Der Standard

Vater: Totengräbe­r

Mit seinem zweiten Roman „Nebel“legt Mario Schlembach ein monotones Exerzitium des Todes vor.

- Gerhard Zeillinger

Vater verstorben. Beerdigung in drei Tagen.“Die Nachricht der Bestatteri­n, hinterlass­en auf dem Anrufbeant­worter, ruft den IchErzähle­r in sein Heimatdorf und damit auch in die Vergangenh­eit zurück. Solche Romananfän­ge sind nur allzu bekannt, der Tod eines Elternteil­s als Auslöser einer Geschichte ist ein Topos in der Literatur des 20. Jahrhunder­ts. „Heute ist Mama gestorben“, so beginnt Camus’ Der Fremde, während in Handkes Wunschlose­m Unglück die Zeitungsno­tiz vom Selbstmord der Mutter die Erzählung in Gang bringt. Auch FranzJosef Murau in Bernhards Auslöschun­g wird durch ein Telegramm mit der Nachricht vom Unfalltod der Eltern an den Ort seiner Herkunft zurückgeru­fen, wo er rücksichts­los mit jener Wirklichke­it konfrontie­rt wird, der er eigentlich zu entfliehen versuchte. Bei Mario Schlembach ist alles viel konzentrie­rter oder auch simpler: Als der Sohn im Heimatort ankommt, hat der Bestatter gerade einen personelle­n Engpass, also legt der Sohn selber Hand an und schaufelt das Grab für den Vater. Das ist weiter nicht ungewöhnli­ch, ist er doch der Sohn eines Totengräbe­rs und hat das Handwerk bei ihm gelernt, später hat er eine Zeitlang auch selbst im Bestattung­swesen gearbeitet.

Das hat übrigens auch der 32-jährige Autor: Von Mario Schlembach, dem Bauernsohn aus dem Bezirk Bruck an der Leitha, erfährt man, dass er in seinem bisherigen Leben als Postler, Buchhalter, Lokalrepor­ter, Bestattung­shelfer und Totengräbe­r sein Geld verdient hat. Er weiß also, wovon er schreibt. Und was er beschreibt, ist so eindringli­ch, dass man beim Lesen den Leichenger­uch nicht mehr aus den Buchseiten wegbringt. Da wird bestattet, umgebettet und exhumiert, mit einer Drastik, die einem trotz poetischer Einrahmung manchmal mehr als realistisc­h und deshalb mehr als genug ist.

Dass der Fokus auch die gesamte narrative Struktur bestimmt, lässt sich nicht ganz vermeiden. Es ist zwar ein sehr konsequent, aber eben auch sehr eindimensi­onal gearbeitet­er Roman, eigentlich vielmehr eine betrachten­de Erzählung, die die Erinnerung auch zeitlich sehr eng und knapp zusammenrü­ckt. Reflektier­t wird das Heranwachs­en eines Totengräbe­rkindes, das früh schon dem Vater zur Hand gehen muss. Eine lebensbest­immende Erfahrung. Nun hätte der sozialgesc­hichtliche Hintergrun­d wohl eine spannende Folie abgegeben, doch erfährt man über das reale Leben in der Provinz überrasche­nd wenig – dafür eine Geschichte, die ein wenig konstruier­t wirkt: die von der Liebe im Dorf und vom besten Freund, der sich eines Tages umbringt.

Die etwas farblose Erzählung innerhalb der Erzählung kann das künstliche Geflecht nicht aufbrechen, sondern verdichtet es noch weiter, und das ergibt ein ziemlich monotones Strickmust­er, durchwirkt von manchmal pathetisch­en Sätzen, was natürlich nicht ausbleibt, wenn so intensiv vom Tod die Rede ist. Dennoch hätte man sich einen abgeklärte­ren Ton und mehr Distanz in der Selbstscha­u gewünscht. Auch hätte dem Roman ein wenig Abwechslun­g gutgetan. „Abläufe, Rituale, Oberfläche­n, nichts anderes schilderst du und stellst dazu völlig belanglose Reflexione­n an“, sagt gegen Ende des Romans die mysteriöse Geliebte zum Erzähler. Dasselbe könnte auch der Kritiker zum Autor des Buches sagen.

Schlembach­s zweiten Roman, Nebel – nach Dichtersga­ttin im Vorjahr (auch da ging es schon um das Bestattung­swesen) –, mag man neuerlich als Talentprob­e ansehen. Ob man allerdings langfristi­g mit dieser Richtung reüssieren kann – der Tod, die Provinz, die Kunst –, bleibt fraglich. Dazu haben schon Thomas Bernhard und Josef Winkler, und zwar auf einem anderen Level, der österreich­ischen Literatur kräftig genug den Stempel aufgedrück­t. Mario Schlembach,

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Foto: Vilma Pflaum Mario Schlembach (32), Bauernsohn aus Bruck an der Leitha und Totengräbe­rkind.
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„Nebel“. € 20,– / 196 Seiten. OttoMüller-Verlag, Salzburg 2018

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