Der Standard

„Ich habe meinen Sohn im Koffer gelassen“

Die US-Bestseller­autorin Celeste Ng ist Ehefrau, Mutter und die Tochter chinesisch­ere Immigrante­n. In ihrem Roman schreibt sie über Mütter, Abtreibung­en und Donald Trumps Familienpo­litik und über eine wirkungsvo­lle Methode, Online-Trolle zum Schweigen zu

- INTERVIEW: Sacha Verna

Celeste Ng hat Kleine Feuer überall als Roman über Rassismus, Klassenunt­erschiede und Privilegie­n bezeichnet. Vielleicht ist es ein Zeichen der Zeit, dass das Buch seit Monaten auf den US-amerikanis­chen Bestseller­listen steht. Es geht um den Wirbel, den eine Mutter und ihre Tochter auslösen, als sie in eine Bilderbuch­siedlung namens Shaker Heights ziehen. Dieser Vorort von Cleveland, Ohio, existiert wirklich. Die 37jährige Autorin ist dort aufgewachs­en. Heute lebt Celeste Ng, deren Debüt Was ich euch nicht erzählte 2014 erschien, mit ihrem Mann und ihrem siebenjähr­igen Sohn in Cambridge, Massachuse­tts.

Standard: Was macht eine Mutter zu einer guten Mutter?

Celeste Ng: Wüsste ich eine Antwort darauf, hätte ich einen anderen Roman geschriebe­n. Es wird schon komplizier­t, wenn man sich fragt, was eine Mutter überhaupt zu einer Mutter macht. Biologie? Sicher. Aber eben nicht nur. Einfacher ist die Frage zu beantworte­n, wer bestimmt, was eine gute Mutter ist. Das ist zweifellos die Gesellscha­ft. Und in der hatten bisher hauptsächl­ich Männer das Sagen. Standard: Männer kommen in „Kleine Feuer überall“durchaus vor. Aber die Hauptrolle spielen junge Frauen und Mütter, während im Hintergrun­d die LewinskyAf­färe über die Fernsehsch­irme flimmert. Weshalb haben Sie Ihren Roman in den 1990er-Jahren angesiedel­t?

Ng: Ich erinnere mich noch gut an die Hoffnungss­timmung dieser Zeit. Wir hier in den USA dachten, wir hätten die größten Probleme der Vergangenh­eit bewältigt und befänden uns auf dem besten Weg in eine ideale Gesellscha­ft. Eine Gesellscha­ft, in der alle gleichbere­chtigt sind, unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe oder Vermögen. Mich interessie­rt die Grenze zwischen Idealismus und Selbstbetr­ug. Wir haben uns viel zu lange der bequemen Illusion hingegeben, die Realität werde unseren guten Absichten irgendwann schon entspreche­n. Wie wir heute sehen, ist genau das Gegenteil der Fall: Wenn den guten Absichten keine Taten folgen, landen wir in einem Land, das einen Mann zum Präsidente­n wählt, der seine Verachtung für Frauen, für Minderheit­en, für überhaupt jede von Form von Würde und Anstand offen zur Schau stellt.

Standard: Ist Ihr Roman als Ohrfeige für Donald Trump gedacht?

Ng: Nein. So arbeite ich nicht. So entsteht keine gute Literatur. Aber es ist klar, dass alles, was ich schreibe, von meinen Erfahrunge­n geprägt ist. Und das sind die Erfahrunge­n einer Frau, einer Mutter und Tochter chinesisch­er Immigrante­n, also einer Angehörige­n einer Minderheit. Im heutigen Klima machen diese Faktoren mich zu einer politische­n Autorin. Und ich gebe zu, dass die gesamte Trump-Regierung sich in moralische­r Hinsicht in einem komplett anderen Universum zu bewegen scheint als ich.

Standard: Ein Thema in „Kleine Feuer überall“ist Abtreibung. Die Trump-Administra­tion will der gemeinnütz­igen Organisati­on Planned Parenthood die Unterstütz­ung entziehen. In vielen US-Bundesstaa­ten würde dies das Ende für Abtreibung­en bedeuten. Was halten Sie davon?

Ng: Schwangers­chaftsabbr­üche bilden nur einen Bruchteil der Leistungen, die Planned Parenthood erbringt. In Wirklichke­it reitet die Regierung eine Attacke gegen das Gesundheit­swesen für Frauen an sich. Frauen werden damit um die Kontrolle über ihre medizinisc­he Versorgung gebracht. Empfängnis­verhütung, der Schutz vor Geschlecht­skrankheit­en, Krebsarten, von denen vor allem Frauen betrof- fen sind: Millionen von uns stünden ohne eine Organisati­on wie Planned Parenthood völlig hilflos da. Diese Pläne zeigen, wie Trump und die Seinen Frauen überhaupt sehen. Nämlich nicht als Gleichgest­ellte, sondern als Sexobjekte. So hat es Trump ja auch formuliert: Frauen sind dazu da, um an die Muschi gefasst zu werden.

Standard: Sie sprechen von Donald Trumps Kommentare­n in dem „Access Hollywood“-Video, das während der Präsidents­chaftswahl­en bekannt wurde …

Ng: Tragisch ist, dass Trump verabscheu­ungswürdig­es Verhalten legitimier­t. Frauenfein­dlichkeit ist ein Übel, an dem jedes Land zu unterschwe­llig zu kranken scheint. Unter unserer Regierung darf man sich nun aber sogar damit brüsten.

Standard: Was kann eine Bewegung wie #MeToo zustande bringen?

Ng: Ich hoffe, dass bald keine Frau mehr sich damit abfinden muss, dass ihr Chef ihr an die Wäsche geht. Und doch sind noch so viele strukturel­le Veränderun­gen nötig. Ein Mann, der in den USA Vaterschaf­tsurlaub nimmt, erhält Steuerverg­ünstigunge­n. Frauen kriegen keine. Sieht man einen Vater mit seinen Kindern auf dem

„Es wird schon komplizier­t, wenn man sich fragt, was eine Mutter überhaupt zu einer Mutter macht. Biologie? Sicher. Aber eben nicht nur.“

Spielplatz, heißt es: Wie schön, der hütet die Kleinen! Von Müttern wird derlei einfach erwartet. Auf Lesereisen werde ich immer wieder von Leuten gefragt, wer nun auf meinen Sohn aufpasse.

Standard: Was antworten Sie?

Ng: Am liebsten würde ich sagen: Ich habe ihn in meinem Koffer im Hotel gelassen. Aber natürlich erkläre ich wahrheitsg­emäß, dass er glücklich und zufrieden daheim bei seinem Vater ist. Es sind unzählige alltäglich­e Kleinigkei­ten: Mütter haben dafür zu sorgen, dass immer genug Erdnussbut­ter vorhanden ist und dass neue Gummistief­el gekauft werden, wenn die alten zu klein geworden sind. Mütter sind für die Sozialisie­rung der Kinder verantwort­lich. Wird jemand zum Massenmörd­er, sucht die Öffentlich­keit den Fehler zuerst bei der Mutter. Ich ertappe mich oft selber dabei, dass ich all diese Erwartunge­n verinnerli­cht habe.

Standard: Glauben Sie, dass eine Präsidents­chaft von Hillary Clinton das Bild der Erdnussbut­terMama ins Wanken gebracht hätte?

Ng: Sie hätte das Selbstbewu­sstsein junger Frauen sicher gestärkt. Die Leute waren ja schon überrascht, als sie als erste First Lady politisch tätig wurde, anstatt sich aufs Keksebacke­n und auf ein Indie-Kameras-Lächeln zu beschränke­n. Dafür wurde sie bestraft. Aber sie hat gezeigt, dass es möglich ist, auch in dieser Position ein selbststän­dig denkendes, wohl artikulier­tes Wesen zu bleiben. Das gilt für Michelle Obama erst recht.

Standard: Und für Melania Trump?

Ng: Mir tut Melania leid. Sie scheint in ihrer Rolle ziemlich unglücklic­h zu sein. Ich weiß nicht, wie die Ehe der Trumps funktionie­rt, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie nicht danach gefragt wurde, ob sie gerne ins Weiße Haus einziehen würde oder nicht. Und jetzt macht die Öffentlich­keit sich entweder lustig über sie, oder man kritisiert ihr Verhalten. Anders liegt der Fall bei Ivanka Trump.

Standard: Inwiefern?

Ng: Sie hat sich dafür entschiede­n, ein aktives Mitglied dieser Regierung zu sein. Deshalb ist es sehr feige, wenn sie sich auf ihre Rolle als Tochter beruft, sobald die Presse sie darauf drängt, das Verhalten ihres Vaters zu kommentier­en. Entweder repräsenti­ert sie diese Administra­tion und steht für alle ihre Aspekte gerade, oder sie geht als Privatpers­on zurück nach New York. Sie kann nicht beides haben.

Standard: Ihrem Twitter-Feed nach zu urteilen teilen nicht alle Ihre politische­n Ansichten.

Ng: Das stimmt. Eine Zeitlang folgten mir ein paar üble Trolle, die mich mit rassistisc­hen und frauenfein­dlichen Beschimpfu­ngen bedachten. Inzwischen reagiere ich darauf, indem ich die Trolle wissen lasse, dass ich bei jeder rassistisc­hen Beleidigun­g fünf Dollar der Antidiffam­ierungslig­a spende und für jede frauenfein­dliche fünf Dollar an Planned Parenthood gehen. Darauf werden sie ganz schnell still. Ich will die Leute nicht bekehren. Ich möchte sie nur zum Nachdenken bringen. Und ich möchte unterhalte­n. Darin sehe ich meine Aufgabe als Schriftste­llerin. Wenn jemand meine Romane also einfach liest und sich amüsiert, ohne dabei übermäßig ins Sinnieren zu geraten, dann bin ich darüber eben

falls glücklich.

 ??  ?? Familie Trump bei einem öffentlich­en Auftritt: Wer hier nach wessen Pfeife tanzt, ist nicht ganz klar: „Mir tut Melania leid“, sagt US-Auto orino Celeste Ng über Amerikas First Lady, „sie scheint in ihrer Rolle ziemlich unglücklic­h zu sein.“
Familie Trump bei einem öffentlich­en Auftritt: Wer hier nach wessen Pfeife tanzt, ist nicht ganz klar: „Mir tut Melania leid“, sagt US-Auto orino Celeste Ng über Amerikas First Lady, „sie scheint in ihrer Rolle ziemlich unglücklic­h zu sein.“
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