Erfolg für Iraks Premier
Geringe Wahlbeteiligung, Endergebnis noch offen
Bei den Parlamentswahlen im Irak zeichnet sich ein Sieg des amtierenden Premiers Haider al-Abadi ab.
Bagdad/Wien – Am Samstag hat der Irak ein neues Parlament gewählt, und zwar zum fünften Mal seit dem Sturz Saddam Husseins und zum ersten Mal seit dem Sieg über die Terrormiliz „Islamischer Staat“(IS). Und dabei zeichnet sich ein Sieg des amtierenden Premierministers Haider al-Abadi und seiner Liste Nasr („Sieg“) ab. Der in Großbritannien ausgebildete Ingenieur gilt als Wunschkandidat des Westens. Während ihm Iraker Korruption vorwerfen, präsentiert er sich als Verfechter einer Politik des Ausgleichs – nicht nur zwischen dem Iran und den USA, sondern auch zwischen Schiiten, Sunniten und Kurden.
Hinter Abadi sagen Prognosen dem Schiiten-Prediger Moqtada al-Sadr den zweiten Platz voraus. Der Prediger hatte nach 2003 einen Aufstand gegen die USTruppen im Land angeführt. Dass er so gut abschneidet, liegt vor allem an der jungen und armen Bevölkerung. Anders als Abadi hält Sadr Abstand zur Führung in Teheran. An dritter Stelle liegt wohl der Anführer der wichtigsten Schiiten-Miliz im Land, Hadi alAmiri, der anders als Sadr enge Beziehungen zum Iran pflegt. Beim Sieg über den IS hatte er eine Schlüsselrolle gespielt.
Geringe Wahlbeteiligung
Die offiziellen Ergebnisse werden erst am Montag oder Dienstag erwartet. / Klar ist aber bereits, dass die Wahlbeteiligung gering war. Nur etwa 45 Prozent, also nicht einmal die Hälfte aller Iraker, gingen zu den Urnen. 2014 waren es noch 60 Prozent, bei den Wahlen im Dezember 2005 mehr als 70 Prozent. Irakische Politiker würdigten jedoch, dass die Wahl ohne größere Zwischenfälle verlaufen war. In der nordirakischen Provinz Kirkuk und im kurdischen Sulaimani gab es am Samstagabend allerdings Proteste gegen angebliche Wahlfälschungen. Mehrere Parteien forderten eine Nachzählung der Wahlkarten. Gewinnt Abadi die Wahl, stehen ihm noch Koalitionsverhandlungen bevor. Binnen 90 Tagen muss er eine Regierung bilden. (red)
Zwischen dem Sturz Saddam Husseins und den Parlamentswahlen am Samstag liegen eineinhalb Jahrzehnte: 15 Jahre, in denen der Irak einen Bürgerkrieg und die Besetzung eines Drittels des Landes durch den „Islamischen Staat“(IS) und einen Krieg zu dessen Vertreibung überstanden hat. Der IS ist zumindest territorial besiegt, und die Hoffnung auf einen Neuanfang hat die Erwartungen an diese Wahlen hochgetrieben: Zwar gab es nicht viele neue Gesichter unter den Kandidaten, aber fast alle gaben sich diesmal Mühe, Wähler und Wählerinnen quer über konfessionelle und ethnische Identitäten hinweg anzusprechen. Ist da nicht ein ganz neuer Irak im Entstehen?
Offenbar ist der Glauben daran unter den Irakern selbst nicht stark ausgeprägt. Die schwache Wahlbeteiligung von weniger als 45 Prozent ist nicht durch die Sicherheitslage zu erklären: Im April 2014, als inmitten des IS-Vormarsches und täglicher Anschläge gewählt wurde, gingen 60 Prozent der Wahlberechtigten zu den Urnen. Das Vertrauen, dass Wahlen etwas verändern in dem Sinn, dass sie die Leistungen des Staates für den Bürger verbessern, ist weiter gesunken. Noch schlimmer: Die Wahlen seit 2005 beziehungsweise die Regierungsbildungen danach haben stets dazu beigetragen, die Polarisierung zu verschärfen.
Dabei kann das Resultat doch vorsichtig optimistisch stimmen. Sind die am Sonntag veröffentlichten Prognosen korrekt, so bekommt Regierungschef Haider al-Abadi eine Chance auf eine zweite Amtszeit. Man muss bei Gott kein Abadi-Anhänger sein: Aber die Sorge war, dass eine schwache Wahlbeteiligung jenen Gruppen zugutekommen könnte, deren Anhänger ideologisch am diszipliniertesten sind – den Iran-freundlichen schiitischen Milizen. In Teheran sollte man sich dieses Wahlergebnis genau ansehen: Im Irak sind und bleiben jene Schiiten, die sich am Iran orientieren wollen, eine kleine Minderheit.
Wenn auch noch der einstmals wilde junge Schiitenführer Muqtada al-Sadr mit seiner ungewöhnlichen Allianz mit den Kommunisten – also den Säkularen schlechthin – auf dem zweiten Platz liegt, dann hätten Kräfte gewonnen, die im Wahlkampf stark auf die Inklusion der Sunniten setzten. Sadr hat Premier Abadi in der Vergangenheit auch bei dessen – damals gescheitertem – Versuch unterstützt, eine Technokratenregierung einzusetzen.
Der Usus ist seit 2006, einen Sunniten zum Parlamentspräsidenten und einen Kurden zum Staatspräsidenten zu machen, weil der Premier Schiit ist. Über den Präsidentenposten wird immer wieder diskutiert. Ihn den Kurden gerade jetzt wegzunehmen sähe jedoch wie eine Fortsetzung der Bestrafung nach ihrem unglücklichen Unabhängigkeitsreferendum vorigen Herbst aus. Aber spätestens bei der Regierungsbildung wird sich zeigen, ob die irakische Politik zur Vernunft kommt und bereit ist, vom – anders als im Libanon nirgends festgeschriebenen – konfessionellen und ethnischen Proporzsystem Abschied zu nehmen, bei dem Ministerien wie Pfründe vergeben werden.