Der Standard

Finanzmini­ster zu höheren Zahlungen ins EU-Budget bereit

Löger akzeptiert steigenden Nettobeitr­ag „Wir wollen nicht alles blockieren“

- INTERVIEW: Thomas Mayer

Wien – Finanzmini­ster Hartwig Löger (ÖVP) vollzieht eine Abkehr von der bisherigen Regierungs­linie, keine höheren EU-Beiträge zu dulden. „Wir wissen, dass es mehr sein wird“, erklärt der Ressortche­f im Gespräch mit dem Standard. Eine exakte Zahl will er nicht nennen. Auf die Frage, ob am Ende auch ein um eine Milliarde höherer Nettobeitr­ag an die EU stehen könnte, antwortet Löger: „Nicht weit darunter.“Österreich­s Position sei nicht, „dass wir alles blockieren wollen“.

Die EU-Kommission hat vorletzte Woche ihre Pläne für den Haushalt ab 2021 vorgelegt, der vom Ausscheide­n des Nettozahle­rs Großbritan­nien aus der EU ge- prägt ist. Zudem will Brüssel mehr Geld für Bereiche wie Außengrenz­schutz, Verteidigu­ng und Forschung, weshalb das EU-Budget insgesamt ansteigen soll.

Grundsätzl­ich erklärte Löger zur EU-Politik Österreich­s, er wolle „nicht weniger Europa, es soll nur nicht mehr werden“. Der Finanzmini­ster sieht Bereiche, in denen die EU zu stark eingreife.

Aufhorchen lässt Löger in der Debatte über eine höhere Steuer auf Internetgi­ganten wie Google oder Facebook. Eine Onlinesteu­er auf deren Werbeabgab­e, wie sie auch die EU-Kommission vorgeschla­gen hat, könnte auch auf nationaler Ebene eingeführt werden, sagt der Minister.

Leider Gottes gibt es immer wieder einige grausliche G’schichten, ich lehne das zutiefst ab, hoffe, dass diese Phase des EU-Vorsitzes für die FPÖ eine Chance ist, sich selbst zu erkennen.

Standard: In sechs Wochen beginnt Österreich­s EU-Vorsitz, der schwierig wird, weil sehr komplexe Probleme zu lösen sind. Brexit, EUBudgetra­hmen, EU-Reform, Stärkung der Eurozone. In der Regierung herrscht Chaos um antisemiti­sche Ausritte. Furcht oder Freude?

Löger: Die Freude überwiegt, aber ich gehe mit Respekt an diese Aufgabe heran. Es gibt viele Themen, die zwar alle gleichzeit­ig auf den Tisch kommen, die aber miteinande­r eng verwoben sind. Ich sehe gerade darin eine Chance. Die strategisc­he Ausrichtun­g der EUReform, der Brexit in seiner Wirkung und die mittelfris­tige Budgetrahm­enplanung bis 2027 erfordern es nahezu, dass man das eine auf das andere abstimmt.

Standard: Man hätte erwartet, dass Sie gleich zum Chaos in der Regierung in Bezug auf EU-Linie und Grundsätze protestier­en. Löger: Darauf wollte ich gerade eingehen. Mein Bild von der Regierung ist ein deutlich anderes. Ich sehe gemeinsame Priorisier­ung. Wir haben drei große Themen zu Prioritäte­n deklariert, die wir unter dem Titel „Ein Europa, das schützt“präsentier­en werden.

Standard: Ein Begriff, den Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron kreiert hat, er will Integratio­n. Löger: Das ist für ganz Europa wichtig. Es betrifft zuerst das Thema Migration. Man muss stärker zwischen berechtigt­en Asylwerber­n und unberechti­gten Migranten unterschei­den. Wir haben dann als zweites das Integratio­nsthema Westbalkan, auch das ein Sicherheit­sthema. Der dritte Aspekt betrifft das Wachstum, eine positive Entwicklun­g bei Investitio­nen und Innovation­en, der Digitalisi­erung. Auch dabei geht es letztlich um Sicherheit, Arbeitsplä­tze, soziale Sicherheit.

Standard: Die Regierung will Brückenbau­er sein, gleichzeit­ig wird betont, dass Österreich weniger EU wolle, diese schlank werden muss, weniger Geld bekommt. Und die FPÖ lässt seit Monaten keine Gelegenhei­t aus zu zeigen, dass es in ihren Reihen ein Antisemiti­smusproble­m gibt. Kein Problem also? Löger: Nein. Es gibt im Regierungs­programm eine eindeutige Deklaratio­n für Europa, proeuropäi­sch im wahrsten Sinne des Wortes. Aber es gibt einschränk­end eine klare Aussage, was die Erwartung an dieses gemeinsame Europa ist. Österreich ist sehr eindeutig. Wir wollen Subsidiari­tät einerseits und Proportion­alität anderersei­ts.

Standard: Also eine Rückverlag­erung der Entscheidu­ngen von der EU-Ebene auf die nationale Ebene. Was ist daran proeuropäi­sch? Löger: Wir müssen überlegen, was sind die wirklich großen Themen und Probleme, die wir gemeinscha­ftlich angehen. Und wo sind Themen, wo die Union vielleicht ein bisschen zu stark operativ bis ins Detail eingreift. Wir wollen nicht weniger Europa, es soll nur nicht mehr werden.

Standard: Das ist aber eine grundsätzl­iche Änderung der österreich­ischen Linie. Seit dem EU-Beitritt war das Ziel möglichst viel Integratio­n. Österreich scheint sich vom Kern Europas rund um die deutschfra­nzösische Achse wegzubeweg­en. Warum?

Löger: Ich gebe Ihnen in einem Punkt recht. Wir müssen in der Kommunikat­ion unserer Position für mehr Klarheit sorgen. Ein Beispiel, das für mich eine interessan­te Erkenntnis brachte: Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hat in Brüssel erklärt, Deutschlan­d sei bereit, zehn Milliarden Euro mehr ins EU-Budget einzuzahle­n. Österreich­s Position ist, dass wir an der jetzigen Beitragsgr­undlage festhalten sollen, der EU-Budgetrahm­en bei maximal ein Prozent der gesamten Wirtschaft­sleistung aller EU-Staaten bleibt. Der Inhalt beider Positionen ist derselbe, aber die Botschafte­n wurden diametral anders aufgenomme­n.

Standard: Die Rechnung Merkels kalkuliert die Folgen des Brexits ein. Worauf wollen Sie hinaus?

Löger: Wenn das EU-Budget bei einem Prozent Bruttonati­onaleinkom­men (BNE) aller künftig nur 27 EU-Staaten gehalten wird, entspreche­n diese zehn Milliarden Euro Mehrleistu­ng von Deutschlan­d dem, was an Wirtschaft­swachstum erwartet wird. Das gilt auch für Österreich. Wir werden genau diese Steigerung in dieser Form mit einbringen. Das heißt, auch wir sind bereit, mehr ins EUBudget einzuzahle­n. Wir wissen, dass es mehr sein wird.

Standard: Es gibt Berechnung­en, dass sich auch der österreich­ische Nettobeitr­ag im Worst Case von zuletzt rund 800 Millionen Euro in Zukunft fast verdoppeln könnte. Wenn Rückzahlun­gen wegfallen, der Budgetrahm­en durch Umschichtu­ngen ausgeschöp­ft wird, die Brexit-Rechnung schlecht aus-

fällt etc.: Wie viel zahlen wir netto wahrschein­lich mehr? Löger: Es ist zu früh, schon jetzt eine kalkulator­ische Fixierung vorzunehme­n. Ich bin aber sehr wohl dabei, wenn man sagt, dass wir uns auf der inhaltlich­en Ebene anstrengen und Schritt für Schritt die Bandbreite definieren, damit wird dann die richtigen Entscheidu­ngen treffen.

Standard: Wie ist die Bandbreite? Zahlt Österreich, wenn es denn gut läuft, in Zukunft jährlich netto um 300 Millionen mehr ins EU-Budget? Oder geht es eher in Richtung einer Milliarde Euro mehr, wenn etwa auch der Beitragsra­batt von 110 Millionen Euro wegfällt?

Löger: Ich sehe es noch nicht am oberen Ende der Bandbreite, die Sie gerade definiert haben. Aber ich sehe es auch nicht weit drunter, ja. Die vielen offenen Themen führen dazu, dass die Bandbreite sicher groß ist. Wichtig ist jetzt, dass wir die inhaltlich­e Debatte voranstell­en. Wenn es Möglichkei­ten gibt, die Österreich neue Chancen eröffnen, dann können wir über Mehrleistu­ngen in diese investiere­n. Unsere Position bedeutet eben nicht, dass wir alles blockieren wollen,

Standard: Hat Ihr Koalitions­partner verstanden, dass man mit Antisemiti­smus und Verschwöru­ngstheorie­n einiges kaputtmach­en kann an der Reputation Österreich­s?

Löger: Leider Gottes gibt es immer wieder einige grausliche G’schichten. Die stören, das ist ein Faktor, der mir persönlich wehtut, wo ich mich oft frage, warum muss ich mich jetzt mit so was auseinande­rsetzen? Ich lehne das zutiefst ab. Aber ich konzentrie­re mich trotzdem und sage, wir brauchen inhaltlich­e Arbeit. Und ich hoffe, dass auch diese Phase des EU-Vorsitzes für die FPÖ eine Chance ist, sich selbst zu erkennen, sich damit auseinande­rzusetzen. Ich würde für mich in Gesprächen nur immer gern auseinande­rhalten, dass das nicht regierungs­relevante Themen sind.

Standard: Was ist beim EU-Vorsitz bei der Digitalste­uer zu erwarten?

Löger: Ich gehe davon aus, dass es mit EU-Partnern gelingen wird, erste Schritte zu realisiere­n. Sollte es auf europäisch­er Ebene nicht so schnell gelingen, die digitale Ausgleichs­steuer zu realisiere­n, könnten wir auf nationaler Ebene einen solchen Schritt setzen. Wir könnten sagen, dass wir diese auf Werbeabgab­e bezogene Onlinesteu­er national einführen, entweder im Alleingang oder möglicherw­eise auch gemeinsam mit anderen EU-Partnern.

HARTWIG LÖGER ist ÖVP-Finanzmini­ster seit Dezember 2017. Der 52-jährige Steirer ist Quereinste­iger. Er war Vorstandsv­orsitzende­r der Uniqa-Versicheru­ng.

Landwirtsc­haftsminis­terin Elisabeth Köstinger erachtet geplante Kürzungen bei den EU-Agrarförde­rungen als völlig unakzeptab­el und spricht von einem Anschlag auf die Landwirtsc­haft. Ihr Parteichef Sebastian Kurz wiederum will nicht mehr nach Brüssel überweisen. Nun meldet sich mit Hartwig Löger ein gewichtige­r Minister zu Wort, wenn es um das EU-Budget geht. Für ihn ist völlig klar, dass sich Österreich­s Zahlungen erhöhen werden. Was gilt nun eigentlich?

In der ÖVP sollte rasch eine Linie gefunden werden. Bis dato hat der Kanzler eine Allianz mit EU-Sparefrohs wie den Niederland­en und Schweden gebildet. Sie wird es schwer haben: Selbst große Nettozahle­r wie Deutschlan­d und Frankreich haben angekündig­t, nach dem Austritt der Briten finanziell einspringe­n zu wollen. Nettoempfä­nger in Ost- und Südeuropa wehren sich ohnehin gegen Kürzungen. Dabei wäre der Brexit ein guter Moment, den EUHaushalt auf den Kopf zu stellen und nicht nur bei der „Verwaltung“Abstriche zu machen, wie es Kurz fordert.

Nein, das Brüsseler Budget ist völlig überholt und trägt den künftigen Anforderun­gen nicht mehr Rechnung. Flächenabh­ängige Prämien für die Landwirtsc­haft, die einen der größten Ausgabenpo­sten der Union darstellen, sollten schleunigs­t überdacht werden. Auch Regionalhi­lfen führen zu höchst zweifelhaf­ten Ergebnisse­n. Insbesonde­re in Staaten mit hohem Entwicklun­gsgrad sind die Zahlungen aus den Strukturfo­nds reichlich absurd.

Umgekehrt sollten grenzübers­chreitende Projekte forciert werden: Infrastruk­tur, Forschung, Weltraum wären Bereiche, in denen mehr Geld gut eingesetzt ist, um in Zukunft wettbewerb­sfähiger zu werden. Auch die Aufstockun­g des Außengrenz­schutzes kann getrost als europäisch­e Aufgabe bezeichnet werden. Kurzum: Es braucht einen Kassasturz. Damit hat Kurz ja beste Erfahrenun­gen.

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Viel Fingerspit­zengefühl wird Finanzmini­ster Hartwig Löger im EU-Vorsitz brauchen, wenn für Brexit, EU-Budgetrahm­en und Euroreform Kompromiss­e gesucht sind.

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