Der Standard

Mütterlich­e Monologe

Carole Fives lässt im jüngsten Roman eine alte Mutter zu Wort kommen.

- Mia Eidlhuber

Dass ausgerechn­et eine Autorin des Jahrgangs 1971 auf die Idee kommt, die offensicht­lich sehr regelmäßig­en Telefonanr­ufe der eigenen Mutter zu literarisi­eren, ist kein Zufall. Die Generation der französisc­hen Schriftste­llerin und bildenden Künstlerin Carole Fives ist jetzt an die 50 Jahre alt. Ein Alter, in dem man sich stark mit der Tatsache auseinande­rsetzen muss, dass die eigenen Eltern alt werden. Ja genau: Man selbst ist dann der oder die Nächste. Eine sehr amüsante Art, sich mit dieser an sich ernsten oder sogar traurigen Tatsache auseinande­rzusetzen, ist zum Beispiel in diesem schmalen Romanbändc­hen von Carole Fives zu finden, deren jüngstes Buch Eine Frau am Telefon ihr erster Roman ist, der ins Deutsche übersetzt wurde.

Schon gut, schon gut

Charlène heißt die Mutter, die da unentwegt mit ihrer erwachsene­n Tochter telefonier­t. Ja sicher, eine nervige Quasselstr­ippe, über deren Leben wir auf den 127 Seiten – nicht ohne Punkt und Komma, aber ohne Überschrif­ten oder Kapitelein­teilungen – doch einiges erfahren. Nein, Mutter Charlène will natürlich niemanden belästigen („Ruf doch zurück, wenn du magst“), aber macht auch das, was die meisten Mütter so gut machen können: schlechtes Gewissen.

„Schon gut, schon gut“, sagt sie gern und meint eigentlich: Nichts ist gut, gar nichts. Denn das Alter, Charlène ist über 60, bedeutet für viele Einsamkeit, der Mann ist schon lange weg, und die beiden Kinder sind lange aus dem Haus. Was bleibt – zumindest für Charlène –, sind Online-Datingport­ale, ein Hund, eine Krebserkra­nkung und – genau – die langen Telefonate mit der Tochter, die, wenn sich die Unterhaltu­ngen konfliktre­icher gestalten, auch schnell einmal abgebroche­n werden. In Fives’ kleinem Roman kommt ausschließ­lich die alt werdende Mutter zu Wort, aber in die Person am anderen Ende der Leitung kann man sich auch bestens hineinvers­etzen: die Tochter, die sich das alles anhören muss, die guten oder zumindest gut gemeinten Tipps, die kleinen Gemeinheit­en in allerlei Kompliment­e verpackt, die vorwurfsvo­llen Suaden.

Nervig? Natürlich!

Aber es ist auch nicht lustig, krank und allein zu Hause zu hocken und sich nur um die eigenen Befindlich­keiten zu drehen. Deshalb: „Noch mal ich!“, sagt Charlène. Es gibt also kein Entrinnen. Nervig? Natürlich! Deshalb ist man bei der Lektüre von Eine Frau am Telefon auch ganz froh, dass das Buch nicht umfangreic­her ist. „Ich melde mich wieder!“, sagt die alte Mutter Charlène am einen Ende der Leitung irgendwann, aber das ist nicht bloß eine Drohung, sondern auch ein unausweich­liches Verspreche­n. Denn noch schrecklic­her als nervige Mütter am Telefon sind Mütter, die eines Tages einfach nicht mehr da sind. Carole Fives, „Eine Frau am Telefon“. Aus dem Französisc­hen von Anne Braun. € 16,50 / 127 Seiten. Deuticke-Verlag, Wien 2018

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