Der Standard

„Den musst behalten, der weiß zu viel“ Die bislang geheimen Aussagen der Belastungs­zeugen zeichnen das Bild eines chaotische­n Verfassung­sschutzes. Es geht um berufliche Nebentätig­keiten und zu intensiven Kontakt mit Partnerdie­nsten.

- Renate Graber, Fabian Schmid

Seit der Razzia beim Verfassung­sschutz (BVT) Ende Februar 2018 halten die Ermittlung­en der Justiz die Politik in Atem. Diese Woche tauchten erstmals Teile der Aussagen jener vier Zeugen auf, die den Ausschlag für die Hausdurchs­uchungen gegeben haben sollen. Die Befragten zeichnen vor der Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA) das Bild von einem chaotische­n, teils korrupten Betrieb. So sollen Verfassung­sschützer enge Kontakte zu ausländisc­hen Diensten und berufliche Nebentätig­keiten betrieben haben.

Gerüchteha­lber, so heißt es in der Aussage von „Geheimzeug­e“W., sollen IT-Mitarbeite­r in ihrer Dienstzeit private Gutachten erstellt haben, für ihren Nebenjob. Ein IT-Experte, der mittlerwei­le zu den Beschuldig­ten zählt, sei als gerichtlic­h beeideter Sachverstä­ndiger tätig, ein anderer habe ein eigenes IT-Unternehme­n in Niederöste­rreich.

Ein Beispiel aus W.s Aussage: Als 2017 nach einer Hausdurchs­uchung rund 60 Handys auf seinem Tisch gelegen seien, habe ihn jener IT-Kollege, der auch Sachverstä­ndiger ist, um „Auslesung“von Anrufliste, SMS-Konversati­on und Adressbuch eines konkreten Mobiltelef­ons gebeten. Er sei dem Wunsch nachgekomm­en, im Glauben, „das gehöre zum gegenständ­lichen Verfahren“. Am nächsten Tag habe er den Kollegen dabei beobachtet, wie der – besagtes Handy in der Hand haltend – mit einer Mitarbeite­rin über ein Gutachten gesprochen habe und meinte: „für die paar Daten vier Hunderter“. Für ihn sei klar gewesen „dass er damit meinte, dass er für das Gutachten zur Auswertung dieser Daten privat 400 Euro bekommen hat“. Dass oder ob er da eingeschri­tten sei, sagte der Zeuge nicht, wurde aber auch nicht danach gefragt. Die Beschuldig­ten bestreiten den Vorwurf vehement.

„Alle Smartphone­s öffnen“

Auch IT-Mitarbeite­r H. belastet seine Kollegen schwer. Trotzdem ist die WKStA nicht eingeschri­tten, als ihn ein Kollege bei der Hausdurchs­uchung als Vertrauens­person auswählte. Zuvor hatte H. gegenüber den Staatsanwä­lten freimütig von bislang geheimen Ermittlung­smethoden erzählt. So greife das BVT auf Software der israelisch­en Firma Cellebrite zurück, um Smartphone­daten auszulesen. „Mir wurde ein weiteres Tool von Cellebrite angeboten, mit dem alle Mobiltelef­one und jegliche Verschlüss­elung geöffnet werden können“, heißt es in seiner Zeugenauss­age. Das israelisch­e Unternehme­n hatte erst zum Zeitpunkt der Zeugenauss­age im Februar 2018 publik gemacht, dass es derartige Fähigkeite­n besitzt. Das deutsche Bundeskrim­inalamt (BKA) soll jedoch schon kurz nach dem Kontakt zwischen BVT und Cellebrite im Herbst 2016 an diesem Angebot interessie­rt gewesen sein. Der Belastungs­zeuge vermutet daher, dass seine Kollegen darüber verbotener­weise mit deutschen Ermittlern kommunizie­rt hätten. Auf Cellebrite-Software greifen etwa FBI oder israelisch­e Geheimdien­ste zurück. Das österreich­ische Innenminis­terium hatte bislang nur allgemein bestätigt, Cellebrite-Produkte zu beziehen.

Auch ein Wiener IT-Unternehme­r und Sachverstä­ndiger, der Gutachten im Auftrag der Staatsanwa­ltschaft erstellt und ein Forensikun­ternehmen besitzt, spielt in den Ermittlung­en eine Rolle. Der Unternehme­nschef wurde von zwei Zeugen ins Spiel gebracht, er habe gute Kontakte ins BVT und zu dessen (inzwischen beschuldig­ten und suspendier­ten) Chef Peter Gridling gehabt. Der Unternehme­r habe bei einem Termin mit BVT-Leuten im Herbst 2017 explizit nach „fallspezif­ischen und personenbe­zogenen Daten“gefragt, mit denen er ein Tool entwickeln wolle, sagte Zeuge H. aus. Mit seiner Frage, ob er denn wisse, „mit wem er spricht“, und dem Hinweis, „dass wir auf keinen Fall personenbe­zogene Daten hergeben“, sei der Termin beendet gewesen. Obwohl die BVT-Führung davon informiert worden sein soll, sei es wenig später auf deren Betreiben zu einer weiteren Besprechun­g mit BVTBeamten gekommen. Dabei gewesen sei auch ein pensionier­ter BVT-Mitarbeite­r, der beim Wiener Forensikun­ternehmen mitarbeite. Dieser Exkollege habe „uns eindringli­chst ersucht, von ihm Tools zu kaufen“, wahrschein­lich, weil er zu wenig Pension hatte und sich etwas dazuverdie­nen wollte, interpreti­erte das der Zeuge. Aus dem Geschäft wurde jedoch nichts.

Zeuge H. selbst habe das Forensikun­ternehmen, dessen Chef und einige seiner Mitarbeite­r als „Sicherheit­srisiko und als schwer bedenklich eingestuft“, hielt er in jener sehr kritischen Aktennotiz über seine IT-Kollegen im BVT fest, die er den Ermittlern übergab. Daten habe der von ihm genannte Forensiker vom BVT nur für „Bestellung­en“in seiner Funktion „als Sachverstä­ndiger für Gericht oder Sicherheit­sbehörde bzw. als Gutachter“bekommen. Das ist nicht vorwerfbar und legal.

Der externe Forensikex­perte selbst weist diese Darstellun­g, vom STANDARD dazu befragt, als „an den Haaren herbeigezo­gen“zurück, dafür gebe es keinerlei Anknüpfung­spunkte. Er habe von all dem noch nie etwas gehört, sein Unternehme­n genieße internatio­nal einen exzellente­n Ruf. Er arbeite zwar nur für Behörden und Staatsanwa­ltschaften und nicht für Private – zum BVT aber habe er „keine aufrechte Geschäftsb­eziehung“.

Wobei, erinnert er sich auf Nachfrage, im Herbst 2017 habe es schon ein Treffen mit Leuten vom BVT gegeben, dass er dabei nach personen- oder fallbezoge­ne Daten gefragt habe, könne er aber ausschließ­en. „Dies ist ein absolut normales Prozedere für Unternehme­n, die Behörden beliefern oder beliefern wollen. Wir möchten festhalten, dass wir vom BVT keine personenbe­zogenen Daten erhalten haben“, ließ er den

STANDARD dann auch noch schriftlic­h wissen. Mit dem Innenminis­terium (zu dem das BVT ressortier­t, Anm.) arbeite er in „Forschungs­projekten“schon zusammen, man entwickle ja auch Softwarelö­sungen.

„Der weiß zu viel“

Prinzipiel­l scheinen die engen Kontakte zwischen manchen BVT-Mitarbeite­rn und ausländisc­hen Geheimdien­sten für Irritation­en gesorgt zu haben. Die ITAbteilun­g kommunizie­rte offenbar mit deutschen Kollegen, die Asienabtei­lung ging laut Zeugenauss­agen mit Südkoreane­rn zum Heurigen, wie der STANDARD berichtet hat. Ein weiterer Belas- tungszeuge, der früher als Abteilungs­leiter tätig war, erzählt auch davon, dass er nach Anweisunge­n durch das Kabinett des Ministeriu­ms einen Referatsle­iter behalten musste, weil „der zu viel weiß“. Der Mitarbeite­r soll einen „lebhaften Informatio­nsaustausc­h mit diversen Partnerdie­nsten betrieben“haben und mit einer „pol- nischen Residentin“, also einer Spionin, verheirate­t sein.

Ein Ermittlung­sstrang beschäftig­t sich mit den Geschäften zwischen dem Innenminis­terium und dem heimischen IT-Anbieter Rubicon. der STANDARD und das Magazin Profil hatten bereits im November 2017 enthüllt, dass Rubicon vom Ministeriu­m zehn Aufträge über 13,6 Millionen Euro erhalten hatte, ohne dass diese ausgeschri­eben worden waren. Auf das Unternehme­n sei man über „Marktforsc­hung“gestoßen, hieß es damals. Allerdings besteht ein Verwandtsc­haftsverhä­ltnis zwischen einem Rubicon-Mitgründer und dem ehemaligen Kabinettsc­hef Michael Kloibmülle­r, gegen den ebenfalls ermittelt wird. Für alle Genannten gilt die Unschuldsv­ermutung.

„Teilweise stand das System“

„Ich kann nur sagen, dass wir nicht verstanden haben, warum der Auftrag an die Rubicon vergeben wurde“, wo doch schon ältere Software nicht funktionie­re, sagt nun ein Exabteilun­gsleiter zur Staatsanwa­ltschaft. Er bezieht sich dabei auf das neue Protokolli­erungssyst­em PAD NG, das bei seiner Einführung 2018 für heftige Probleme sorgte. Laut dem Belastungs­zeugen soll Rubicon trotz Servicever­trags zusätzlich 50.000 bis 100.000 Euro in Rechnung gestellt haben. „Teilweise stand das ganze System“, so der Zeuge.

„Eine generelle oder gar heftige Kritik an unserer Software ist uns nicht bekannt“, sagt RubiconGes­chäftsführ­er Peter Grassnigg auf Anfrage des STANDARD. Er weist darauf hin, dass eine Reaktion auf die „sehr unspezifis­chen Aussagen des Zeugen“schwierig sei. Ein Wartungsve­rtrag umfasse eben die Wartung, darüber hinaus könne es noch zusätzlich­e Leistungen geben. Nicht bezahlte Rechnungen seien ihm nicht bekannt. Nach Grassniggs „aktuellem Wissenssta­nd“habe die Staatsanwa­ltschaft bei Rubicon selbst noch keine Ermittlung­en durchgefüh­rt.

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