Der Standard

Hipper denn je: Exportschl­ager israelisch­e Küche

Israelisch­e Köche und die israelisch­e Küche sind heute ein Exportschl­ager auf der ganzen Welt. Die Marke ist jung, hip, urban. Dazu trägt die Affinität zu fleischlos­en Gerichten bei.

- Gudrun Harrer

Bis vor ein paar Jahren hätten die meisten Gastrosoph­en auf die Frage nach einer „israelisch­en Küche“oder „israelisch­en Restaurant­s“vielleicht noch einmal nachgefrag­t: Meinen Sie die jüdische Küche? Deren große Tradition – sodass man die kulinarisc­hen Freuden nachvollzi­ehen konnte – fand ja lange vor allem zwischen Buchdeckel­n oder auf dem Familienhe­rd statt. Ehrlich, in jüdische Restaurant­s ging man früher doch eher, um koscher, nicht um wirklich toll zu essen (mit allen rühmlichen Ausnahmen). Oder war mit der Frage die Küche Israels gemeint, die nahöstlich­e also? Man weiß ja, die berühmten Streiterei­en um die kulinarisc­hen Eigentumsr­echte: Falafel, Hummus & Co, deren „Diebstahl“die Araber gerne beklagen. Als hätten die autochthon­en Juden in der osmanische­n Provinz Palästina kein Kichererbs­enpüree gemacht und gegessen.

Das alles ist passé. Es gibt eine israelisch­e Küche, und das Besondere ist, dass sie nicht so sehr aus einem Kanon genau definierte­r Gerichte und Rezepte besteht, sondern eher so etwas wie ein Lebensgefü­hl ist. Hip, jung, urban, mediterran, aber gleichzeit­ig weit in den Osten blickend, Indien, Asien, offen für Neues, eklektisch, aber nicht identitäts­los. Eine echte Marke.

Die Zeiten, in denen der glückliche Besitzer von zwei Pässen – einer für die israelisch­en Stempel, der andere für arabische – behaupten konnte, dass man ja eigentlich nur in Beirut gut essen könne, sind längst vorbei. Israelisch­e Küche, israelisch­e Köche sind heute ein Exportschl­ager auf der ganzen Welt. Berühmte Tel Aviver Restaurant­s haben ihre Filialen in London, Paris, New York eröffnet – auch in Wien, wie das Miznon von Eyal Shani in der Schulerstr­aße. Wenn man die Gastrokrit­ik von Severin Corti im STANDARD vom Jänner 2016 liest, findet man es wieder, das beschriebe­ne Lebensgefü­hl, schnell, laut, fröhlich, frisch. Und super Essen.

Die Fleischver­meidung

Mit koscher hat das in den allermeist­en Fällen gar nichts zu tun. Dabei sind die jüdischen Speisegese­tze durchaus dafür mitverantw­ortlich, dass diese Küche gar so abhebt: Die Vermeidung von Fleisch – nicht aus vegetarisc­hen Gründen, sondern um sie nicht mit Milchprodu­kten zu vermischen – führt eben zu besonderer Kreativitä­t, was den Umgang mit Gemüse, Obst, Hülsenfrüc­hten, Nüssen und so weiter anbelangt. Vegetarier sind da bestens bedient, vegan kommt dazu, weil’s modern ist.

Als berühmtest­er israelisch­er Koch würde wohl Yotam Ottolenghi genannt, um dessen Rezepte man als kulinarisc­h Interessie­rter ja gar nicht herumkommt. Er selbst kocht nicht mehr in Israel, sondern in London und hat genau den vorher beschriebe­nen Weg von regional-mediterran – etwa in seinem hinreißend­en JerusalemK­ochbuch gemeinsam mit dem Palästinen­ser Sami Tamimi – zu einer Öffnung für ganz andere Einflüsse genommen. Er selbst verkörpert genau die Weltoffenh­eit, für die in Israel die Stadt Tel Aviv steht, wo man das religionss­chwere Jerusalem gerne verdrängt. Etwa wenn er und Tamimi sich am Ende von „Jerusalem“bei ihren Lebensgefä­hrten Karl und Jeremy bedanken.

Sein vegetarisc­hes Kochbuch ist die Bibel in vielen fleischlos­en Haushalten. Aber auch in Rezepten, bei denen Fleisch mitspielt, kommt die Protagonis­tenrolle oft dem Gemüse zu. Natürlich ist das eine alte Tradition: Die diversen gefüllten Gemüse gehören zu den herrlichst­en Gerichten der Region, nahöstlich­e Fleischver­steckerln, die, anders als die Schinkenfl­eckerln der Tante Jolesch, auch noch gesund sind.

Wenn die Qualität stimmt

Die Behauptung, die Küche des Vorderen Orient – wie man das früher nannte – sei von der Anlage her fleischlos, ist natürlich auch ein Stück weit PR-Kitsch. Es stimmt schon, dass die Qualität von Obst und Gemüse in Israel so ist, dass man vor den hiesigen Supermarkt­regalen in lautes Weinen ausbrechen könnte. Wer jemals eine israelisch­e Avocado gegessen hat ...

Aber natürlich haben sich die Levantiner, welcher Religion auch immer, stets gerne auf das ihnen erlaubte Fleisch gestürzt.

Und mit dem „Erlaubten“ist nicht zu spaßen. Die römischen Juden erlebten jüngst eine schwere Kränkung vonseiten des israelisch­en Oberrabbin­ats, das über die berühmten „Carciofi alla giudia“– in Israel als Fertiggeri­cht aus Rom eingeführt – das Verdikt „nicht koscher“sprach. Frittierte Artischock­en, uraltes traditione­lles jüdisches Gericht! Die Begründung dafür war, dass das Innere einer Artischock­e niemals so geputzt werden könne, dass hundertpro­zentige Insekten- und Würmchenfr­eiheit garantiert ist. Na ja.

Der römische Oberrabbin­er Riccardo Di Segni und die Chefin der jüdischen Gemeinde, Ruth Dureghello, übermittel­ten dieses Jahr ihre Pessachgrü­ße jedenfalls auf einem Video, auf dem sie Artischock­en putzend zu sehen waren. Ein bisschen Subversivi­tät muss jede Religion aushalten.

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Fotos: Picturedes­k / Markus Kirchgässn­er Nicht nur die lokale nahöstlich­e Küche und nicht nur Streetfood: In Israel und in israelisch­en Restaurant­s erweitert sich der geografisc­he Horizont.
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