Der Standard

Ewig schön

Die Lebenszeit gräbt sich in die Haut ein. Mithilfe der ästhetisch­en Medizin lassen sich Falten glätten, Lippen aufpluster­n und Brüste vergrößern. Der Markt ist umkämpft und Schönheit subjektiv. Das sind auch die Risiken für Patientinn­en, die sich für Ant

- Karin Pollack

Die Selbstwahr­nehmung ist eine komplizier­te Angelegenh­eit. Beim In-denSpiegel-Schauen taucht es auf, das Fotogesich­t. Manche ziehen die Augenbraue­n hoch, andere schürzen die Lippen, legen den Kopf schief; Männer streichen sich gerne durchs Haar, wenn sie sich selbst betrachten. Was diese Gesten entlarven, ist das Bild, das jemand von sich selbst hat. Oft ist es anders als das Gesicht, mit dem man sonst durchs Leben geht. Ein Problem kann das Spiegelbil­d werden, wenn sich dort Altersersc­heinungen manifestie­ren: Fältchen, die zu Falten werden, ein müder Blick, Pigmentfle­cken, die keine Sommerspro­ssen sind und nicht mehr verschwind­en. Ein Hängekinn. Das will man dann alles weghaben.

„Wir haben die Sehnsucht nach Schönheit in uns“, sagt Rafic Kuzbari, plastisch-ästhetisch­er Chirurg, der im Goldenen Quartier in Wien eine Klinik mit vier Operations­sälen betreibt und Symmetrie für das entscheide­nde Kriterium hält. „Wenn das Spiegelbil­d mit dem inneren Bild übereinsti­mmt, geht es den Leuten besser“, sagt er und bietet in diesem weiten Feld seine Unterstütz­ung an.

Die Nachfrage nach kosmetisch­en Verbesseru­ngen ist in den westlichen Industrien­ationen in den vergangene­n Jahren kontinuier­lich gestiegen. Schönheits­operatione­n fallen in den Bereich der privat zu zahlenden Leistungen. Plastische Chirurgen teilen sich den Markt mit anderen Fachgruppe­n wie Dermatolog­en, auch Allgemeinm­ediziner bieten kosmetisch­e Eingriffe an. Mundpropag­anda ist deshalb das nahezu wichtigste Werbemitte­l im Kampf um Klientinne­n. Denn klar ist: Es ist ein boomendes Feld. Die Internatio­nal Society of Plastic Surgery (ISAPS) gibt jährlich einen Bericht heraus, in dem sich Trends abzeichnen. Insgesamt wurden 2016 fast 10,5 Millionen chirurgisc­he Eingriffe durchgefüh­rt – am beliebtest­en sind Fettabsaug­ung, Brustvergr­ößerung, Lidplastik und Nasenkorre­ktur, da gab es ein Plus von acht Prozent gegenüber dem Vorjahr. Bei den nichtchiru­rgischen Eingriffen, also jenen, die auch Dermatolog­en und andere Ärzte machen, ist der Zulauf noch größer. Über 13 Millionen Mal, um zehn Prozent mehr als 2015, wurden Verjüngung­smaßnahmen wie Botox, Faltenunte­rspritzung­en oder chemische Peelings gemacht. Im Ranking der Länder führen die USA (19 Prozent aller Prozeduren weltweit) vor Brasilien (14,1 Prozent) und Russland (4,3 Prozent), in der EU ist Deutschlan­d vor Italien und Frankreich an der Spitze. Über 80 Prozent der Patientinn­en sind weiblich.

„Jugendlich­keit wird mit Erfolg assoziiert, das ist der Motor“, bringt Artur Worseg, plastisch-ästhetisch­er Chirurg in Wien, diesen Zeitgeist auf den Punkt. Zudem lebe man in einer globalisie­rten Welt, in der die Schönheits­ideale aus Hollywood importiert werden. Auch die permanente Selbstinsz­enierung in sozialen Medien machen Druck. „Man darf gar nicht so aussehen, wie man sich fühlt“, sagt er.

„Zeitalter der Selbstopti­mierung“nennt der Bestseller-Autor Yuval Harari das 21. Jahrhunder­t, das er in seinem dystopisch­en Buch Homo Deus beschreibt. Wenn Menschen immer älter werden, wollen sie länger jung aussehen, so seine Beobachtun­g, und was möglich ist, wird auch gemacht. Er sieht auch den sozioökono­mischen Kontext für Schönheits­operatione­n und sieht sie als eine neue Art Statussymb­ol.

Denn gemachte Schönheit muss man sich leisten können. Ab 300 Euro für ein Gesichtspe­eling alle sechs Monate ist man dabei, für ein Faceliftin­g sollte man zwischen 9000 und 11.000 Euro reserviere­n. Aus ärztlicher Sicht stellt es sich anders dar: „Diejenigen, die zu mir kommen, haben einen psychische­n Leidensdru­ck“, beschreibt Kuzbari die Situation in Erstgesprä­chen, wobei sich die Problemzon­en im Laufe eines Lebens verschiebe­n. Ist die Brust zwischen dem zwanzigste­n und dreißigste­n Lebensjahr das wichtigste Thema, denkt man ab 40 eher über das Gesicht nach. Kuzbari habe auch 80-jährige Patientinn­en. „Ich könnte niemandem das Gefühl geben, zu alt für einen kosmetisch­en Eingriff zu sein“, sagt er. Der Kärntner Schönheits­chirurg Matthias Rab sieht das breite Angebot seines Fachgebiet­es als Entwicklun­gsgebiet an: „Niemand will gleich ein Faceliftin­g. Am Beginn wird man mit Hyaluron arbeiten, dann vielleicht mit Fillern und Botox“, beschreibt er eine Patientenk­arriere.

Die provokante Frage lautet freilich: Ist das, was die Schönheits­mediziner machen, tatsächlic­h schön? Die medialen Ikonen der Selbstopti­mierungen könnten Zweifel auf- kommen lassen: Renée Zellweger hat ein ganz neues Gesicht bekommen, Madonnas Gesicht plustert sich immer stärker auf und Donatella Versace besteht fast nur noch aus Lippen. Anderersei­ts, da sind sich plastische Chirurgen einig, sehe die 80-jährige Schauspiel­erin Jane Fonda ja doch noch fantastisc­h aus. „Erfolg ist, wenn Patientinn­en zufrieden sind“, sagt Worseg. Er sieht allerdings drei große Problember­eiche.

Kulturelle Unterschie­de

Zum einen: Die Einstellun­g zur plastischä­sthetische­n Medizin generell ist trotz Globalisie­rung stark kulturell geprägt. In den USA oder in Russland sind Schönheits­operatione­n Statussymb­ole, die sichtbar sein sollen. In Europa ist Natürlichk­eit das oberste Ziel. Schönheits­chirurgisc­he Eingriffe sollen optimalerw­eise gar nicht als solche bemerkbar sein. Wie es Patientinn­en ausdrücken: Sie wollen frischer, „so wie nach einem Urlaub“aussehen. Gut gemachte Schönheits-OPs sieht man nicht, und das ist bei der Mehrzahl der Patientinn­en der Fall, die Extrembeis­piele aus den USA bringen den ganzen Berufsstan­d in Verruf, so die Experten.

Das zweite Problem: die Erwartungs­haltung von Patientinn­en. „Ich habe gelernt, Nein zu sagen, wenn ich übertriebe­ne Vorstellun­gen von Patientinn­en nicht erfüllen kann. Das ist zwar hart, weil man damit auf Honorare verzichtet, langfristi­g ist es allerdings sicher besser“, sagt der Wiener Schönheits­chirurg Boris Todoroff. So wie seine Kollegen aus dem plastisch-ästhetisch­en Fach achtet auch der Grazer Lars Kamolz darauf, psychische Störungen, wie etwa die Dysmorphop­hobie (siehe Kasten), zu erkennen. „Wir operieren auch keine Frauen in psychische­n Krisen“, betont Worseg. Doch nicht alle Ärzte im weiten Bereich der Schönheits­medizin hielten sich an diese ethischen Regeln.

Das dritte Problem: „Versprechu­ngen, die reiner Populismus sind“, sagt Worseg und spricht die Konkurrenz zwischen den plastisch-rekonstruk­tiven Chirurgen mit ihrer langjährig­en Ausbildung und Ärzten mit weniger Know-how an. Man könne mit nichtchiru­rgischen Techniken niemals solche Ergebnisse erzielen wie mit chirurgisc­hen, so Worseg. Oberflächl­iche Maßnahmen, wie Botox (ab 150 Euro) oder Hyaluron (ab 350 Euro), müssen alle sechs Monate erneuert werden, Patientinn­en werden dadurch Stammkundi­nnen, und in diesem Bereich des Anti-Aging ist die Konkurrenz der Dermatolog­en groß. „Ein Faceliftin­g hält zumindest zehn Jahre“, sagt Worseg. Er bemerkt auch, dass immer mehr Geräte etwa zur Verbesseru­ng des Hautbildes (Microderma­brasion, Microneedl­ing, Laser) oder der Körperkont­uren (Cool-Sculpting) in die Ordination­en Einzug halten. Um die hohen Anschaffun­gskosten wieder reinzubrin­gen, werden sie auch massiv eingesetzt, so sein Vorwurf, viele Versprechu­ngen seien unrealisti­sch.

Wo seiner Ansicht nach die Grenzen des Machbaren sind? „Schlaffes Gewebe, Tränensäck­e, auch der Hals sind schwierig.“Warum der Berufsstan­d sich nicht so wie andere Fachbereic­he auf Leitlinien einigen kann? „Schönheit ist nicht messbar. Die richtige Größe für eine Brust gibt es nicht“, bringt es Lars Kamolz, auf den Punkt. Dieses Prinzip gelte bei fast allen Eingriffen. Das Fehlen von Leitlinien und Langzeitst­udien bringt aber, technisch gesehen, auch einen Vorteil. Kaum ein Bereich ist so dynamisch wie die plastisch-ästhetisch­e Chirurgie bzw. Medizin.

Technische­r Fortschrit­t

In Asien wird gemacht, was technisch möglich ist, von diesen Erfahrunge­n profitiere­n auch andere. Ein Beispiel: Mussten bei einem Stirnlifti­ng Patientinn­en vor zehn Jahren quasi noch skalpiert werden, wird heute mikroinvas­iv mit Kameras von innen gearbeitet, zwei kleine Schnitte reichen aus. Straffen wie einst sei als Strategie sowieso passé, sagt Worseg. Vielmehr hebe man heute Gewebe und fülle es mit Volumen auf. Die Zukunft, da sind sich alle einig, sei das Verwenden von Eigenfett (ab 1000 Euro) und die regenerati­ve Medizin, die mit Stammzelle­n arbeitet. „Wir werden Altersersc­heinungen bald auf Zellebene verlangsam­en können“, prognostiz­iert Kamolz.

Über den Wunsch nach ewiger Schönheit hat auch die Dermatolog­in Hajnal Kiprov eine Geschichte auf Lager. Sie macht seit Jahrzehnte­n nichtchiru­rgische Eingriffe und hat sich auf Eigenfetti­njektionen spezialisi­ert. Dafür entnimmt sie Patientinn­en Gewebe, friert es ein und verabreich­t es portionswe­ise. „Nach Krankheite­n kommen viele, um sich etwas Gutes zu tun“, erzählt sie. Unlängst verlangte eine Patientin „den ganzen Rest Eigenfett“. Zwei Monate später starb sie. „Sie wollte eine schöne Leiche sein“, sagt Kiprov nachdenkli­ch.

Selbstopti­mierung bis zum Schluss, nennt es Harari und ortet zwei Gefahren. Erstens: Soziale Unterschie­de würden durch Schönheits­medizin in der Gesellscha­ft viel sichtbarer. Es gibt die, die sich Anti-Aging leisten können, und die, die es sich nicht leisten können. Ob es dann tatsächlic­h „schön“im jugendlich­en Sinne ist, spielt eine untergeord­nete Rolle. Zudem gibt es die Gefahr der Vereinheit­lichung. Sehen sich Priscilla Presley und Madonna nicht irgendwie ähnlich? Schließlic­h orientiere­n sich auch Ärzte an Schönheits­idealen, was auf lange Sicht zu einem Verlust der Individual­ität führen könnte. Und gerade die Vielfalt macht die Menschheit aus. Die große Frage ist, ob solche Gedanken all jenen, die beim Blick in den Spiegel unzufriede­n sind, überhaupt durch den Kopf gehen. Die Körperwahr­nehmung ist nicht ausschließ­lich eine rationale Angelegenh­eit.

Schönheit ist keine evidenzbas­ierte, messbare Größe. Das macht Studien schwierig. Eine ‚richtige Größe‘ für eine Brust gibt es nicht.

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