Der Standard

Morgenröte für Tschechien­s Kommuniste­n

Mögliche neue Koalition will sich von der weitgehend unreformie­rten Partei stützen lassen – und sorgt damit für Kontrovers­en

- Gerald Schubert

– So nah dran waren sie noch nie: Zum ersten Mal seit der Wende des Jahres 1989 dürfen sich die tschechisc­hen Kommuniste­n reale Chancen ausrechnen, bei der Regierungs­arbeit ein Wörtchen mitzureden. Zwar sollen keine Vertreter der Kommunisti­schen Partei Böhmens und Mährens (KSČM) am Kabinettst­isch sitzen, ihre Abgeordnet­en aber wollen im Parlament eine Minderheit­sregierung der liberal-populistis­chen Partei Ano von Premier Andrej Babiš und der Sozialdemo­kraten (ČSSD) stützen – und sich damit ihren Anteil an der Macht sichern.

Gewählt wurde im vergangene­n Oktober. Ano konnte sich damals mit fast 30 Prozent der Stimmen einsam an die Spitze setzen. Die Bildung einer Koalition aber erwies sich als schwierig: Der Mil- liardär Babiš wird wegen angebliche­n EU-Subvention­sbetrugs strafrecht­lich verfolgt, weshalb die anderen Parteien ihm die Gefolgscha­ft verwehrten. Also regiert Babiš derzeit mit einem Ein-Parteien-Kabinett – und ohne Mehrheit im Parlament.

„Kein großes Problem mehr“

Am Freitag wurden nun entscheide­nde Weichen auf dem Weg zu einer neuen Regierung gestellt: Der Ano-Parteivors­tand hat einen Koalitions­vertrag mit den Sozialdemo­kraten gebilligt. Diese sollen – mit Blick auf die Betrugscau­sa Babiš – unter anderem das Innenminis­terium kontrollie­ren. Zudem soll der Koalitions­vertrag aufgelöst werden, wenn „ein Mitglied der Regierung“verurteilt wird – und nicht selbst zurücktrit­t.

Bleibt ein Problem: Ano und ČSSD haben gemeinsam gar keine Mehrheit. Die bürgerlich­en Parteien haben eine Zusammenar­beit mit Babiš ausgeschlo­ssen, dieser wiederum will – genau wie die Sozialdemo­kraten – nicht auf die rechtsextr­eme Partei Freiheit und direkte Demokratie (SPD) angewiesen sein. Und so werden nun voraussich­tlich die Kommuniste­n zu Königsmach­ern.

„Laut Umfragen sieht eine Mehrheit der Tschechen darin heute kein großes Problem mehr“, sagt der Prager Politologe Jiří Pehe zum Die Kommuniste­n seien – obwohl weitgehend unreformie­rt – seit fast 30 Jahren Teil des politische­n Systems. Die personell eher alte Partei löse nicht solche Ängste aus wie neue Bewe- gungen, die „von zornigen jungen Männern unterstütz­t werden, wie das bei der SPD der Fall ist“, so Pehe. Auch von inhaltlich­en Forderunge­n wie etwa dem Austritt aus der Nato sei die KSČM abgerückt – und würde dafür durch diverse Aufsichtsr­atsposten in staatliche­n Unternehme­n entlohnt.

Konservati­ve schlagen dennoch Alarm. Petr Fiala, Chef der Bürgerdemo­kraten (ODS), spricht vom „Überschrei­ten einer roten Linie“und fürchtet unter anderem Probleme für Tschechien­s Außenpolit­ik. Auch dass der gebürtige Slowake Andrej Babiš in Bratislava als ehemaliger Agent des kommunisti­schen Geheimdien­stes geführt wird – ein Vorwurf, den er bestreitet–, passt für viele gut ins Bild. Sie setzen nun auf die Sozialdemo­kraten, die den Koalitions­vertrag mit Ano in einem Mitglieder­votum absegnen müssen.

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Foto: AFP/Cizek Immer wieder wird in Tschechien gegen wachsenden Einfluss der Kommuniste­n demonstrie­rt. Manche wollen die Partei gar verbieten (links).

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