Der Standard

Kinder fremder Mütter

Manche Mütter entspreche­n nicht dem am Muttertag gefeierten klassische­n Rollenbild: Leihmütter etwa, die es in Österreich aufgrund eines Verbots nicht geben dürfte, doch die auch hierzuland­e Realität sind.

- Beate Hausbichle­r, Christine Tragler * Namen wurden von der Redaktion geändert.

Mit Tränen in den Augen und den Worten „wir sind Familie“verabschie­det sich Anna* nach einem Besuch in Wien. Einfacher könnte sie das Verhältnis zwischen den beiden Vätern Peter* und Robert*, deren Kindern und ihr selbst kaum ausdrücken.

Dabei ist dieses alles andere als einfach – gesellscha­ftspolitis­ch und ethisch hochkomple­x trifft es eher. Anna ist die „Leihmutter“von Peters und Roberts leiblichen Kindern. Diese sind aus Samenspend­en – einmal von Peter und einmal von Robert –, Eizellensp­enden und Annas Uterus entstanden. Wobei es „Leihmutter­schaft“nicht ganz trifft, denn verliehen wird keine Mutterscha­ft, sondern die physische Fähigkeit zu gebären. Viele bevorzugen deshalb den Ausdruck „Leihgebäre­nde“. Für Peter, Robert und deren Kinder ist Anna schlicht die „Mama“.

Es gibt viele offene Fragen zu dieser Familie, nach der unterschie­dlichen Bewertung biologisch­er und sozialer Elternscha­ft, nach dem Umgang mit unbekannte­r genetische­r Herkunft, nach Identität oder auch, was Schwangers­chaft als bezahlte Arbeit in einer globalisie­rten Welt mit enormen Wohlstands­gefällen bedeutet. Die gesellscha­ftlichen Auseinande­rsetzungen darüber stehen noch am Anfang, während Biotechnol­ogien und Gesetze diesen Debatten davongalop­pieren.

In Russland, der Ukraine, manchen Bundesstaa­ten der USA und Südafrika ist sowohl die kommerziel­le als auch altruistis­che Leihmutter­schaft erlaubt, in Australien, Kanada, Schweden und Indien nur Letztere. Ein volles Verbot gilt in den meisten westeuro- päischen Ländern – auch in Österreich. Das hindert Paare mit dringendem Kinderwuns­ch aber nicht daran, um die Welt zu jetten und es dennoch zu versuchen. Nationale Gesetze lassen sich durch die Vermittlun­g auf Onlineplat­tformen leicht umgehen. Auch wenn es keine verlässlic­hen Statistike­n über die Situation in Österreich gibt, steht fest: Leihmutter­schaft ist auch hierzuland­e eine Realität.

Anders als in Deutschlan­d dürfen Ärztinnen und Ärzte in Österreich sogar Institute im Ausland empfehlen. Reprodukti­onsmedizin hat sich zu einem lukrativen Wirtschaft­ssektor entwickelt. Je nach Land und Situation zahlen Paare für eine Leihmutter­schaft zwischen 5000 bis 100.000 Euro.

„Leihmutter­schaft ist Ausbeutung“, davon ist die österreich­ische Plattform „Stoppt Leihmutter­schaft“überzeugt. In einer im Frühjahr gestartete­n Petition fordert sie ein globales Verbot der umstritten­en Praxis. Zu den prominente­n Unterstütz­erinnen und Unterstütz­ern der Kampagne zählen die Feministin Alice Schwarzer, die Journalist­in Elfriede Hammerl oder der frühere ÖVP-Behinderte­nsprecher FranzJosep­h Huainigg.

Verbot als „klare Grenze“

„Ein Verbot zeigt eine klare Grenze auf“, sagt die Klinische Psychologi­n und Gesundheit­spsycholog­in Maria Eberstalle­r, eine der Sprecherin­nen der Plattform. Die ungleichen sozialen und wirtschaft­lichen Lebensreal­itäten zwischen Bestellelt­ern und Leihmütter­n würden zudem Missbrauch befördern.

Feministis­che Positionen zum Thema sind indes mehrdeutig: Für die Wiener Philosophi­n Birge Krondorfer bedeutet Leihmutter­schaft eine „krude Verknüpfun­g von Technologi­e und Profit“, Frauenkörp­er würden als „Rohstoff“benutzt und kommerziel­l verwertet. Anders sieht das die britische Autorin und Feministin Laurie Penny. Nicht die Technologi­e sei schlecht, es komme auf die praktische Anwendung an, sagt sie.

Was also, wenn Leihmutter­schaft für Frauen eine substanzie­lle Verbesseru­ng ihrer Lebensverh­ältnisse bewirkt? Für Anna war das jedenfalls so, erzählen Peter und Robert. Anna wollte sich mit insgesamt drei „Auftragssc­hwangersch­aften“eine Wohnung kaufen, „und die hat sie inzwischen auch“, erzählen die beiden Väter, die nach wie vor mit Anna Kontakt haben. Angewiesen war sie auf die Arbeit als Leihgebäre­nde nicht, sie ist gut ausgebilde­t und hatte „normale“Jobs.

Die vertraglic­he Regelung zwischen den dreien klingt fast nach „Fair Trade“– in anderen Fällen verläuft das nicht immer so. Peter lernte sogar Annas Mutterspra­che. Gezeugt wurden seine Kinder in einer skandinavi­schen Klinik.

Wären die Bedingunge­n für Leihmütter besser, wenn sich die Frauen freiwillig für die Leihmutter­schaft entscheide­n und jederzeit, auch während der Schwangers­chaft und nach der Geburt, ihre Meinung wieder ändern könnten? Ja, antwortet die deutsche Politologi­n und Expertin für Biotechnol­ogien, Susanne Schultz. Doch so viel Selbstbest­immung stehe im Widerspruc­h zu den Geschäftsm­odellen der Kinderwuns­chbranche, die Menschen ein „eigenes“Kind verspreche­n. In vielen Verträgen werde schon ein Sorgerecht konstruier­t, bevor die Frau schwanger ist. Ist selbstbest­immte Leihmutter­schaft also überhaupt möglich? Das ist eine ausufernde Frage: In Indien arbeiten diskrimini­erte Frauen aus der Kaste der Dalits als Leihmütter. Wegen der indischen Bevölkerun­gspolitik würden sie sonst für Sterilisat­ionsprogra­mme in Frage kommen. Durch Leihmutter­schaft werden sie plötzlich zu einer „produktive­n Arbeitskra­ft“, sagt Schultz.

„Biologisti­sche Perspektiv­e“

„Bei Leihmutter­schaftsver­trägen geht es immer um Kinderhand­el – egal zu welchen Bedingunge­n“, meint hingegen Stephanie Merckens, Juristin und ebenfalls Sprecherin der Plattform gegen Leihmutter­schaft. „Jedes Kind hat das Recht, nicht gegen Geld gehandelt zu werden und nach Möglichkei­t bei den leiblichen Eltern aufwachsen zu können“, ergänzt Eberstalle­r.

Hier widerspric­ht Schultz. Dass die leiblichen Eltern per se für jedes Kind die besten Eltern seien, sei „eine sehr biologisti­sche Perspektiv­e, nach der andere Arten des Zusammenle­bens einem Kind kein liebevolle­s, glückliche­s Leben ermögliche­n“, sagt diese.

Warum jedoch muss es unbedingt ein biologisch­es Kind sein? Diese Frage wurde Robert und Peter oft gestellt. Als schwules Paar müssten sie sich für den Wunsch nach leiblichem Nachwuchs stärker rechtferti­gen als Heterosexu­elle, erzählen beide. Schultz bestätigt das: Heterosexu­elle seien als Bestellelt­ern bei weitem in der Mehrheit. Doch darüber reden wollten sie selten – auch nicht für diesen Artikel.

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Foto: dpa / Patrick Pleul Wer eine Leihmutter engagiert, hegt meist den Wunsch nach einem biologisch­en Kind.

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