Finanzminister zu höheren Zahlungen ins EU-Budget bereit
Löger akzeptiert steigenden Nettobeitrag „Wir wollen nicht alles blockieren“
Wien – Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP) vollzieht eine Abkehr von der bisherigen Regierungslinie, keine höheren EU-Beiträge zu dulden. „Wir wissen, dass es mehr sein wird“, erklärt der Ressortchef im Gespräch mit dem Standard. Eine exakte Zahl will er nicht nennen. Auf die Frage, ob am Ende auch ein um eine Milliarde höherer Nettobeitrag an die EU stehen könnte, antwortet Löger: „Nicht weit darunter.“Österreichs Position sei nicht, „dass wir alles blockieren wollen“.
Die EU-Kommission hat vorletzte Woche ihre Pläne für den Haushalt ab 2021 vorgelegt, der vom Ausscheiden des Nettozahlers Großbritannien aus der EU ge- prägt ist. Zudem will Brüssel mehr Geld für Bereiche wie Außengrenzschutz, Verteidigung und Forschung, weshalb das EU-Budget insgesamt ansteigen soll.
Grundsätzlich erklärte Löger zur EU-Politik Österreichs, er wolle „nicht weniger Europa, es soll nur nicht mehr werden“. Der Finanzminister sieht Bereiche, in denen die EU zu stark eingreife.
Aufhorchen lässt Löger in der Debatte über eine höhere Steuer auf Internetgiganten wie Google oder Facebook. Eine Onlinesteuer auf deren Werbeabgabe, wie sie auch die EU-Kommission vorgeschlagen hat, könnte auch auf nationaler Ebene eingeführt werden, sagt der Minister.
Leider Gottes gibt es immer wieder einige grausliche G’schichten, ich lehne das zutiefst ab, hoffe, dass diese Phase des EU-Vorsitzes für die FPÖ eine Chance ist, sich selbst zu erkennen.
Standard: In sechs Wochen beginnt Österreichs EU-Vorsitz, der schwierig wird, weil sehr komplexe Probleme zu lösen sind. Brexit, EUBudgetrahmen, EU-Reform, Stärkung der Eurozone. In der Regierung herrscht Chaos um antisemitische Ausritte. Furcht oder Freude?
Löger: Die Freude überwiegt, aber ich gehe mit Respekt an diese Aufgabe heran. Es gibt viele Themen, die zwar alle gleichzeitig auf den Tisch kommen, die aber miteinander eng verwoben sind. Ich sehe gerade darin eine Chance. Die strategische Ausrichtung der EUReform, der Brexit in seiner Wirkung und die mittelfristige Budgetrahmenplanung bis 2027 erfordern es nahezu, dass man das eine auf das andere abstimmt.
Standard: Man hätte erwartet, dass Sie gleich zum Chaos in der Regierung in Bezug auf EU-Linie und Grundsätze protestieren. Löger: Darauf wollte ich gerade eingehen. Mein Bild von der Regierung ist ein deutlich anderes. Ich sehe gemeinsame Priorisierung. Wir haben drei große Themen zu Prioritäten deklariert, die wir unter dem Titel „Ein Europa, das schützt“präsentieren werden.
Standard: Ein Begriff, den Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kreiert hat, er will Integration. Löger: Das ist für ganz Europa wichtig. Es betrifft zuerst das Thema Migration. Man muss stärker zwischen berechtigten Asylwerbern und unberechtigten Migranten unterscheiden. Wir haben dann als zweites das Integrationsthema Westbalkan, auch das ein Sicherheitsthema. Der dritte Aspekt betrifft das Wachstum, eine positive Entwicklung bei Investitionen und Innovationen, der Digitalisierung. Auch dabei geht es letztlich um Sicherheit, Arbeitsplätze, soziale Sicherheit.
Standard: Die Regierung will Brückenbauer sein, gleichzeitig wird betont, dass Österreich weniger EU wolle, diese schlank werden muss, weniger Geld bekommt. Und die FPÖ lässt seit Monaten keine Gelegenheit aus zu zeigen, dass es in ihren Reihen ein Antisemitismusproblem gibt. Kein Problem also? Löger: Nein. Es gibt im Regierungsprogramm eine eindeutige Deklaration für Europa, proeuropäisch im wahrsten Sinne des Wortes. Aber es gibt einschränkend eine klare Aussage, was die Erwartung an dieses gemeinsame Europa ist. Österreich ist sehr eindeutig. Wir wollen Subsidiarität einerseits und Proportionalität andererseits.
Standard: Also eine Rückverlagerung der Entscheidungen von der EU-Ebene auf die nationale Ebene. Was ist daran proeuropäisch? Löger: Wir müssen überlegen, was sind die wirklich großen Themen und Probleme, die wir gemeinschaftlich angehen. Und wo sind Themen, wo die Union vielleicht ein bisschen zu stark operativ bis ins Detail eingreift. Wir wollen nicht weniger Europa, es soll nur nicht mehr werden.
Standard: Das ist aber eine grundsätzliche Änderung der österreichischen Linie. Seit dem EU-Beitritt war das Ziel möglichst viel Integration. Österreich scheint sich vom Kern Europas rund um die deutschfranzösische Achse wegzubewegen. Warum?
Löger: Ich gebe Ihnen in einem Punkt recht. Wir müssen in der Kommunikation unserer Position für mehr Klarheit sorgen. Ein Beispiel, das für mich eine interessante Erkenntnis brachte: Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hat in Brüssel erklärt, Deutschland sei bereit, zehn Milliarden Euro mehr ins EU-Budget einzuzahlen. Österreichs Position ist, dass wir an der jetzigen Beitragsgrundlage festhalten sollen, der EU-Budgetrahmen bei maximal ein Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung aller EU-Staaten bleibt. Der Inhalt beider Positionen ist derselbe, aber die Botschaften wurden diametral anders aufgenommen.
Standard: Die Rechnung Merkels kalkuliert die Folgen des Brexits ein. Worauf wollen Sie hinaus?
Löger: Wenn das EU-Budget bei einem Prozent Bruttonationaleinkommen (BNE) aller künftig nur 27 EU-Staaten gehalten wird, entsprechen diese zehn Milliarden Euro Mehrleistung von Deutschland dem, was an Wirtschaftswachstum erwartet wird. Das gilt auch für Österreich. Wir werden genau diese Steigerung in dieser Form mit einbringen. Das heißt, auch wir sind bereit, mehr ins EUBudget einzuzahlen. Wir wissen, dass es mehr sein wird.
Standard: Es gibt Berechnungen, dass sich auch der österreichische Nettobeitrag im Worst Case von zuletzt rund 800 Millionen Euro in Zukunft fast verdoppeln könnte. Wenn Rückzahlungen wegfallen, der Budgetrahmen durch Umschichtungen ausgeschöpft wird, die Brexit-Rechnung schlecht aus-
fällt etc.: Wie viel zahlen wir netto wahrscheinlich mehr? Löger: Es ist zu früh, schon jetzt eine kalkulatorische Fixierung vorzunehmen. Ich bin aber sehr wohl dabei, wenn man sagt, dass wir uns auf der inhaltlichen Ebene anstrengen und Schritt für Schritt die Bandbreite definieren, damit wird dann die richtigen Entscheidungen treffen.
Standard: Wie ist die Bandbreite? Zahlt Österreich, wenn es denn gut läuft, in Zukunft jährlich netto um 300 Millionen mehr ins EU-Budget? Oder geht es eher in Richtung einer Milliarde Euro mehr, wenn etwa auch der Beitragsrabatt von 110 Millionen Euro wegfällt?
Löger: Ich sehe es noch nicht am oberen Ende der Bandbreite, die Sie gerade definiert haben. Aber ich sehe es auch nicht weit drunter, ja. Die vielen offenen Themen führen dazu, dass die Bandbreite sicher groß ist. Wichtig ist jetzt, dass wir die inhaltliche Debatte voranstellen. Wenn es Möglichkeiten gibt, die Österreich neue Chancen eröffnen, dann können wir über Mehrleistungen in diese investieren. Unsere Position bedeutet eben nicht, dass wir alles blockieren wollen,
Standard: Hat Ihr Koalitionspartner verstanden, dass man mit Antisemitismus und Verschwörungstheorien einiges kaputtmachen kann an der Reputation Österreichs?
Löger: Leider Gottes gibt es immer wieder einige grausliche G’schichten. Die stören, das ist ein Faktor, der mir persönlich wehtut, wo ich mich oft frage, warum muss ich mich jetzt mit so was auseinandersetzen? Ich lehne das zutiefst ab. Aber ich konzentriere mich trotzdem und sage, wir brauchen inhaltliche Arbeit. Und ich hoffe, dass auch diese Phase des EU-Vorsitzes für die FPÖ eine Chance ist, sich selbst zu erkennen, sich damit auseinanderzusetzen. Ich würde für mich in Gesprächen nur immer gern auseinanderhalten, dass das nicht regierungsrelevante Themen sind.
Standard: Was ist beim EU-Vorsitz bei der Digitalsteuer zu erwarten?
Löger: Ich gehe davon aus, dass es mit EU-Partnern gelingen wird, erste Schritte zu realisieren. Sollte es auf europäischer Ebene nicht so schnell gelingen, die digitale Ausgleichssteuer zu realisieren, könnten wir auf nationaler Ebene einen solchen Schritt setzen. Wir könnten sagen, dass wir diese auf Werbeabgabe bezogene Onlinesteuer national einführen, entweder im Alleingang oder möglicherweise auch gemeinsam mit anderen EU-Partnern.
HARTWIG LÖGER ist ÖVP-Finanzminister seit Dezember 2017. Der 52-jährige Steirer ist Quereinsteiger. Er war Vorstandsvorsitzender der Uniqa-Versicherung.
Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger erachtet geplante Kürzungen bei den EU-Agrarförderungen als völlig unakzeptabel und spricht von einem Anschlag auf die Landwirtschaft. Ihr Parteichef Sebastian Kurz wiederum will nicht mehr nach Brüssel überweisen. Nun meldet sich mit Hartwig Löger ein gewichtiger Minister zu Wort, wenn es um das EU-Budget geht. Für ihn ist völlig klar, dass sich Österreichs Zahlungen erhöhen werden. Was gilt nun eigentlich?
In der ÖVP sollte rasch eine Linie gefunden werden. Bis dato hat der Kanzler eine Allianz mit EU-Sparefrohs wie den Niederlanden und Schweden gebildet. Sie wird es schwer haben: Selbst große Nettozahler wie Deutschland und Frankreich haben angekündigt, nach dem Austritt der Briten finanziell einspringen zu wollen. Nettoempfänger in Ost- und Südeuropa wehren sich ohnehin gegen Kürzungen. Dabei wäre der Brexit ein guter Moment, den EUHaushalt auf den Kopf zu stellen und nicht nur bei der „Verwaltung“Abstriche zu machen, wie es Kurz fordert.
Nein, das Brüsseler Budget ist völlig überholt und trägt den künftigen Anforderungen nicht mehr Rechnung. Flächenabhängige Prämien für die Landwirtschaft, die einen der größten Ausgabenposten der Union darstellen, sollten schleunigst überdacht werden. Auch Regionalhilfen führen zu höchst zweifelhaften Ergebnissen. Insbesondere in Staaten mit hohem Entwicklungsgrad sind die Zahlungen aus den Strukturfonds reichlich absurd.
Umgekehrt sollten grenzüberschreitende Projekte forciert werden: Infrastruktur, Forschung, Weltraum wären Bereiche, in denen mehr Geld gut eingesetzt ist, um in Zukunft wettbewerbsfähiger zu werden. Auch die Aufstockung des Außengrenzschutzes kann getrost als europäische Aufgabe bezeichnet werden. Kurzum: Es braucht einen Kassasturz. Damit hat Kurz ja beste Erfahrenungen.