Vieleckige Gespenster
Polyedrische Skulpturen: Antony Gormley bei Ropac in Salzburg.
Sind’s offene Arme, die einen begrüßen, oder ist’s eine Geste, die sagen will: „Stopp, hier gibt es nichts zu sehen“? Ganz sicher kann man sich da nicht sein angesichts jener Menschenskulptur, die derzeit mit weit ausgebreiteten Armen Besucher der Salzburger Galerie Ropac empfängt. Fix heißt dieser Vorbote und er gehört zur Ausstellung Earth Body mit Arbeiten eines der wichtigsten Gegenwartsbildhauer, des Briten Antony Gormley.
Einer breiten Öffentlichkeit wurde Gormley hierzulande bekannt, als er 2010 unter dem Titel Horizon Field hundert gusseiserne Menschenskulpturen in die Vorarlberger Alpen stellte. Großräumig verteilt, blickten die Figuren irgendwo im Nirgendwo des Lechgebirges in die Ferne, vermittelten Archaik, Einsamkeit, Stärke. Eindringliche Gefühle durchwehen nun auch die Villa Kast, wo der Turner-Preisträger mit Polyedri- schen Skulpturen eine seit 2008 gepflegte Facette seiner Arbeit am menschlichen Maß zeigt.
Keine naturalistischen Körperdarstellungen versammelt die Schau, sondern Abstraktionen, zusammengesetzt aus vielflächigen geometrischen Körpern. Ein wenig wirken die mannshohen Gestalten aus Eisen, als ob sie aus überdimensionalen molekularen Bausteinen bestünden. Zugleich denkt man aber auch an Figuren aus einer 3D-Software, wie sie in Computerspielen auftauchen. Zumal vereinzelte seiner polyedrischen Skulpturen ganz auf ein fragiles Drahtgitter reduziert sind – sie beeindrucken besonders.
Reizvoll ist der Kontrast zwischen der virtuellen, ephemeren Anmutung und dem Material Eisen. Spannung liegt aber auch in den vieldeutigen Gesten der Figuren, mit denen Gormley auf eine Erkundung körpersprachlicher Fragen abzielt. Besonders berücken mag außerdem die erstaunliche Leichtigkeit, mit der sich diese vieleckigen Gespenster – turnend und kauernd, sich reckend und ruhend – die Villa Kast als Bühnenbild aneignen. Bis 12. 5., Galerie Thaddaeus Mirabellplatz 2, 5020 Salzburg Ropac,
Ich kann mich noch gut erinnern, wie wir die Erde in den Gropius-Bau hineingeschaufelt haben.“Die Geschichte von Joseph Beuys’ Werkensemble Hirschdenkmäler ist für Galerist Thaddaeus Ropac (geb. 1960) auch eine persönliche. Als Beuys 1982 das Environment für die Zeitgeist- Ausstellung in Berlin realisierte, war Ropac Praktikant mit dem „Glück“, unmittelbar bei der Entstehung dabei zu sein.
Der Fluxus-Künstler „hat sein gesamtes Atelier von Düsseldorf nach Berlin bringen lassen und dort entschieden, eine Skulptur zu schaffen“, erinnert Ropac sich im STANDARD- Gespräch. „Zu dieser Zeit hab ich Beuys noch nicht einmal verstanden, aber sein Charisma war beeindruckend. Ich wusste, dass ich am aufregendsten Ort war, wo man zu jener Zeit in der Gegenwartskunst sein konnte, und wie wichtig er als radikaler Denker war.“
Nur ein Jahr später eröffnete Ropac in Salzburg seine erste Galerie, bis zum Ankauf von 38 Originalen dieser Werkgruppe sollte es allerdings noch länger dauern. Jetzt, quasi als Inszenierung der Nachricht, dass man die internationale Repräsentation des BeuysNachlasses übernimmt, zeigt Ropac die Hirschdenkmäler in seiner 2017 eröffneten Londoner Dependance im noblen Mayfair.
Wichtig ist diese Werkgruppe, weil sie den Höhepunkt von Beuys’ Versuchen darstellt, den mythischen Symbolismus der germanischen Tradition einer neuen Verwendung zuzuführen. Dem Hirsch, repräsentiert durch ein Bügelbrett, kommt dabei zentrale Bedeutung zu. Für Beuys war es ein Tier, „das in Zeiten der Not erscheint“, und in seiner mystisch- alchemistischen Kunstpraxis war das Geweih, das nach dem Abwerfen stets nachwächst, ein starkes Sinnbild für Erneuerung.
Nach der Eröffnung in Berlin entschied der Künstler, einen Teil des Ensembles in Bronze abzugießen. Das erste Museum, das diese Abgüsse erwarb, war die Tate Gallery. Das erklärt, warum Ropac nun auch die Originale unbedingt in London zeigen wollte. Langfristig soll es aber auch für sie ein Happy End in einem wichtigen Museum geben. Nachgefragt ist Beuys etwa auch am asiatischen Markt. Erst kürzlich, so Ropac, hat das HOW Art Museum in Schanghai sogar sein Haus mit einer Schau des deutschen Bildhauers eingeweiht.
Der eigentliche Coup gelang dem Galeristen jedoch mit dem Nachlass von Beuys. Schon zu Lebzeiten war Beuys Marktwert hoch gewesen. 1980 führte ihn die Weltrangliste der bedeutendsten Gegenwartskünstler, der Kunstkompass, noch vor Rauschenberg und Warhol auf Platz eins. Bisher wurde das Beuys-Erbe von seiner Familie, allen voran seiner streitbaren, heute 84-jährigen Witwe Eva, verwaltet. Ropac, der eng mit den Erben zusammenarbeiten wird, sagt, der Kontakt habe sich mit der Zeit intensiviert. Viele große internationale Galerien hätten sich um den Nachlass bemüht, „ich war nicht der Einzige, der in Düsseldorf angeklopft hat“. Womit man überzeugte? „Ich glaube, Eva Beuys hat gemerkt, dass es uns sehr um die Sache geht.“
Seit Beuys’ Tod gab es immer wieder Streit um dessen Nachlass. Insbesondere im Konflikt mit der 1990 gegründeten Stiftung der Brüder van der Grinten in Beuys’ Geburtsort Kleve bemühte die Familie mehrfach die Gerichte. Im Streit mit der Stiftung im Museum auf Schloss Moyland wird Ropac aber nicht als neutraler Vermittler fungieren. „Wir werden uns in keiner Weise einmischen. Eine Klärung wird es aber geben müssen.“Seit 2011 ist es medial um den Streit, in den auch das Land Nordrhein-Westfalen involviert ist, still geworden. „Zum Glück hat man das aus der Öffentlichkeit herausgeholt“, so Ropac, dessen Team sich in den kommenden Jahren auch dem ausstehenden Werkverzeichnis widmen wird. Thaddaeus Ropac (57). Beuys und Österreich, diese Beziehung scheint hingegen, trotz früher Performances in der Galerie nächst St. Stephan 1967 und gestürmter Vorträge, kompliziert. Vielleicht wurde man nach dem jahrelangen Prozess (1993–2000) um den als Fälschung inkriminierten „Wiener Werkblock“vorsichtig. Museale Präsentationen blieben hierzulande jedenfalls rar (2008: Kunsthalle Krems). Auch Ropac hat Beuys zuletzt 1984 und 1988 Solos in Salzburg gewidmet. Beuys vitale soziale Plastik lebendig zu präsentieren, das ist nicht nur aus restauratorischer Perspektive ein schwieriges Unterfangen. Bis 16. 6., Galerie Ropac, 37 Dover Street, London W1S 4NJ
www.ropac.net