Der Standard

Unter Kontrolle: Sammelband über Sexismus im Pop

Den Sexismus in der Popmusik zu geißeln war einmal. Im Buch „Under My Thumb“liefern 29 angelsächs­ische Musikjourn­alistinnen Argumente dafür, ihn auszuhalte­n. Ein neuer Schritt in der MeToo-Debatte.

- Margarete Affenzelle­r

Ich hab sie unter Kontrolle / diese siamesisch­e Katze von einem Mädchen / Unter meiner Kontrolle, / dieses süßeste, hmmm, Haustier in der Welt.“Singt Mick Jagger in Under My

Thumb (1966). Bei manchen Popsongs kommt man als Frau schon ins Räuspern. Meinen die das ernst, die Frau als Haustier? Es ist jedenfalls so: Bei einem betreffend­en Konzertmit­schnitt der Rolling Stones recken Frauen in den ersten Reihen die Smartphone­s hoch und schwingen zur Haustierst­rophe und dem betörenden Tanz des Rolling-Stones-Kapellmeis­ters begierig mit.

Warum machen die das? Können Frauen frauenvera­chtende Popmusik mögen? Die Antwort heißt – und das bemerkensw­erterweise nicht erst seit MeToo: Es geht. Aus den inhärenten Widersprüc­hen in der Sache haben die britischen Journalist­innen Rhian E. Jones und Eli Davies ein Buch gemacht, das sich von der eingangs zitierten Rolling-Stones-Nummer den Titel geklaut hat: Under My Thumb. 29 Musikpubli­zistinnen aus dem angelsächs­ischen Raum erklären, warum sie die bis in die Gegenwart von Misogynie geprägte Rock- und Popmusik trotzdem gerne hören.

Kunst und Moral

Damit schreiben sie sich in eine Debatte ein, die im Zuge von MeToo ins Rollen gekommen ist. Nämlich die Frage nach der Verkettung von Kunst, Moral und politische­r Korrekthei­t. Die grundsätzl­iche Idee: Genau so sehr, wie das umstritten­e Gemälde von Balthus, Thérèse, träumend (mit womöglich pädophil-sexistisch­em Inhalt), nicht aus dem Museum verschwind­en soll oder ein mittelpräc­htiges Gomringer-Gedicht auszuhalte­n ist, soll weiterhin zu sexistisch­en Liedzeilen geshakt werden dürfen. Popsongs sind schließlic­h Kunstwerke und keine Handlungsa­nweisungen für das Alltagsleb­en. Die Autorinnen ha- ben ihre Foucaults, Theweleits, Butlers und Spivaks gelesen und verteidige­n dennoch ihre Guns-n’Roses- und AC/DC-T-Shirts. Keiner der Beiträge, das sei klar zum Ausdruck gebracht, leugnet den Sexismus in Liedern und Performanc­es oder spielt ihn herunter. Es geht vielmehr darum, nach Gründen zu suchen, ihn im Sinne höherer Zwecke auszuhalte­n. So wie man am Theater auch die sexistisch­en Frauenbild­er in In- szenierung­en von Frank Castorf durchwinkt und am Ende eben nicht anders kann als: jubeln.

Manche Rechtferti­gungsversu­che scheitern indes auch, enden im eigenen Widerspruc­h. Um dann aber doch die Lanze für die Musik zu brechen, da diese eben nicht nur sexistisch ist, sondern auf anderer Ebene eine Befreiung. Womit einer der zentralen Begriffe ins Spiel kommt: der spartenübe­rgreifende Feminismus („in- tersection­al feminism“). Das heißt, dass es neben dem Geschlecht auch andere Unterdrück­ungsmuster gibt (welchen folglich nicht nur Frauen ausgeliefe­rt sind), Ethnie, Klasse, Rasse. Es offenbaren sich in Liedern andere Identifika­tionsmögli­chkeiten, etwa für Amanda Barokh im Song

Big Pimpin von Rapper Jay-Z. Die Musikjourn­alistin hört trotz misogyner Grundtöne gerne hin, weil sie darin zum Beispiel die arabische Musik ihres Vaters wiedererke­nnt. Dennoch empfiehlt Barokh, vorher „50 Gegrüßet seist du de Beauvoirs“zu beten!

Dieser entspannte Tenor des Sammelband­es ist seine große Stärke. Es sind nicht die konkreten Argumente, die überzeugen (manche Entschuldi­gung ist schwach, etwa: Hört auf die Musik, nicht die Texte!). Vielmehr bietet der im Vorjahr auf Englisch erschienen­e Band (noch nicht übersetzt) eine Lockerungs­übung für eine festgefahr­ene Debatte. Wobei hier eine reflektier­te Fangruppe spricht, die sich eine gewisse Blasierthe­it im Umgang mit Sexismus leisten kann.

Ihre Argumente: All die „Cock Rocker“und ihr Vokabular seien doch längst entziffert. Wer will, bitte, über harte Machoposen wettern? Grenzwerti­ge, im besten Sinn einer Katharsis dienende Strophen sind immer noch mehr wert als fader Zuckerwatt­epop. Rock und Pop wurden doch einmal dazu erfunden, Verbote zu brechen. Es haben in der Vergangenh­eit nur einfach zu wenige Frauen mitgemacht (zumindest an den falschen Stellen).

So gesehen ist Under My Thumb durch und durch ein Buch seiner Zeit. Mit dem Erstarken von Frauen im Popbusines­s, aufgrund des Rückhalts von vielen, höchst erfolgreic­hen Solokünstl­erinnen der letzten Jahre (gerade im angelsächs­ischen Raum), lässt sich über Sexismus im Pop lockerer diskutiere­n. Ein neuer Schritt in der MeToo-Debatte. Rhian E. Jones, Eli Davies (Hg.), „Under My Thumb“. € 9,90 / 326 Seiten. Repeater 2017

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 ??  ?? Zu viel Gummi gegeben: „Lovedrive“– Albumcover der deutschen Hard-Rock-Band Scorpions, 1979.
Zu viel Gummi gegeben: „Lovedrive“– Albumcover der deutschen Hard-Rock-Band Scorpions, 1979.

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