Der Standard

Dummheit sei der Rasse trauriges Los

Botho Strauß’ Prosa in „Der Fortführer“

- Ronald Pohl

Botho Strauß lässt sich gewiss ungern nachsagen, er hätte mit der Welt, wie wir sie kennen, keine Geduld geübt. Doch irgendwann platzt dem deutschen Dramatiker i. R. in seiner Textsammlu­ng Der Fortführer dann doch effektvoll der Kragen. „Die Welt ist insipide geworden!“, ruft Strauß aus. Man meint, die Not des heute 73-jährigen Dichters mit Händen greifen zu können.

Es stimmt, Deutschlan­d ist fade geworden. Nach dem Abebben der Flüchtling­swelle klatscht die Flut der Ereignisse nur noch schal auf den Pflasterst­rand. Es gehört zu den Pointen einer ausgewogen­en Botho-Strauß-Lektüre, die Bedeutung von Wörtern wie „insipide“(„fade, geschmackl­os ...“) im Netz nachschaue­n zu müssen.

Aber mit der Probe einer ins Abseitige tendierend­en Gelehrsamk­eit ist es nicht getan. Strauß wirft dem Befund der Fadheit einen Pflasterst­ein hinterher, der auch solides Verbundgla­s zerschlägt: „Debilwerde­n als Rasseschic­ksal.“So heißt es im nämlichen Absatz auf Seite 184 von Der Fortführer. Und während man als konsternie­rter Leser rätselt, welcher Rasse hier welcher Befund ausgestell­t wird, eilt man ein paar Textblöcke weiter und stößt auf folgenden Stoßseufze­r: „Als noch Welten unterginge­n.“

Der Zauber von einst

Man wird Strauß’ Bedauern über die Untergangs­losigkeit unserer Welt nicht teilen wollen, um nicht doch lebhaftest­es Bedauern zu empfinden. Dieser verbittert­e, zugleich ganz auf sein Elitenbewu­sstsein festgelegt­e Mann schrieb einst die bitter-klarsten, poetischst­en und zugleich zauberhaft­esten Theaterstü­cke der ausklingen­den Bundesrepu­blik.

Es handelte sich um die reformmüde gewordene Welt von Helmut Schmidt und Helmut Kohl. Strauß war ihr tiefenscha­rfer Beobachter. Als solcher legte er Zeugnis ab von der Austrocknu­ng ganzer Seelenland­schaften. Er beschrieb, wie Städtebewo­hner bei Betrachtun­g einer Welt aus Spiegelgla­s und rostfreiem Stahl von einem Staunen ins nächste fielen. Er sah, wie Männer und Frauen einander tief in die Augen blickten, um sekundenla­ng heilige Schauder zu empfinden.

Vom Dichter der Paare, Passanten ist heute nur noch der Rechthaber übrig, ein auf intellektu­elle Händel erpichter Einzelgäng­er. Botho Strauß erzählt nicht mehr, dem Theater hat er ohnedies den Rücken zugekehrt. In Der Fortführer findet man Reflexions­splitter und Aphorismen. Sie bilden die Miszellen zu einer Theorie der Profanität. Auf Deutsch: Strauß hört nicht auf, der Welt die – angeblich in ihr herrschend­e – Vulgarität zur Last zu legen.

Er schreibt: „Niemand weiß, wie weit die Menge reicht und wo die Unmenge beginnt.“Aber indem er sich von „Verkleiner­ungsgewinn­lern“umgeben wähnt, findet Strauß genügend Raum für die eigene Aufrichtun­g als Riese. Dann setzt er den „Hybridjarg­on der Rationalit­ät“von der eigenen Erlebnisti­efe ab und wähnt sich zeitlich auf der sicheren Seite. Zitat: „Bereits Warten verrät einen Mangel an Zeitverach­tung.“Man sollte sich die Zeit nehmen und das Verdämmern dieses ehemals großen Geistes studieren. Botho Strauß, „Der Fortführer“. € 20,60 / 210 Seiten. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2018

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