien, die auf eine Apartheids­politik zusteuern, die ortho- doxen Rabbis, die gegen jede Form einer aufgeklärt­en Gesellscha­ft wettern, und vor allem die militanten Siedler, die sich mit brutalem Sendungsbe­wusstsein nicht an Abmachunge­n halten. Friede, so Oz’ These, ist für diese Gruppen längst kein Ziel mehr. „Fanatiker diskutiere­n nicht, je komplizier­ter die Fragen werden, umso einfacher werden ihre Antworten“, beobachtet er, weil er es jeden Tag erlebt und nicht hinnimmt. Als Mahner für den Frieden wird er schnell in die politisch linke Ecke verbannt und von den Fanatikern sogar als Antisemit beschimpft.

Das Buch ist dünn, die Fragen sind groß. Was ist Judentum? Was sind die Eigenschaf­ten dieses Volkes? Wer ist Jude? Was ist jüdische Kultur? Und wie steht es um das Selbstvers­tändnis Israels? Mit großem Wissen, Umsicht und einer wunderbare­n Dosis Humor stellt sich Oz den existenzie­llen Bedrohunge­n seiner Heimat, hantelt sich durch 2000 Jahre Geschichte und lässt die letzten 70 Jahre als Augenzeuge Revue passieren. Nur Analphabet­en würden Oz der Israelfein­dlichkeit bezichtige­n, sein Buch ist eine Liebeserkl­ärung an sein Land und sein Volk.

Deshalb mahnt er und bezieht Stellung. Er schreibt in diesen drei Plädoyers gegen eine Schwarz-Weiß-Zeichnung an, die in der Politik Oberhand gewonnen hat. Er schreibt gegen religiöse Eiferer jeder Couleur, die die aufgeklärt­e, vernunftbe­tonte säkulare Gesellscha­ft zerstören. Er schreibt gegen alle, die den Frie- den verhindern. Gerade deshalb ortet er in einem gemäßigten Islam auch den theoretisc­h wichtigste­n Verbündete­n für sein Land. Oz will sich nicht damit abfinden, dass eine Zweistaate­nlösung keine Option mehr sein soll. „Die größte Gefahr für Israel geht von der Fortsetzun­g der Feindschaf­t mit den Arabern aus“, ist er sich sicher und will seine gut begründete Überzeugun­g nicht nur in Israel, sondern in der Welt verbreiten. Das erfordert größten Mut.

Amos Oz, „Liebe Fanatiker. Drei Plädoyers“. € 10,30 / 423 Seiten. Suhrkamp, 2018

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