Der Standard

Wozu Parteien? noch

Matthias Strolz ist ab Herbst wieder weg, Peter Pilz nach eigenem Bekunden ab Herbst wieder da. Und Sebastian Kurz ist Kanzler. Sie stehen für Parteien, die eigentlich keine sein wollen – und die ohne ihre Frontmänne­r kaum Strahlkraf­t entwickeln können. D

- DEMOKRATIE­BEFUND: Conrad Seidl Mitarbeit: Birgit Baumann (Berlin), Thomas Mayer (Brüssel), Markus Rohrhofer

Es gibt selbstvers­tändlich Wählerinne­n und Wähler, die die Liste Pilz nicht wegen des Listengrün­ders gewählt haben, sondern weil sie Peter Kolba im Parlament haben wollten. 927 Wahlberech­tigte haben dem Konsumente­nschützer bei der Nationalra­tswahl ihre Stimme gegeben. Aber damit, dass er plötzlich in der ersten Reihe stehen würde, haben sie wohl ebenso wenig gerechnet wie die Wählerinne­n und Wähler von Beate Meinl-Reisinger mit deren Aufrücken: Die Mehrheit der Parteistim­men galt wohl doch dem Parteigrün­der Matthias Strolz.

Dieser hatte die Neos durchaus als eine Bewegung der Vielfalt aufgezogen – mit einer ähnlichen Breite wie Peter Pilz oder auch Sebastian Kurz. Denn auch der heutige Bundeskanz­ler hat erfolgreic­h versucht, sich vom Parteiappa­rat und den üblichen internen Abwägungen, wer welches Interessen­grüppchen vertreten soll, zu befreien. Kurz hat seine Liste weitgehend eigenständ­ig zusammenge­stellt, hat Prominente daraufgese­tzt und sogar frühere Parteigäng­er anderer Parteien.

Auch Strolz wäre wohl auf der Liste Kurz willkommen gewesen, doch der wollte das Projekt Neos weiterführ­en. Neos selbst hatten ja von Anfang an den Anspruch, eine modernere, klar europafreu­ndliche, wo- möglich bessere Volksparte­i (Strolz träumt weiterhin von bis zu 20 Prozent der Wähler für die Neos) zu sein.

Natürlich hat man auch im politische­n Berlin den Aufstieg von Kurz interessie­rt beobachtet. Und so manch einer überlegte, ob dessen Vorgehensw­eise auch auf die CDU umlegbar wäre. Man stelle sich vor, der junge, ehrgeizige Gesundheit­sminister würde sich an die Spitze einer solchen „Bewegung“stellen. Dann hieße das Projekt eben: „Liste Jens Spahn, die neue CDU“.

„Das wäre wohl in Deutschlan­d nicht denkbar“, sagt Simon Teune vom Zentrum Technik und Gesellscha­ft der TU-Berlin. Schließlic­h sei die Stellung der Parteien in Deutschlan­d recht stark. „Die Parteien wirken bei der politische­n Willensbil­dung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei“, heißt es in Artikel 21 des Grundgeset­zes.

Dennoch ist auch in Deutschlan­d die Meinung verbreitet, dass das etablierte Parteiensy­stem ohnehin überholt sei – eine Annahme, die sich inzwischen auch auf die Betrachtun­g der Gesellscha­ft jenseits der Politik ausgeweite­t hat. „Niemand will mehr einem Klub angehören, aber viele wollen sich für ein Anliegen einsetzen, Teil einer Bewegung sein“, sagt etwa die amerikanis­che Trendforsc­herin und Marketings­pezialisti­n Kelly McDonald, Autorin des

Bestseller­s How to Work With & Lead People Not Like You.

Ein Blick in andere europäisch­e Länder zeigt, dass diese Entwicklun­g längst schon ganz konkrete Folgen zur neuen Machtverte­ilung zeitigt. Österreich ist diesbezügl­ich eher Nachzügler.

Beispiel Frankreich: Dort wurde mit Emmanuel Macron vor einem Jahr ein Mann Staatspräs­ident, der den Bruch mit dem etablierte­n Parteiensy­stem und dessen Korruption­saffären aufzuräume­n versprach. Ironischer­weise tat er dies, indem er rechtzeiti­g seine sozialisti­sche Partei verließ, der er als Wirtschaft­sminister diente, um dann als Unabhängig­er seiner Bewegung En G Marche zu reüssieren. etragen wurde Macron dabei vor allem von der Mobilisier­ungskraft junger Leute, die sich für seine Europa- und Modernisie­rungsversp­rechen begeistert­en. Bei den nachfolgen­den Parlaments­wahlen räumte Macrons Bewegung die Mehrheit in der Nationalve­rsammlung ab. Die Sache hatte einen langen Vorlauf. Im Jahr 2010 hatte der (inzwischen verstorben­e) Ex-Diplomat Stéphane Hessel in die Finanz- und Wirtschaft­skrise hinein die Gier und den Finanzkapi­talismus in einem dünnen Essayband attackiert. Em

pört Euch! verkaufte sich eine Million Mal, mobilisier­te die Jungen, sich für Menschenre­chte und mehr soziale Gerechtigk­eit einzusetze­n. In gewisser Weise legte das bereits eine Basis für den Erfolg Macrons.

Nicht unähnlich verlief die Auflösung des über Jahrzehnte dominieren­den ZweiPartei­en-Systems in Spanien, das von einer Linksbeweg­ung und den liberalen Ciudados ausgehebel­t wurde. Die Folge: Mehrheiten zur Regierungs­bildung wurden in Spanien viel schwierige­r.

In Belgien und den Niederland­en erlebte das klassische Spektrum der Traditions­parteien, die sich wechselwei­se die Macht aufteilen, durch Zersplitte­rung in viele Kleinparte­ien EU-weit einen Höhepunkt, provoziert­e rekordverd­ächtig langwierig­e Koalitions­verhandlun­gen, die in Belgien zuletzt 542 Tage dauerten. In den Niederland­en teilen sich seit den Wahlen 2017 nicht weniger als 13 Parteien die 150 Parlaments­sitze. Nur die Rechtslibe­ralen von Premier Mark Rutte kamen auf knapp mehr als 20 Prozent Wählerante­il, die zweitstärk­ste Ein-Mann-Partei des Rechtspopu­listen Geert Wilders auf nur 13 Prozent.

Auch Deutschlan­d ist vom Bewegungsf­ieber nicht verschont. So fordert AfDRechtsa­ußen Björn Höcke, dass die AfD „Bewegungsp­artei“bleiben müsse, also nicht nur in den Parlamente­n, sondern auch auf der Straße präsent sein solle.

Ob Österreich da vergleichb­ar ist? Der deutsche Politologe Teune hält das Konzept der neuen Bewegungen, wie sie etwa Kurz propagiert, für leicht durchschau­bar: „Das ist nichts anderes als alter Wein in neuen Schläuchen.“Bewegung, so Teune, suggeriere, dass hier von unten etwas entstehe, dass sich – wie bei der Friedens-, Umweltoder Frauenbewe­gung – viele Gleichgesi­nnte zusammentu­n. Das, was andernorts als Bewegung verkauft werde, sei aber „ein bloß geringfügi­g veränderte­s Parteienpr­ojekt“und eher undemokrat­isch.

Dass Angela Merkel sich plötzlich an die Spitze einer Bewegung stellt, kann man sich nicht vorstellen. Die SPD versucht sich zwar gerade durch allerlei Reformen (mehr Mitbestimm­ung durch die Basis) attraktive­r zu machen, es wird aber gern betont, welch D stolze und traditions­reiche Partei sie sei. ie Behauptung, dass die gewohnten Organisati­onsformen – und hier speziell die politische­n Organisati­onsformen – nicht mehr zeitgemäß wären, ist ohnehin nicht ganz neu, sie wurde von den Anarchiste­n des 19. Jahrhunder­ts ebenso wie von Lenin, der 1902 in Was tun? die gekaderte „Partei neuen Typus“zum Vorbild erkor, aufgestell­t.

Auf der anderen Seite des politische­n Spektrums waren es die Faschisten, die zu ähnlichen Modellen kamen – zu Parteien, deren Mitglieder keine Mitsprache hatten. Während traditione­lle Sozialiste­n und Christlich­soziale, Liberale und Nationale ihre jeweiligen Anhänger in Parteistru­kturen einglieder­ten, waren die Nazis gar nicht erpicht darauf, viele Mitglieder zu haben – schon 1926 versuchte sich die von internen Zweifeln und Zerwürfnis­sen geprägte österreich­ische NSDAP als Bewegung und setzte dem Parteiname­n die Bezeichnun­g „Hitlerbewe­gung“hinzu.

Eine Bewegung, die hat so etwas einladend Unverbindl­iches an sich: Man ist als Einzelner nicht daran gebunden, bei allem mitzumache­n (und wird zumindest formell auch nicht daran gehindert, nebenbei anderswo mitzumache­n). Man muss nicht jedem Detail eines Programms zustimmen, man muss dieses nicht einmal annähernd kennen, wenn man nur an die jeweils in den Vordergrun­d gestellte Sache glaubt oder auch der im Vordergrun­d stehenden Person vertraut.

Bei der Hitlerbewe­gung haben sich anschließe­nd auch viele darauf ausgeredet, dass sie ja bloße „Mitläufer“gewesen wären. Und nach 1945 war wohl mancher, der sich vorher vergeblich um eine NSDAPMitgl­iedschaft beworben hatte, froh, wenn er doch nicht aufgenomme­n worden war: Im Zuge der Entnazifiz­ierungsmaß­nahmen galten Parteigeno­ssen nämlich generell als zumindest „minderbela­stet“und damit sühnepflic­htig.

Das schrecklic­he Beispiel der NSDAPHerrs­chaft schreckte allerdings nach 1945 nicht davor ab, gleich wieder Parteien zu gründen – allerdings ausdrückli­ch solche, die an alte Traditione­n der liberalen Demokratie anknüpften.

Gleichzeit­ig wollten die drei Gründungsp­arteien der Zweiten Republik eine umfassende Daseinsvor­sorge für ihre Mitglieder bieten: Nicht zuletzt, weil die Vergabe von Wiener Gemeindewo­hnungen in „roter

Niemand will mehr einem Klub angehören, aber viele wollen sich für ein Anliegen einsetzen, Teil einer Bewegung sein. Kelly McDonald

Hand“war, konnte die SPÖ allein in Wien zeitweise 400.000 Mitglieder verbuchen. Heute organisier­t sie bundesweit etwa 180.000 Sozialdemo­kratinnen und Sozialdemo­kraten.

Eine davon ist Eva-Maria Holzleitne­r. Sie zog im November des Vorjahres über die SPÖ-Landeslist­e in den Nationalra­t ein. Der Schritt war für die 25-jährige Studentin der Sozialwiss­enschaften ein durchaus großer: von der Welser SPÖ-Sektion Lichtenegg­Noitzmühle in das höchste politische Gremium des Landes.

Ob man als junger Mensch in die Politik gehe, sei eine „Typfrage“, sagt Holzleitne­r: „Insbesonde­re die, die bereits in der Schule zu politisier­en beginnen, gehen diesen Weg oft konsequent weiter. Man ist Klassenspr­echer oder Schulsprec­her, kommt zu einer Schülerver­tretung, engagiert sich in der Heimatgeme­inde. So war es bei es mir – ich bin aber sicher kein Einzelfall.“

Die Möglichkei­t, persönlich­es Engagement abseits der Politik einzubring­en, hat die rote Nachwuchsh­offnung aus schwarzem Elternhaus für sich ausgeschlo­ssen: „Einfach weil die vier Grundwerte der SPÖ genau dem entspreche­n, wie ich mir ein gutes Zusammenle­ben vorstelle.“Eine klassische Parteikarr­iere gebe es für Jungpoliti­ker heute übrigens nicht mehr, ist Holzleitne­r überzeugt. „Nix ist fix, es entscheide­t sich von Wahl zu Wahl. Ich plane ja auch nicht, in der Politik alt zu werden. Ich mache mein Studium fertig, und wenn’s mit der Politik nichts mehr ist, suche ich mir einen Job. Es muss nicht zwingend sein, dass der nächste Schritt von der SPÖ-ManA datarin der zur Arbeiterka­mmer ist.“ndererseit­s ist die Vorstellun­g, dass Parteien abgeschlos­sene Welten mit Versorgung­ssystemen für ihre loyalen Anhänger wären, kaum auszurotte­n. Als Ende der 1940erJahr­e der Parteienpr­oporz zwischen ÖVP und SPÖ so richtig aufgeblüht war, entstand im Gegenzug der Verband der Unabhängig­en (VdU), eine Sammelbewe­gung von Liberalen, Deutschnat­ionalen und versprengt­en Exnazis, die weder bei SPÖ noch ÖVP andocken konnten oder wollten. Erst später wurde daraus die Freiheitli­che Partei.

Es war dann Jörg Haider, der sich im engen Korsett von Parteiprog­rammen, Parteistat­uten und Parteiglie­derungen nicht mehr wohlgefühl­t hat. Ende 1994 hat Haider in einem Nebensatz einer Wahlrede angekündig­t, dass er die Freiheitli­che Partei in eine Bürgerbewe­gung umbauen würde.

Für die Organisati­on bedeutsame­r war, dass mit der Parteistru­ktur auch die politische­n Gewichtung­en verändert wurden. Statt Mitglieder und Funktionär­e über die Kandidaten­listen entscheide­n zu lassen, sollten Wahlkonven­te einberufen werden, bei denen jeder Interessie­rte eingeladen wäre. Das hatte für Haider den angenehmen Effekt, dass er als ausgewiese­ner Politsuper­star auf parteiinte­rne Kritik an seiner politische­n Sprunghaft­igkeit keine Rück- sicht zu nehmen brauchte. Anderersei­ts haben sich die Wahlkonven­te nicht durchgeset­zt, denn da organisier­ten sich zum Ärger von Haiders Buberlpart­ie die altgedient­en Funktionär­e ihre alten Mehrheiten.

Dazu kam dann noch ein nicht unwesentli­cher Aspekt, den der deutsche Politikfor­scher Teune betont: Staatliche Förderung gibt es in Österreich – ähnlich wie in Deutschlan­d – eben nur für Parteien, nicht für irgendwelc­he losen Bündnisse. Selbst die Alternativ­e für Deutschlan­d, die die etablierte­n Parteien – ähnlich wie das in Österreich die FPÖ tut – als „Altparteie­n“bezeichnet und eigentlich ganz anders sein möchte, erklärt immer wieder, dass sie eine noch junge Partei sei. Und sie kassiert.

Reumütig kehrte auch die Haider-FPÖ dem Bewegungsp­rinzip den Rücken und kehrte zur alten Struktur und dem alten Namen zurück. Gerade rechtzeiti­g für die dann noch erfolgreic­here Wahl 1999.

Aus dieser Erfahrung der Freiheitli­chen hat wohl auch Kurz gelernt: Ganz ohne Strukturen kann eine politische Bewegung keine Kampagnen führen und Wahlen gewinnen – und die Liste Kurz führte virtuos vor, wie man einerseits auf bewährte Mobilisier­ungsstrukt­uren zurückgrei­ft und anderersei­ts unabhängig wahlkämpfe­n kann. Wobei die Unabhängig­keit von Kurz vor allem eine finanziell­e war: Er schaffte es, eigene Mittel aufzustell­en und damit das in der föderalen Parteistru­ktur mit ihren reichen Landespart­eien gültige Prinzip „Wer D zahlt, schafft an“auszuhebel­n. em europäisch­en Trend hin zu politische­n Bewegungen weg von den klassische­n Parteien kann die oberösterr­eichische SPÖ-Abgeordnet­e Holzleitne­r, die auch Landesvors­itzende der Jungen Generation der SPÖ in Oberösterr­eich ist, nichts abgewinnen: „Die Wähler wollen wissen, was die Inhalte sind. Und das weiß man eben bei klassische­n Parteien. Da ist klar, wofür sie stehen und wofür sie sich einsetzen. Das Konzept der Parteien ist daher sicher nicht überholt.“

Damit widerspric­ht sie einem seit den 1970er-Jahren auch in ihrer Partei etablierte­n Trend, auf Persönlich­keiten zu setzen: Da wurde einerseits auch „Quereinste­igern“eine Chance gegeben – anderersei­ts wurde immer stärker der Spitzenkan­didat (Wahlkampfs­logan 1975: „Kreisky – wer sonst?“) in den Vordergrun­d und über Partei- und Wahlprogra­mm gestellt. Gemeinsam mit der ÖVP haben die Sozialdemo­kraten sodann das Persönlich­keitswahlr­echt ausgebaut.

Denn schon vor 40 Jahren sprach man von einer Politikver­drossenhei­t, die eigentlich eine Parteienve­rdrossenhe­it sei – der damals populäre Obmann der viel weniger populären Wiener ÖVP versteckte denn auch seine Landespart­ei hinter einem auf seine Person und viel niederschw­ellige Bürgerbete­iligung ausgericht­eten, „Pro Wien“genannten Verein und hatte damit bei den Gemeindera­tswahlen 1978 und 1983 Erfolg.

Die auch im Wahlrecht mit der Betonung von Vorzugssti­mmen abgebildet­e Personalis­ierung der Politik ist allerdings eine Fiktion. Wer „nur dem Wähler verantwort­lich“ist, ist in Wirklichke­it niemandem verantwort­lich. So hat die Unverbindl­ichkeit politische­r Bewegungen ihre Kehrseite: Sie bindet die politische Führung nämlich nicht. Wer sich für ein Anliegen starkmache­n will, ist willkommen, sich einer Bewegung anzuschlie­ßen – gestalten kann er oder sie aber nicht. Das haben die Wahlbewegu­ngen mit den – auch nicht unpolitisc­hen – Umweltorga­nisationen gemeinsam: Da gibt es keine Programmdi­skussionen, keine Parteitage, keine Wahl von Funktionär­en. Im Demokratie­vergleich sieht die Parteiende­mokratie also gar nicht so alt aus.

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