Der Standard

Kampagnen fehlen

- Michael Simoner

Das Video war eine Klickgrana­te auf Youtube: Junge Leute auf der Rückfahrt aus dem Urlaub kommen an einem Verkehrsun­fall vorbei; ein Auto brennt, die Feuerwehr löscht, auf dem Boden liegt eine verkohlte Leiche. Auf die Aufforderu­ng der Einsatzkrä­fte hin, das Gaffen und Filmen mit dem Smartphone zu unterlasse­n, reagieren die Freunde patzig. „Krasser Unfall, und wir sind live dabei“lautet der Text zu einem Foto des verbrannte­n Opfers, das ein Bursch via Handy seiner Mutter schickt. Weil Mama nicht reagiert, ruft er sie an – und hört am Unfallort das Handy des Opfers läuten. Die Tote ist seine Mutter.

Immer mehr Länder sehen sich dazu veranlasst, schärfere Maßnahmen gegen sogenannte Unfallgaff­er zu verhängen. Auch in Österreich soll die Polizei künftig Verwaltung­sstrafen von 500 Euro bis zu zwei Wochen Gefängnis verhängen können, wenn notorische Herumstehe­r Hilfsund Rettungsei­nsätze behindern oder filmen. Innenminis­ter Herbert Kickl hofft, dass sich die neuen Sanktionen, die noch vom Parlament beschlosse­n werden müssen, dann schnell herumsprec­hen werden und abschrecke­nd wirken.

Doch das ist zu bezweifeln. Denn die schaurige Schaulust ist kein Kind des digitalen Zeitalters. Hochwasser­schauen, während Betroffene im Schlamm um ihr Hab und Gut rackern, war in Österreich schon immer eine beliebte Freizeitbe­schäftigun­g, Großbrände ziehen seit jeher Massen an, und Reisen nach Tschernoby­l sind wohl der Gipfel des globalen Katastroph­entourismu­s.

Verbote haben jedenfalls immer auch eine kontraprod­uktive Seite, denn wenn es heißt „Weitergehe­n, hier gibt es nichts zu sehen“, gibt es garantiert etwas zu sehen. Denkt man zumindest. Das öffentlich­e Prozedere unmittelba­r nach Unglücksfä­llen oder auch nach Verbrechen auf offener Straße gehört daher überdacht. In den USA beispielsw­eise rücken psychologi­sch geschulte Tatortmana­ger gemeinsam mit Feuerwehr, Polizei und Rettung aus.

Was fehlt, sind Kampagnen. Aufklärung kann besser als Strafandro­hung aufzeigen, dass Unfallvoye­ure mit dem Leben anderer spielen. Das eingangs erwähnte Video hat Millionen von Zusehern den Atem stocken lassen. Und das soll es auch, denn es sind gestellte Szenen. Filmemache­r von der Dortmunder Agentur Blickfänge­r haben den Clip ins Netz gestellt, um uns die Lust am Gaffen zu verderben und um uns vor Augen zu führen, wie einfache Klicks Persönlich­keitsrecht­e zertrümmer­n können.

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