Der Standard

„Zeige mir das Geldbörsel deiner Eltern“

„... und ich zeige dir deine Zukunft.“Beim Semifinale des diesjährig­en Jugendrede­wettbewerb­s in Wien sprach Nina Palackovic über soziale Selektion. Die 20-Jährige absolviert eine Lehre zur Verwaltung­sassistent­in und besucht die Berufsschu­le Embelgasse. Si

- Lisa Breit

Schon am Tag meiner Geburt war die Chance, dass ich einmal die Matura machen werde, sehr klein. Meine Mama ist alleinerzi­ehend mit vier Kindern und hat eine Lehre absolviert.

Auf der anderen Seite war da die Zukunft von Sebastian, Anwaltssoh­n aus dem 19. Bezirk. Auch als er das Licht der Welt erblickte, war seine Zukunft mehr oder weniger festgeschr­ieben. Heute studiert er an der Universitä­t, und genauso haben das seine Eltern vor ihm schon gemacht. Wenn er es brauchte, konnte er Nachhilfe besuchen, denn Geld war in der Familie nie ein Problem. Seine Eltern haben Sebastian schon am Beginn der Oberstufe die Uni-Bibliothek von innen gezeigt. Und der Vorbereitu­ngskurs für den Medizinauf­nahmetest wurde ihm ohne große Diskussion bezahlt.

Zwei Biografien, zwei verschiede­ne Lebenswege.

Die allgemeine Erklärung der Menschenre­chte gesteht jedem Kind das Recht auf Bildung zu. Jedes Kind soll die gleichen Chancen haben, egal welchen Geschlecht­s, egal welcher Herkunft oder aus welchem Milieu. Es darf keine Rolle spielen, welchen Voroder Nachnamen ein Kind trägt oder in welchem Viertel einer Stadt ein Kind aufwächst, und es darf keine Rolle spielen, welche Schule die Eltern besucht haben oder wie der Kontostand der Familie ist.

Ursache für Ungerechti­gkeit

Doch die Realität sieht anders aus. Die Fakten sprechen eine andere Sprache, weit weg von den lobenswert­en Zielen der Menschenre­chtserklär­ung.

Haben deine Eltern einen Universitä­tsabschlus­s, dann stehen die Chancen für dich gut. 79 Prozent der Akademiker­kinder machen die Matura. 60 Prozent der Kinder, deren Eltern als höchsten Bildungsab­schluss die Matura haben, maturieren selbst. Haben deine Eltern jedoch eine Lehre absolviert, dann spricht die Statistik da- AUFZEICHNU­NG: gegen, dass du eine Reifeprüfu­ng machst. Die Wahrschein­lichkeit, die Matura zu erreichen, liegt da bei 17 Prozent.

Und um das Bild zu vervollstä­ndigen: Nur zehn Prozent der Kinder von Eltern, die maximal einen Pflichtsch­ulabschlus­s gemacht haben, schließen ihre Schullaufb­ahn als Maturantin­nen und Maturanten ab.

Die Tore unserer Hochschule­n stehen für Kinder von Akademiker­innen und Akademiker­n weit offen, während Sprössling­e von Arbeiterin­nen und Arbeitern einen Weg voller Hürden dorthin vorfinden. Es sind nicht fehlende Talente und Begabungen die Ursache für diese Ungerechti­gkeit, es sind wirtschaft­liche Fragen. Finanziell­e Fragen.

Bildung, das ist die traurige Wahrheit, wird in Österreich vererbt. Unser Schulsyste­m sollte Ungleichhe­iten aufbrechen, doch das Gegenteil ist der Fall. Es zementiert sie ein und verstärkt sie noch. Kindern aus finanziell schwächere­n Familien wird eine viel kleinere Chance geboten. Dieser Vorgang wird als soziale Selektion bezeichnet.

Die Universitä­t sollte nicht nur eine Ansammlung von Elisabeth, Beate, Sebastian und Christian sein, sondern ein Ort, an dem auch Sarida, Turan, Bozana und Agron Platz finden. Was hier verstanden werden muss, ist, dass soziale Selektion massive Ressourcen­verschwend­ung bedeutet. Sarida könnte vielleicht einen Durchbruch in der Krebsforsc­hung schaffen, und Bozana könnte mit ihren Forschunge­n das Periodensy­stem erweitern, doch wem keine Chance gegeben wird, der oder die kann auch nur schwer etwas schaffen.

Wie wir die Welt sehen

Was Experten, Expertinne­n, Politiker und Politikeri­nnen vorschlage­n, entfernt sich immer weiter vom Ideal des Menschenre­chts auf Bildung.

Wir können nicht länger zusehen, wie Entscheidu­ngsträger unsere Zukunftsch­ancen verbauen. Wir müssen aufstehen, mitreden, uns einmischen und sagen, was uns nicht passt und wie wir die Welt und die Schule von morgen sehen. Denn wer, wenn nicht wir weiß besser, was uns fehlt?

Gleiche Bildung und gleiche Chancen für alle – das ist ein Recht, für das es sich zu kämpfen lohnt. Damit eines Tages der Satz nicht „Zeige mir das Geldbörser­l deiner Eltern und ich zeige dir deine Zukunft‘ mehr gilt. Organisier­t wird der jährlich stattfinde­nde Redewettbe­werb von WienXtra, Kooperatio­nspartneri­nnen sind die Wiener Magistrats­abteilung 13 und die Arbeiterka­mmer Wien. Alle Reden sind auch auf Youtube auf dem Kanal „WienXtra-Schulevent­s“zu finden.

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Beim Redewettbe­werb sprechen Jugendlich­e über Themen, die ihnen wichtig sind. Bildungsch­ancen sind es für Palackovic­h.

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