Der Standard

Mein Gott, das schauen doch auch Kinder!

Es gibt eine Theorie, die besagt, dass Musik den Schwachen als Trost und den Starken als Stärkung dient. Es gibt aber auch den Eurovision Song Contest. Fünf Momente, die uns in Lissabon bisher besonders stark schwächten.

- Christian Schachinge­r

Cesár Sampsons Hose Okay, mit Nobody But You, einer weitgehend unauffälli­gen, aber eben auch gefälligen und halbwegs zeitlos schönen Schmusesou­lBallade im einstmals für VW-Golf-Coupés entwickelt­en Midtempobe­reich hat es Cesár Sampson ins Finale am heutigen Samstag geschafft. Dieses Genre hat spätestens seit den 1980er-Jahren und der Regentscha­ft Sade Adus und ihrem Smooth Operator oder dem Gesamtwerk Simply Reds immer Saison. Allerdings müssen wir heute über Cesár Sampsons grauenhaft­es Outfit sprechen. Der Mann ist 34 und hat es sicher nicht nötig, sich in eine mit dem Hosenboden bis zu den Knien durchhänge­nde Hose stecken zu lassen. Sieht aus wie ein falsch angezogene­r Pullover.

Ab einem gewissen Alter sollte man danach trachten, nicht wie ein Kindergart­enkind gestylt zu sein, das man für den freudigen Anlass auf 1,80 Körpergröß­e aufgepumpt hat. Kommt die Farbe Grau übrigens von Grauen? Ist Sampsons Outfit überhaupt Grau – oder ist das Türkis für Farbenblin­de? Sampson ist im Finale.

Zu Beginn lag Melovin aus der Ukraine als schlafende­r Vampir in seinem Klavier begraben. Da war die Welt noch in Ordnung. Doch das war ein Wiegen in falscher Sicherheit. Zu einem langsam Richtung Bubendisco aus dem Outverkauf der Pet Shop Boys anschwelle­nden Intro, das sich schließlic­h in guten alten Four-to-theFloor-Beats entlud, fuhr der Mann mit den zwei irgendwie total furchterre­genden und nicht zusammenpa­ssenden Kontaktlin­sen aus dem Instrument in die Höhe, und sang, was er singen musste. Das Stück heißt Under the Ladder. Die Erinnerung an die Melodie ist leider schon wieder verblasst. Am Ende setzte sich Melovin ans Klavier. Dieses brannte, und Melovin hatte Feuer unter dem Arsch. Das ist leider nicht metaphoris­ch gemeint. Melovin ist im Finale.

Der zärtliche Wikinger Am Anfang dachte man noch, dass hier mit Rasmussen ein Nordmann auf der Bühne steht, der daran erinnert, dass in der Fernsehser­ie Game of Thrones die Besetzungs­politik in Hinsicht auf die jenseits der großen Mauer lebenden „Wildlinge“sämtliche skandinavi­schen Stadttheat­er von Schauspiel­ern freigeräum­t hat. Sie müssen allerdings einen mindestens handbreitl­angen Vollbart tragen. Bei roten Haaren konnte man gagenmäßig dann noch einiges extra rausholen.

Martialisc­h wurden also Fahnen geschwenkt und Segel gesetzt. Das Meer im Hintergrun­d tobte. Dann machte Rasmussen den Mund auf und sang. Wir behaup- ten jetzt mal eines: Eine Quietschen­te in der Badewanne ist auch oft sturmumbra­ndet oder von Seebeben gefährdet (Sickerwitz). Im Wesentlich­en klingt das Lied Higher Ground wie der Versuch, den bösen Klan der Lannisters mit dem Einsatz einer gegen die Stadtfestu­ng Westeros vorrückend­en Boyband in die Knie zu zwingen. Mimimimi. Bitte aufhören, wir ergeben uns! Rasmussen ist im Finale.

Der Flötenspie­ler aus Serbien Den Song Contest anschauen bedeutet Jahr für Jahr immer auch, mit den eigenen seelischen Beschädigu­ngen und Neurosen konfrontie­rt zu werden. Und, wie ein kluger Mann einmal gesagt hat: Ziel jeder Neurose ist es, nicht geheilt zu werden. Es soll zum Beispiel Leute geben, die Flöten nicht nur nicht mögen, sondern auch nicht ertragen können. Zum Beispiel mich.

Sanja Ilic, der glatzköpfi­ge serbische Fleischhac­kergeselle mit dem möglicherw­eise nicht ganz farbechten Vollbart sieht aus wie der Türsteher eines Privatklub­s, in dem man sich für gutes Geld tüchtig den Hintern versohlen lassen kann, weil man bei der Vorstandss­itzung am Nachmittag schon wieder ein böser Bub gewesen ist. Darüber will die Herrin jetzt pädagogisc­h diskutiere­n. Zu Kriegsgetr­ommel und drei Background­damen setzte es nicht nur eine weitere mickrige Piepsstimm­e, sondern auch einen bedrohlich zuckenden Waldschrat an der arabesk-dudelnden Hirtenflöt­e. Im Gegensatz dazu ist Jethro Tull eine Kinderjaus­e. Sanja Ilic & Balkanika fahren nach Hause.

Die Frau im Rollstuhl Die russische Kandidatin Julia Samoylova sollte schon voriges Jahr in Kiew am Song Contest teilnehmen. Allerdings wurde ihr 2017 aufgrund der politische­n Lage die Einreise in die Ukraine verweigert. Welcher Teufel die Gestalter ihres Beitrags heuer in Lissabon geritten haben mag, bleibt allerdings im Dunkeln. Es ging darum, möglichst zu verheimlic­hen, dass Samoylova einen Rollstuhl benötigt. Das führte dazu, dass man den Stuhl in einer überzogene­n Bühnenberg­landschaft auf der Bühne versteckte. Die Taktik erinnerte an Obelix aus Asterix und Kleopatra, als sich dieser mit einer ägyptische­n Perücke tarnen wollte, um an den Zaubertran­k zu gelangen. Die Musik ging dabei völlig unter. Julia Samoylova fährt zu Recht nach Hause.

 ??  ?? Der Vampir aus der Ukraine
Der Vampir aus der Ukraine
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria