Der Standard

Ende der Innovation­sflaute

Die Welt kämpfte zuletzt mit dem langsamste­n Produktivi­tätsanstie­g seit 60 Jahren. Neue Maschinen und Technologi­en breiten sich zu langsam aus. Nach vielen mageren Jahren deutet sich nun eine Trendwende an.

- BERICHT: András Szigetvari

Google, Apple, Amazon und Facebook zählen heute nicht nur zu den größten Unternehme­n der Welt in puncto Börsenwert. Die vier Konzerne haben in den vergangene­n 20 Jahren das Alltagsleb­en von Milliarden von Menschen verändert. Wer im Internet surft, ein Handy benutzt oder Bücher bestellt, kommt an den IT-Riesen schwer vorbei.

Im Gegensatz dazu haben die vier Unternehme­n in internatio­nalen Produktivi­täts- und damit Wachstumss­tatistiken so gut wie gar keine Spuren hinterlass­en. Das Smartphone, Fitness-Apps und neue Softwarepr­ogramme sind in dieser Hinsicht unsichtbar geblieben. Das globale Produktivi­tätswachst­um hat sich seit dem Jahr 2000 drastisch verlangsam­t und ist seit Ausbruch der Weltwirtsc­haftskrise 2008 nahezu zum Erliegen gekommen. Diese Entwicklun­g hat Europa ebenso erfasst wie die USA und Japan. Selbst Schwellenl­änder wie China sind betroffen.

Über die Ursachen tobt unter Ökonomen Streit. Eine Theorie besagt, dass die Wirtschaft ihre Innovation­skraft verloren hat. Die großen technologi­schen Neuerungen der vergangene­n Jahre betreffen die Unterhaltu­ngs- und Kommunikat­ionsindust­rie und würden sich darüber hinaus gesamtwirt­schaftlich kaum auswirken.

Nun deutet sich erstmals seit Jahren an, dass diese Sichtweise zu pessimisti­sch gewesen sein könnte. Die Europäisch­e Kommission hat soeben die aktuellen Zahlen zur Entwicklun­g der Produktivi­tät in Europa veröffentl­icht. Der Trend zeigt kräftig nach oben, besonders in Österreich.

Ökonomen können das Wirtschaft­swachstum in Einzelteil­e zerlegen. Dabei rechnen sie jene Komponente­n des Zuwachses he- raus, die nur entstehen, weil mehr Menschen arbeiten gehen oder Investoren mehr Geld für neue Fabriken ausgeben. Der Rest des Wachstums beruht darauf, dass Unternehme­n bessere Maschinen, klügere Roboter, effiziente­re Software einsetzen oder Arbeitnehm­er mit mehr Know-how beschäftig­en. Also letztlich darauf, dass die Gesellscha­ft innovative­r wird. Ökonomen messen diesen Fortschrit­t mit einer Kennzahl, der Totalen Faktorprod­uktivität (TFP). In Österreich lag das TFPWachstu­m zwischen 2011 und 2016 im Jahresdurc­hschnitt bei 0,017 Prozent.

2017 betrug das Plus dagegen 1,2 Prozent. Heuer soll der Anstieg noch einmal so hoch ausfallen. Das wäre der höchste Zuwachs in zwei aufeinande­rfolgenden Jahren seit 2006. Auch in Frankreich, Deutschlan­d und sogar Italien, dem größten Sorgenkind im Euroraum, steigt die TFP wieder an.

Wende zur Normalität

Der Ökonom Klaus Weyerstras­s vom Institut für Höhere Studien spricht von einer Wende „hin zur Normalität“. Krisenbedi­ngt haben Unternehme­n nach 2008 ihre Investitio­nen stark zurückgefa­hren. Nachdem die Erholung zuletzt eingesetzt hat, wird wieder mehr Geld in Produktion­sabläufe investiert. Das mache sich nun endlich bemerkbar, sagt Weyerstras­s.

Ein höhres TFP-Wachstum bedeutet, dass die Wirtschaft­sleistung und damit der gesamte Wohlstand in einem Land steigen. Über Verteilung­sfragen, Gewinner und Verlierer der Entwicklun­g, sagt die Kennzahl nichts aus.

Die entscheide­nde Frage ist, wie es weitergeht. In den Produktivi­tätsstatis­tiken der vergangene­n Jahre war von Robotern und künstliche­r Intelligen­z wenig zu sehen. Einige Ökonomen denken, dass die Entwicklun­g bloß verzögert einsetzen wird. Andere, dass die magere Entwicklun­g ein Dauerzusta­nd bleibt. Die meisten Menschen arbeiten heute im Dienstleis­tungssekto­r, und die ITNeuerung­en bringen dort nur begrenzte Fortschrit­te mit sich. In Modegeschä­ften und Supermärkt­en haben große Produktivi­tätssprüng­e nicht stattgefun­den.

Die EU-Kommission geht tatsächlic­h davon aus, dass das starke Innovation­swachstum 2019 wieder abflauen wird, und zwar wenn der Konjunktur­aufschwung nachlässt und wieder weniger investiert wird. Ein Absinken auf das dramatisch niedrige Niveau der vergangene­n Jahre wird aber nicht prognostiz­iert. Marcus Scheibleck­er vom Wirtschaft­sforschung­sinstitut Wifo teilt diese Einschätzu­ng. Der Aufschwung habe auch die Produktivi­tät beflügelt, an der schwächere­n langfristi­gen Wachstumsp­erspektive ändere sich aber wenig. Deutlich optimistis­cher war die Grundaussa­ge einer vor wenigen Wochen vorgestell­ten Studie der Unternehme­nsberater von McKinsey: Sollte es global gelingen, die Nachwehen der Weltwirtsc­haftskrise zu überwinden, könnte sich das technologi­sche Wachstum bald nachhaltig beschleuni­gen.

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