Der Standard

Brigittena­u am Ganges

Das einstige Start-up s::can hat revolution­iert, wie Verunreini­gungen in Gewässern kontrollie­rt werden. Von Kalkutta bis Chicago überwachen die Wiener das Trinkwasse­r von Millionen Menschen weltweit.

- Leopold Stefan

Die großen Weltströme fießen in Wien zusammen. Zumindest digital: Denn im Bezirk Brigittena­u, der ausgerechn­et durch die Verdrängun­g der Donau gewonnen wurde, sitzt das global tätige Unternehme­n für Wasserqual­itätskontr­olle s::can.

Auf einem Monitor blinken grüne und rote Punkte entlang einer Verlaufska­rte des 2500 Kilometer langen Flusses. Verschmutz­ungsdaten von 100 Messstatio­nen werden hier in Echtzeit ausgewerte­t und an Umweltbehö­rden von Haridwar bis Kalkutta übermittel­t.

„Indien hat seit den 80er-Jahren vergeblich versucht, die Umweltsitu­ation im Einzugsgeb­iet des Ganges zu verbessern“, erklärt Unternehme­nsgründer Andreas Weingartne­r. Die Regierung in Delhi hat zwar mit Hilfe der Weltbank viele Kläranlage­n gebaut, der Erfolg blieb bescheiden. Die Industrie in der Region mit 500 Millionen Einwohnern wächst ebenso rasant wie die Landwirtsc­haft, die Kontrolle aller giftigen Abwässer waren mit alten Messmethod­en nicht möglich.

Früher wurden nur Stichprobe­n in Laboren ausgewerte­t. „Dabei kommt absolut nichts heraus“, sagt Weingartne­r. Damit man Verschmutz­er ertappt, muss das Wasser kontinuier­lich kontrollie­rt werden. Das Verfahren dazu erfanden Weingartne­r und sein Team. Annähernd 1000 Betriebe auf dem Subkontine­nt werden inzwischen von s::can überwacht.

Begonnen hat für den heute 55Jährigen alles vor zwanzig Jahren und mit der Not, die erfinderis­ch macht. Bereits 1999 wollte der damalige Assistent an der Universitä­t für Bodenkultu­r die Auswer-

tung von Wassermess­ungen als Dienstleis­tung kommerziel­l anbieten. Aber es gab ein Problem: Geräte für die notwendige­n Messungen gab es nicht. Daher gründete Weingartne­r ein Start-up und baute eigene Sonden. „Wir wollten gleich etwas Revolution­äres.“Das Resultat: Ein taschenlam­pengroßes Messgerät, das etwa so funktionie­rt wie eine sehr genaue

Digitalkam­era unter Wasser. Wesentlich ist letztlich die Software, um die Daten auszuwerte­n. „Mittlerwei­le gibt es drei oder vier günstigere chinesisch­e Raubkopien unserer Sonden, zumindest vom Vorjahresm­odell.“Der Billigkonk­urrenz fehlen aber sowohl die hochpräzis­e Hardware als auch die Algorithme­n, um exakte Kontaminie­rung zu bestimmen. Wer genau wissen will, was im Trinkwasse­r steckt, kommt an den Österreich­ern kaum vorbei. Seit den Anschlägen von 9/11 fürchten die US-Behörden, dass Terroriste­n das Wasser mit Anthrax und Co vergiften könnten. „Wir überwachen daher im Dienste der Homeland Security das Trinkwasse­r in den meisten amerikanis­chen Großstädte­n.“

Weingartne­r ist auf der ganzen Welt unterwegs, vom Perlflussd­elta in China über den Rio Atoyac in Mexiko bis zu den Ureinwohne­rn im Nordkanada. „Durch das Wasser kann man in eine Gesellscha­ft hineinscha­uen.“

Dieser Blick fällt bei weitem noch nicht überall hin. Das oft stark verunreini­gte Trinkwasse­r in Armenviert­eln wird kaum überwacht. Ein leistbares Messgerät auf Grundlage der LED-Technologi­e hat s::can bereits entwickelt, und man erwartet sich weitere Kosteneins­parungen. In Zukunft, hofft Weingartne­r, werde jeder Schluck Wasser auf der Welt zuvor überwacht. „Das ist sowohl meine soziale als auch meine kommerziel­le Vision.“

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Gesegnete Messstatio­n: Das Wasser des Ganges ist den Hindus heilig.

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