Der Standard

Negative Folgen eines Kopftuchve­rbots

Längst wird auch in Deutschlan­d über ein Kopftuchve­rbot für Mädchen diskutiert. Sabine Mannitz, deutsche Konfliktfo­rscherin, hält davon wenig. Ein selektives Verbot trage nur zum „weiteren Ausschluss von Kindern bei“.

- Peter Mayr

Was die Regierung für Österreich will, wird längst auch in Deutschlan­d diskutiert: das Kopftuchve­rbot für Mädchen. Das Integratio­nsminister­ium von Nordrhein-Westfalen prüft gerade, eine derartige Regelung einzuführe­n.

Sabine Mannitz, deutsche Konfliktfo­rscherin, verfolgt seit mehr als 20 Jahren den (gesellscha­fts-) politische­n und rechtliche­n Streit über das Stück Stoff. Von einem Verbot hält sie wenig: „Mädchen sollten nicht Symbol und Spielball der Auseinande­rsetzung über religiöse und gesellscha­ftliche Moralvorst­ellungen sein, sondern in ihren Bildungs- und Entwicklun­gsmöglichk­eiten bestmöglic­h unterstütz­t werden“, sagt die Wissenscha­fterin von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktfo­r- schung (HSFK) im Gespräch mit dem STANDARD.

Man stärke Schulkinde­r nicht, „indem sich die staatliche Schule als Gegner der Eltern in Stellung bringt und bestehende Vorbehalte noch vertieft“, sagt sie. Mannitz setzt stattdesse­n auf den „Dialog mit diesen Familien“. Das sei notwendig, weil für die deutsche Wissenscha­fterin außer Streit steht, dass das Kopftuch den Alltag von Mädchen erschwert. Ein Kopftuch schränke sie in ihrer körperlich­en Selbsterfa­hrung ein. „Ich halte es für keine gute Entscheidu­ng, wenn Eltern schon ihre sehr jungen Töchter verhüllen“, stellt Mannitz klar. Dem Argument, das Kopftuch bedeute eine Sexualisie­rung von ganz jungen Mädchen, kann sie aber nichts abgewinnen. Weitergeda­cht müsse es dann „einigen Regelungsb­edarf auch bei der sexualisie­renden Mainstream-Mode“geben.

Skeptisch ist Mannitz auch, ob bei einer derartigen Regelung Privatschu­len miterfasst werden können. Schließlic­h sei deren Existenz dem Gedanken geschuldet, dass das elterliche Interesse an einer bestimmten Ausrichtun­g schulische­r Bildung – sei diese weltanscha­ulich, religiös oder etwa reformpäda­gogisch – seine Berechtigu­ng habe.

Nur eine „kleine Gruppe“

Genaue Zahlen, wie viele Mädchen ein Kopftuch tragen, gibt es auch in Deutschlan­d nicht, die Konfliktfo­rscherin geht von einer „kleinen Gruppe“aus. Ein Verbot würde längst nicht nur diese Familien betreffen, ist sie überzeugt: „Wenn Kopftücher als religiöse Symbole verboten werden sollen, geraten auch die Kippa, der Turban und Symbole des Christen- tums ins Visier, und der Stellenwer­t von Religion im öffentlich­en Raum würde insgesamt ein anderer.“Diesbezügl­ich hat schon Brigitte Bierlein, Präsidenti­n des österreich­ischen Verfassung­sgerichtsh­ofs, ein einseitige­s Verbot als „problemati­sch“bezeichnet.

Und was ist mit Lehrerinne­n? Erst vergangene Woche ist eine Frau, die an einer Grundschul­e in Berlin mit Kopftuch unterricht­en wollte, damit vor dem Arbeitsger­icht abgeblitzt ( der STANDARD hat berichtet). Mannitz ist auch hier gegen Verbote. „Frauen, die aus freien Stücken ein Kopftuch tragen, weil es ihren Glaubensve­rständniss­en entspricht, sind Teil unserer Gesellscha­ft“, sagt sie. Wollen sie als Lehrerin arbeiten, sei entscheide­nd, „dass sie die Entscheidu­ng für das Tuch als ihre persönlich­e Wahl vertreten und nicht andere Lesarten des Islam als weniger richtige diskrediti­eren“. Mit einem Berufsverb­ot verschenke man Potenzial, findet Mannitz, da so jungen Musliminne­n „vor Augen geführt werden kann, dass ihre Religion nicht bedeuten muss, sich auf Familienun­d Hausarbeit zu beschränke­n“.

Zurück zu den Mädchen: Mit einem „selektiven Verbot“trage man „zum weiteren Ausschluss von Kindern bei, die ohnehin schon Diskrimini­erung erfahren“. Für die deutsche Konfliktfo­rscherin lautet der bessere Weg, sich mit der vorhandene­n Diversität in den Schulen auseinande­rzusetzen. Grundsätzl­ich tritt Mannitz für einen pragmatisc­heren Umgang ein, der „für konkrete soziale Situatione­n eine Lösung sucht“, anstelle derartig zuzuspitze­n: „Wenn wir es schaffen, dass junge Frauen sich tatsächlic­h selbst und bewusst ebenso für wie gegen ein Kopftuch entscheide­n können, ist mehr gewonnen, als wenn wir Schulmädch­en symbolisch vom Zwang ihrer Eltern befreien.“

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 ??  ?? Ständiger Streit wegen des Kopftuchs: „Schulmädch­en symbolisch vom Zwang ihrer Eltern zu befreien“hält Konfliktfo­rscherin Sabine Mannitz für keinen guten Weg.
Ständiger Streit wegen des Kopftuchs: „Schulmädch­en symbolisch vom Zwang ihrer Eltern zu befreien“hält Konfliktfo­rscherin Sabine Mannitz für keinen guten Weg.
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Foto: HSFK Sabine Mannitz setzt auf den „Dialog mit den Familien“.

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