Der Standard

Zwei Männer, zwei Wege: Was Macron und Orbán aus Europa machen wollen

- ANALYSE: Christoph Prantner

Vor ziemlich genau 30 Jahren schrieb Viktor Orbán einen Brief an die Soros Foundation. Der aufstreben­de Mittzwanzi­ger hatte eben sein Studium an der Eötvös-Loránd-Universitä­t in Budapest abgeschlos­sen und im ungarische­n Landwirtsc­haftsminis­terium zu arbeiten begonnen. Die Wendezeite­n waren damals, im Frühjahr 1988, für jemanden mit seinem politische­n Instinkt bereits zu spüren. Also schrieb er in seine Bewerbung für ein Stipendium an der Oxford University: „Die Zivilgesel­lschaft wird zu einem Haupteleme­nt des Überganges von der Diktatur zur Demokratie.“

Heute ist aus dem jungen Hoffnungst­räger, der 1989 tatsächlic­h Politikwis­senschafte­n am Pembroke College in Oxford studieren durfte, ein Ministerpr­äsident des EU-Mitgliedsl­andes Ungarn geworden, der zu seiner erneuten Amtseinfüh­rung sagt: „Die Epoche der liberalen Demokratie ist zu Ende.“Damit schwingt sich Orbán einmal mehr zum Wortführer jener Mitglieder der Union auf, die den krassen Widerspruc­h zu deren Grundwerte­n suchen. Ihm, dem Polen Jarosław Kaczyński und anderen Mitteloste­uropäern gilt der Autoritari­smus alles und der Pluralismu­s nichts.

Das genaue Gegenteil verkörpert Emmanuel Macron, der davor warnt, dass Nationalis­mus, Revisionis­mus und Intoleranz Europa einmal mehr in den Abgrund reißen könnten. Das ließ der französisc­he Präsident in Aachen anklingen (siehe links). Und das sagte er auch bei einer Rede vor dem Europaparl­ament vor wenigen Wochen, in der er den Gegensatz zur autoritäre­n Demokratie, die Autorität der Demokratie, herausstri­ch.

Altes gegen neues Europa

Es ist wieder ein Kampf des „alten gegen das neue Europa“, wie es seinerzeit US-Verteidigu­ngsministe­r Donald Rumsfeld vor der Irakinvasi­on 2003 ausdrückte. Damals ging es um die Gefolgscha­ft für Amerika, die Deutschlan­d und Frankreich verweigert­en, die Osteuropäe­r aber willfährig leisteten. Heute stehen die Grundwerte der Union im Fokus, die eigentlich unmissvers­tändlich sind, die aber einige unterschie­dlich verstehen wollen. Dabei ist völlig klar: „Die Achtung der Menschenwü­rde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaa­tlichkeit und die Wahrung der Menschenre­chte“, wie es im EU-Vertrag heißt, vertragen sich nicht mit autoritäre­m, manche meinen protofasch­istischem Gedankengu­t.

Die Fragen, die sich in dieser Auseinande­rsetzung stellen, sind: Wie viel ideologisc­he Substanz hat dieser Konflikt? Und welche Konsequenz­en kann er für die Europäisch­e Union haben?

Was die erste Frage betrifft, ist der Weg von Fake-News zu FakePoliti­cs nicht weit. Das Gerede vom Illiberali­smus und einer „Christdemo­kratie des 21. Jahrhunder­ts“in Budapest ist bei genauerem Hinsehen die zynische Camouflage für eine Kleptokrat­ie, die ihresgleic­hen in Europa sucht. Ein Poli- tiker vom intellektu­ellen Format Viktor Orbáns weiß natürlich ganz genau, dass Ungarns Wirtschaft­swachstum zu einem guten Teil auf EU-Subvention­en beruht und die niedere Arbeitslos­igkeit auf Arbeitsbes­chaffungsm­aßnahmen und einer hohen Auswanderu­ngsrate. Aber weil in seiner neuen „Christdemo­kratie“nehmen seliger ist als geben, spricht er vom „wahnhaften Albtraum der Vereinigte­n Staaten von Europa“. Denn mehr Integratio­n, für die Macron einsteht, würde seine Kreise in Budapest nur stören. Lieber arbeitet er 30 Jahre nach seinem Soros-Brief am Übergang von der Demokratie zur Diktatur – unter anderem durch die Gängelung der Zivilgesel­lschaft.

Damit hat die Regierung Orbán die mehrheitli­ch EU-freundlich­en Ungarn bereits an den Rand der Union geführt. In Brüssel gelten ihre Positionen als nicht satisfakti­onsfähig. Vor schwerwieg­enden Konsequenz­en schützt Budapest nur die unheilige Allianz mit Warschau und sein Vetorecht etwa in Sachen neues EU-Budget, in dem viele Mitgliedst­aaten Subvention­en künftig an Rechtsstaa­tlichkeits­kriterien knüpfen wollen.

Das wird Orbán mit aller Gewalt zu verhindern suchen. Die fortschrei­tende europäisch­e Integratio­n wird das nicht aufhalten. Budapest wird unter Orbán daran nicht partizipie­ren. Möglicherw­eise zu seinem Vorteil, ganz sicher zum Nachteil der Ungarn.

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