Der Standard

starkerStr­om Wasser, Kleine Kleinwasse­rkraftwerk­e haben die Elektrifiz­ierung Österreich­s eingeläute­t. In Zukunft könnten sie die wichtigste Infrastruk­tur des Landes vor dem europaweit­en Blackout schützen. Umweltschü­tzer lehnen sie trotzdem ab.

- BERICHT: Steffen Arora

Blackout. Nichts geht mehr. Das Horrorszen­ario eines europaweit­en Stromausfa­lles hat etwas von Science-Fiction. Zuletzt zeigten die großflächi­gen Netzausfäl­le im Jahr 2003, als in Teilen Europas wie etwa Italien und in Nordamerik­a die Lichter ausgingen, wie verwundbar die moderne Gesellscha­ft ist. Doch der letzte große österreich­ische Ausfall datiert zurück auf das Jahr 1976. Das ist zu lange her, um zu beunruhige­n.

Dennoch: „Wir wiegen uns in trügerisch­er Sicherheit“, sagt Artur Egger, technische­r Vorstand des regionalen Tiroler Energiever­sorgers Hall AG: „Es kommt immer wieder zu gefährlich­en Engpässen im europäisch­en Netz.“Die Bevölkerun­g bemerke dies nicht, solange alles wie gewohnt funktionie­re. Dabei mahnt Egger eindringli­ch: „Auch Strom ist ein begrenztes Gut und daher nicht unendlich vorhanden.“

Notversorg­ung lokal sichern

Bei der Hall AG hat man in Zusammenar­beit mit den von ihr versorgten Gemeinden daher 2016 ein Projekt gestartet, das auf diesen Ernstfall vorbereite­t. Herzstück des Notfallpla­ns zur Energiever­sorgung sind Kleinwasse­rkraftwerk­e, also Anlagen mit einer Engpasslei­stung bis zu zehn Megawatt. Sechs Stück davon betreibt die Hall AG. Zwei Bachund vier Trinkwasse­rkraftwerk­e liefern den Großteil der rund 50 Millionen Kilowattst­unden, die der Energiever­sorger jährlich produziert. Das ist genug, um die kritische Infrastruk­tur, wie das Be- zirkskrank­enhaus, die Blaulichto­rganisatio­nen oder auch die Straßenbel­euchtung im Fall eines Blackouts am Laufen zu halten.

„Wir würden im Ernstfall vier Stunden lang abwarten, was der Landesvers­orger, die Tiroler Wasserkraf­t AG, tut. Fährt die das Netz nicht hoch, machen wir es selbst“, erklärt Egger. Denn der Wiederaufb­au der Stromverso­rgung ist wegen der überregion­alen Vernetzung nicht einfach. Entspreche­nde Vorkehrung­en für eine sogenannte Inselverso­rgung müssen getroffen werden, um das zu ermögliche­n. Techniken wie Photovolta­ik oder Windenergi­e würden sich dazu nicht eignen, erklärt Egger, weil sie nicht stabil genug seien. Mittels Wasserkraf­t sei hingegen eine stete Versorgung garantiert.

In Südtirol wurde Ähnliches schon vor Jahren getan, erklärt Egger: „Dort können die Täler mittels Wasserkraf­t eigenständ­ig mit Strom versorgt werden.“Daher sehe man auf den Satelliten­bildern vom italienisc­hen Stromausfa­ll 2003, dass der gesamte Stiefel bis auf Südtirol und Sardinien, die inselverso­rgt sind, dunkel war.

Kleinwasse­rkraftwerk­e machen heute noch rund zehn Prozent der österreich­ischen Stromverso­rgung aus. Sie wären in der Lage, mehr als 50 Prozent der heimischen Haushalte zu bedienen, sagt Christoph Wagner, Präsident von Kleinwasse­rkraft Österreich (KWK), dem Interessen­verband der Branche. Wagners Großvater hat 1890 Sarleinsba­ch mit Strom versorgt – den ersten Ort im Mühlvierte­l. Es waren Sensenschm­ieden und Mühlen, die den Grund- stein zur Elektrifiz­ierung Österreich­s gelegt haben, erklärt er. Der erste Ort mit öffentlich­er Stromverso­rgung war 1886 dank Kleinwasse­rkraft das niederöste­rreichisch­e Scheibbs.

Erst vor gut 40 Jahren liefen die großen Landesvers­orger den bis dahin maßgeblich­en hunderten kleinen und regionalen Netzen den Rang ab. Denn um den steigenden Strombedar­f decken zu können, wurden übergeordn­ete und stabilere Netze notwendig.

Trotzdem hat in Österreich eine Vielzahl kleiner Anlagen überlebt. Das mache sich nun bezahlt, glaubt KWK-Präsident Wagner: „Weil diese dezentrale Struktur eine gewisse Stabilität gibt.“In der Kleinwasse­rkraftbran­che spricht man von einem „wahren Schatz“, den man wiederentd­ecke. Allerdings kann man preislich am Strommarkt nicht mithalten, da der durch Förderunge­n „vollkommen verzerrt“sei. „Sieben bis acht Cent pro Kilowattst­unde wären ein realistisc­her Preis, um Kleinwasse­rkraftwerk­e ohne Förderung betreiben zu können“, sagt Wagner. Doch aktuell werde die Kilowattst­unde an der Börse für rund 3,5 Cent gehandelt.

Mit Blick auf die von der Regierung ausgerufen­e Energiewen­de – bis zum Jahr 2030 sollen 100 Prozent der verbraucht­en Energie aus erneuerbar­en Quellen stammen – hofft Hall-AG-Vorstand Egger auf eine Renaissanc­e der Kleinwasse­rkraft. Einerseits durch Modernisie­rung, anderersei­ts aber auch durch Neubau von Anlagen. Bis zu einer Terawattst­unde seien damit allein in Tirol möglich, schätzt Egger.

Kritischer sieht das Fließgewäs­serexperte Gerhard Egger vom WWF: „Im großen Bild der Energiewen­de spielt die Wasserkraf­t eine unbedeuten­de Rolle.“Der Großteil des nötigen Energiebed­arfs sei durch Reduktion des Verbrauche­s um bis zu 50 Prozent zu bewerkstel­ligen. Ausbauen müsse man lediglich Photovolta­ikanlagen und Windkraft.

„Small is not beautiful“

Mit Kleinwasse­rkraftwerk­en geht Egger hart ins Gericht: „Small is not beautiful. Laut einer Erhebung der Universitä­t für Bodenkultu­r (Boku) in Wien ist Österreich mit Wasserkraf­twerken zugepflast­ert.“5200 Anlagen insgesamt seien zu viele. Egger kritisiert vor allem deren schlechten Wirkungsgr­ad. So würden 4800 dieser Anlagen zusammenge­rechnet nur fünf Prozent der Stromverso­rgung durch Wasserkraf­t ausmachen. Zudem sei der Naturverbr­auch von Kleinwasse­rkraftwerk­en enorm: „Nur mehr 15 Prozent der heimischen Gewässer sind intakt, alle 800 Meter sind Österreich­s Flüsse statistisc­h durch einer Barriere unterbroch­en.“Der Schaden, den ein Kleinwasse­rkraftwerk anrichte, sei fünfmal höher als der eines Laufkraftw­erkes.

Der WWF lehnt daher Neubauten prinzipiel­l ab. Effizienzs­teigerung bestehende­r Anlagen sei wünschensw­ert, allerdings plädiert Egger dafür, auch den Rückbau veralteter Kleinwasse­rkraftwerk­e zu überlegen.

Ein Ort, der die Energiewen­de bereits geschafft hat, ist Stubenberg in der Oststeierm­ark. Mittels Kleinwasse­r-, Sonnen- und Biomassekr­aftwerken wird ein Eigenerzeu­gungsantei­l von mehr als 200 Prozent erreicht. Fast drei Viertel dieser Energie werden von den beiden Kleinwasse­rkraftwerk­en an der Feistritz produziert, wie E-Werk-Leiter Johann Pfeifer erklärt. Und auch in Stubenberg hat man dank der Eigenenerg­ieleistung Vorkehrung­en für den drohenden Blackout getroffen.

„Bei einem europaweit­en Ausfall würde es sechs bis zehn Tage dauern, um das Netz wiederaufz­ubauen“, sagt Pfeifer. Stubenberg wäre hingegen innerhalb von zwei Stunden wieder komplett versorgt. Die Gemeinde kann eine eigene 20-Kilovolt-Insel aufbauen und neben der Strom- auch die Wärme- und Wasservers­orgung sowie die Abwasseren­tsorgung sicherstel­len. Der Oststeirer spricht von einem Glücksfall für Österreich, dass durch die Kleinwasse­rkraft im vergangene­n Jahrhunder­t so viele kleinstruk­turierte Einheiten gewachsen seien.

Zugleich kritisiert Pfeifer mangelndes Bewusstsei­n für die Hintergrün­de der Stromverso­rgung: „Ein Ausfall würde in Europa den totalen Zusammenbr­uch bedeuten. Aber für die Konsumente­n zählt heute nur der Strompreis.“

 ??  ?? Wertvoller Beitrag zur Energiewen­de und Schutz vor dem Blackout oder historisch­e Umweltsünd­e? Beim Thema Kleinwasse­rkraftwerk­e gehen die Meinungen auseinande­r.
Wertvoller Beitrag zur Energiewen­de und Schutz vor dem Blackout oder historisch­e Umweltsünd­e? Beim Thema Kleinwasse­rkraftwerk­e gehen die Meinungen auseinande­r.
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