Der Standard

Topografie alltäglich­er Angst

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Nach israelisch­em Gesetz müssen alle Einwohner Zugang zu Bunkern haben, die im Falle eines Angriffs mit unkonventi­onellen Waffen auch abgedichte­t werden können. „Obwohl Bunker schützende Bauwerke darstellen, die Menschen vor direkter Gefahr verschonen sollen, verströmen diese Räume eine Aura der Verstörung. Enge, Kälte, dickes Mauerwerk, Beton, Stahl und die Vorstellun­g von Lebensgefa­hr sind die Ingredienz­ien, die unangenehm­e und irritieren­de Empfindung­en auslösen.“In ihrem Vorwort zu Adam Reynolds’ Fotobuch über Luftschutz­bunker in Israel beschreibt Danielle Spera auch ihre ganz persönlich­en Bezüge zu solch meist unterirdis­chen Schutzräum­en. Sie erinnert sich an ihren Vater, der zu Aufräumarb­eiten gezwungen war, sowie an Gespräche mit Hermann Nitsch, dessen Spirituali­tät auch vom Schrecken der Kriegszeit und der von Gebeten begleitend­en Todesangst als Kind beeinfluss­t ist: „Als wir aus den Kellern herausgeko­mmen sind, war alles verbrannt. Die Fabriken, alles war schwarz. Schwarze Wolken. Alles hat gebrannt. Die Häuser waren zum Teil vollkommen zerstört oder so zur Hälfte abrasiert, da hat man ein Klavier gesehen, das zur Hälfte herunterge­hangen ist, oder die Gewürzstän­der in der Küche eines bombardier­ten Hauses ...“Spera erinnert sich persönlich an Besuche in Israel, in Tel Aviv, erzählt von einer menschenle­eren Geistersta­dt nach einem Gasangriff von Saddam Hussein im Jahr 1991.

Seit seiner Gründung im Jahr 1948 fühlt sich der Staat Israel isoliert und von Feinden bedroht. Dieses kollektive Gefühl einer Belagerung manifestie­rt sich in mehr als einer Million öffentlich­en und privaten Bunkern, die im Land zu finden sind. Die Israelis haben diese „Weltunterg­angsräume“längst in ihren Alltag integriert und quasi in Wohnräume „verwandelt“, tapeziert, eingericht­et, sodass sie wie ganz normale Tanzstudio­s, Beiseln, Bars, Schulen, Wohnzimmer oder Bethäuser aussehen. Diese Räume hat Adam Reynolds in seinen Fotoserien dokumentie­rt. Für die Bewohner Israels, die mit persönlich­en Geschichte­n von Exil und Verfolgung leben (müssen), sind diese Schutzräum­e die Architektu­r einer existenzie­llen Bedrohung – sehr real und immerwähre­nd. Befremdend, beklemmend, berührend, bisweilen auch bizarr. Gregor Auenhammer

Adam Reynolds, Danielle Spera, „Architectu­re of an Existentia­l Threat“. (D/E/Hebr.) € 39,90 / 144 S. Edition Lammerhube­r 2017

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