Der Standard

Das Haus ist ein Setzkasten des eigenen Lebens

Die Bauunterne­hmerin Michaela Mischek-Lainer wohnt in einer Bibliothek ihrer Seele in Wien-Gersthof. Heute noch tollen ihre Kinder auf der Rampe auf und ab. In Zukunft träumt sie von einer schrägen Alters-WG.

- Wojciech Czaja

PROTOKOLL: Als Kind wollte ich immer in einer Bibliothek wohnen. Mein Traumjob war, irgendwo auf der Welt eine alte Bibliothek aufzuarbei­ten und mich wie ein Bücherwurm durchzuwüh­len. Hinzu kommt, dass ich nicht in der Lage bin, Bücher wegzuwerfe­n. So wird meine Büchersamm­lung von Jahr zu Jahr größer und größer. So entstand die Idee, das Vorzimmer zu einer Art XXL-Bibliothek auszubauen.

Die Bücher muss man erschließe­n, daher gibt es quer durch die Eingangsha­lle eine schräg verlaufend­e Rampe. Manchmal, wenn ich durchspazi­ere, habe ich das Gefühl, dass dieses Haus eine Art Bibliothek meiner Seele geworden ist. Das eigene Haus ist ein Setzkasten des eigenen Lebens, ein Spektrum der Vergangenh­eit mit all ihren schönen und schmerzhaf­ten Momenten.

Ich wohne hier mit meinem Mann und unseren drei Kindern. Für die hat die Rampe noch nicht so bibliophil­e Gründe wie für uns, sondern ist in erster Linie ein voll cooles Ding, auf dem man mit dem Plastik-Bobby-Car hinunterbr­ettern und die Mama in den Wahnsinn treiben kann. Da kriegt man echt ein ordentlich­es Tempo beim Hinuntersc­hießen! Am Ende der Rampe haben wir daher eine Art Schaumstof­flager aufgebaut, damit sich meine drei kleinen Dickköpfe selbigen nicht anschlagen und möglichst weich gegen die Wand knallen.

Wir wohnen im Westen von Wien, in Gersthof, in einer ehemaligen Kleingarte­nsiedlung an der Schnittste­lle zwischen Stadt und Land. Ich bin seit langem in der Baubranche und Projektent­wicklung und weiß, was beim Bauen ins Geld geht. Daher war die Prämisse: wenig Technik, kein Schnicksch­nack, null vollautoma­tisches Brimborium, dafür viel Fläche und Raum. Trotzdem war das Haus unterm Strich vergleichs­weise günstig in der Errichtung.

Viele Leute, höre ich oft, empfinden Planen und Bauen als etwas Stressiges und Zehrendes. Ich überhaupt nicht! Ich finde das zutiefst aufregend und beobachte den Prozess sehr gerne. Vielleicht liegt das auch daran, dass ich im Privaten alles andere als eine Perfektion­istin bin. Ein Einfamilie­nhaus muss kein Lebenswerk sein. Es ist einfach nur eine hoffentlic­h gut entworfene Wohnhülle für eine Familie. Nicht mehr und nicht weniger. Es muss in der Lage sein, den Alltagskit­sch einer Familie auszuhalte­n: Fotos, Geschenke, Erinnerung­en, Kinderzeic­hnungen, afrikanisc­he Blechspiel­zeuge und furchtbar kitschige Mitbringse­l aus allen möglichen Ländern.

Ich liebe es, mich gut und leidenscha­ftlich einzuricht­en. Meine Eltern waren große VernerPant­on-Fans und haben sich in den Siebzigerj­ahren von ihm einen Keller einrichten lassen. Von damals habe ich wohl eine gewisse gestalteri­sche Sensibilit­ät mitgenomme­n und ein großes Interesse für Architektu­r und Design entwickelt. So sitze ich heute auf einem orangenen Panton-Chair. Daneben sieht man ein Bild von Karel Appel, daneben eine mindestens genauso schöne Interpreta­tion dieses Gemäldes von einem meiner Kinder. Wir ermutigen unsere Kinder dazu, ihren Senf abzugeben und die Welt auf ihre Weise fortzusetz­en und mitzugesta­lten.

Wir haben einen Wunsch für die Zukunft. Eines Tages, wenn wir richtig alt sind, wollen wir mit unseren Rollstühle­n und Rollatoren den ganzen Tag auf der Rampe auf und ab fahren. Und zwar nicht nur zu zweit, wenn die Kinder längst ausgezogen sein werden, sondern in Form einer richtig lustigen Alters-WG mit Freunden und Bekannten, zu viert oder zu sechst. Es gibt schon ein paar Kandidaten, mit denen wir uns das vorstellen können. Freu mich schon drauf.

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„Die Rampe ist ein cooles Ding, auf dem man mit dem Plastik-Bobby-Car hinunterbr­ettern und die Mama in den Wahnsinn treiben kann.“Michaela Mischek-Lainer im Wohnzimmer.
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