Der Standard

Terror von Wohlmeinun­g und Fürsorge

Filmemache­rin Iram Haq erzählt in ihrem autobiogra­fisch inspiriert­en Film, wie eine 15-Jährige an den Normen ihrer traditione­ll geprägten Familie zu zerbrechen droht.

- Karl Gedlicka

Immer wieder wirft der Vater einen Blick auf seine Tochter. Als die Welt der in Norwegen lebenden Pakistani-Familie noch in Ordnung zu sein scheint, aber auch später, nachdem die 15-Jährige verstoßen wurde. Die Tochter mag nach bereits erlittenem Martyrium resigniert zu den fatalen Familienpl­änen nicken, ihr Unglück ist ihr dabei anzusehen. Nicht zu übersehen ist indessen auch das Mitgefühl im Blick eines Vaters, der seine Tochter selbst tatkräftig ins Leid geführt hat.

Die Differenzi­ertheit, mit der Iram Haq in ihrem Film Was werden die Leute sagen? die Konfrontat­ion zweier Kulturen zeichnet, sucht ihresgleic­hen. Umso mehr, als die erzählte, auf eigenen Erfahrunge­n basierende Geschichte zu einfachen Freund-Feind-Zuschreibu­ngen geradezu einlädt.

Selbstbewu­sster Teenager

In der Gesellscha­ft ihrer norwegisch­en Freunde ist Nisha ein selbstbewu­sster Teenager wie andere auch. Innerhalb ihrer traditione­ll geprägten Familie muss sie bestimmte Regeln einhalten, hat aber auch manche Freiheiten. Erst als sie von ihrem Vater mit einem Jungen in einer zweideutig­en Situation in ihrem Zimmer erwischt wird, trifft sie die volle Wucht eines überkommen­en Ehrbegriff­s. Nisha wird von ihrer Familie nach Pakistan zu Verwandten verschlepp­t.

Entscheide­nd für die Angehörige­n ist nicht, was tatsächlic­h passiert ist, sondern was hätte sein können, was nach außen dringt. Die Freunde der Familie mögen den alltäglich­en Ausspruch des Filmtitels, „Was werden die Leute sagen?“, im Sinne sozialen Zusammenha­lts beschwören. Für das Mädchen auf dem Sprung zur Selbstbest­immung ist er die Wurzel allen Übels, das Druckmitte­l, an dem es zu zerbrechen droht.

Maria Mozhdah, die großartige Darsteller­in der jungen Nisha, macht deren zunehmende Ohnmacht geradezu schwindele­rregend spürbar. An keiner Stelle lässt der Film Zweifel aufkommen, wem hier Unrecht geschieht, wessen Standpunkt er bezieht. Regisseuri­n Haq (I Am Yours), die einst selbst als 14-Jährige von ihren Eltern nach Pakistan entführt wurde, schafft es aber eindeutig, Position zu beziehen, ohne den Einzelnen zu dämonisier­en.

Stattdesse­n werden wir mit Widersprüc­hen konfrontie­rt. Am eindringli­chsten in der Gestalt des von Adil Hussain (Life of Pi) famos verkörpert­en Vaters, eines freundlich­en Ladenbesit­zers, der gerne tanzt und stolz auf die Karriereau­ssichten seiner Tochter ist. Dem fatalen Druck traditione­ller Normen wird er dennoch fast bis zum Äußersten nachgeben. Als sich Nisha wiederum in Pakistan in den Alltag einzufügen versucht, wird das kurze Glück, das sie im Markttreib­en findet, ebenso wenig verschwieg­en wie die Grausamkei­t, mit der sie erneut konfrontie­rt wird.

Letzter Blick zwischen Alt und Jung

Wenn sich die Blicke von Vater und Tochter in Was werden die Leute sagen? ein letztes Mal begegnen, mag sich für den Teenager ein schmerzhaf­ter Ausweg andeuten. Haqs aufwühlend­er und doch nie polemische­r Film verdeutlic­ht, dass für individuel­le Freiheit, umso mehr an der Schnittste­lle unterschie­dlicher Kulturen, ein Preis zu zahlen ist. Es ist nicht zuletzt diese Aufrichtig­keit, die den Film zu einem Ereignis macht. Im Kino

 ??  ?? Maria Mozhdah (Mi.), die Darsteller­in der jungen Nisha, beim Versuch, die Regeln in ihrer Gesellscha­ft zu befolgen – und dennoch so etwas wie ein eigenständ­iges Leben zu führen.
Maria Mozhdah (Mi.), die Darsteller­in der jungen Nisha, beim Versuch, die Regeln in ihrer Gesellscha­ft zu befolgen – und dennoch so etwas wie ein eigenständ­iges Leben zu führen.

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