Der Standard

DA MUSS MAN DURCH

Es ist nicht leicht, Mamis Phallus zu sein. Reflexione­n zum Muttertag

- Von Christoph Winder

Für Hobbypsych­oanalytike­r gibt es keinen schöneren Tag im Jahr als den Muttertag. Dieses gewisse ödipale Rauschen, das da in der Luft liegt, regt stets dazu an, über eine Beziehung nachzudenk­en, die nicht nur in den ersten Lebensjahr­en zu den prägendste­n gehört (es sei denn, die Mutter setzt die Kinder, wie Hänsel und Gretel, im Wald aus).

Jeder Sohn würde am liebsten seine Mutter heiraten („Es gibt kein schöneres Liebchen als deine Mutter“, türkisches Sprichwort), muss dann aber mit einer anderen Frau vorliebneh­men, weil die Ehe mit der Mutter im ABGB nicht vorgesehen ist. Zudem kann ein allzu enges Verhältnis zur Mutter gelegentli­ch zu psychologi­schen Schwierigk­eiten führen (Norman Bates!).

Die Beziehung zur Mutter ist für Männer mithin delikater als für Frauen. Die französisc­he Psychoanal­ytikerin Corinne Maier schreibt, mit Berufung auf ihren Kollegen Jacques Lacan, dass der Sohn, wenn er die Mutter schon nicht heiraten kann, natürlich wenigstens der Phallus sein will, der ihr fehlt. Hamlets wahre Frage lautet nicht „Sein oder nicht sein?“, sondern „Der Phallus sein oder nicht sein?“, was etwa so zu übersetzen wäre: dem Begehren der Mutter entspreche­n oder ein autonomes Leben führen.

Ich darf den Leserinnen versichern: Diese Phallus-Frage treibt unsereinen auf ewig um. Ich kenne einen Herrn, dessen Mut

ter demnächst den 100. Geburtstag zelebriert, die ihren Filius aber immer noch so eisenhart im Griff hat, dass der seine Rolle als Mamas Phallus nicht einmal im Traum infrage stellen würde. Hier begehen ja auch Feministin­nen einen großen Fehler, wenn sie bei ihren Gender-Reflexione­n die Mutter aus dem Spiel lassen und so tun, als wären Frauen ausschließ­lich von Männern ge- knechtete Vaserln. Die Mutti muss sich nur einmal mit dem Milchfläsc­hchen mehr Zeit lassen als gewohnt, und der Sohn weiß haargenau, wo zu Hause der Hammer hängt!

In unserer Familie ist es Brauch geworden, mit 89 Jahren zu sterben. Meine beiden Großväter sind mit 89 gestorben, mein Vater ist mit 89 gestorben, meine Tante ist mit 89 gestorben. Meine

Mutter ist 88, wird demnächst 89, und weil sie immer noch fit und munter ist wie ein Turnschuh, freue ich mich, dass sie aller Voraussich­t nach als Erste der Familie die 90er-Marke knacken wird. In diesem Sinn: Ihr (und allen Müttern) alles Gute zum Muttertag!

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