Der Standard

Notfalldie­nst ignorierte Anruf, Frau tot

Strafverfa­hren gegen französisc­he Erste-Hilfe-Einrichtun­g eröffnet

- Stefan Brändle aus Paris

Naomi Musenga aus Straßburg war 22 Jahre alt, Mutter eines einjährige­n Kindes und Mannequin für Modeschöpf­er im Elsass. Wegen zunehmende­r Bauchschme­rzen rief sie den Notfalldie­nst an, in Frankreich Samu genannt. Der publik gewordene Dialog mit der diensthabe­nden Angestellt­en geht nun durch die Medien.

„Hallo, bitte helfen Sie mir“, sagt Naomi mit flehender Stimme. „Was ist los?“, erkundigt sich die Samu-Mitarbeite­rin barsch. Die Anruferin meint, ihr tue alles weh, vor allem in der Bauch- und Herzgegend. „Helfen Sie mir!“, wiederholt sie. Schroffe Antwort: „Wenn Sie mir nicht sagen, was Sie haben, hänge ich auf. Rufen Sie einen Arzt an.“Naomi antwortet leise, sie schaffe dies nicht mehr: „Ich bin am Sterben.“Darauf die Notruffrau, die sich offenbar mit einer Kollegin amüsiert: „Ja, eines Tages sterben wir alle.“Naomi bittet die Frau nochmals inständig um Hilfe: „Ich habe Bauchschme­rzen, starke Schmerzen.“Als einzige Antwort kommt die Aufforderu­ng, den kostenpfli­chtigen Service SOS Médecins zu kontaktier­en. „Einverstan­den“, sagt Naomi kaum mehr hörbar.

Arzt kam zu spät

Stunden später gelingt es ihr, einen Arzt aufzutreib­en. Der ordnet umgehend die Einweisung ins Spital an – aber zu spät: Die junge Frau stirbt an einer inneren Blutung, die laut Autopsie eine unglücklic­he Folge mehrerer medizinisc­her Faktoren war.

Der Fall sorgt in Frankreich für Empörung. Er hatte sich schon im vergangene­n Dezember ereignet, war aber vorerst folgenlos geblie- ben. Deshalb publiziert­e die Familie der Verstorben­en nun das vorschrift­sgemäß aufgezeich­nete Protokoll und verlangte in einer Pressekonf­erenz am Donnerstag Aufklärung von der Justiz.

Jetzt reagierten die Behörden blitzschne­ll. Gesundheit­sministeri­n Agnès Buzyn zeigte sich auf Twitter als „tief betroffen“vom „schwerwieg­enden Fehlverhal­ten“. Die Staatsanwa­ltschaft in Straßburg eröffnete ein Strafverfa­hren wegen „unterlasse­ner Hilfeleist­ung“. Die langjährig­e NotfallAng­estellte wurde vom Dienst suspendier­t. Der Fall schlägt hohe Wellen, weil viele Franzosen die schroffe Behandlung aus eigener Erfahrung kennen. Im März war eine 73-Jährige im Notfalldie­nst des Universitä­tsspitals Reims einem Herzinfark­t erlegen – nachdem man sie zweieinhal­b Stunden lang in einem Korridor liegen ließ.

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