Der Standard

ZITAT DES TAGES

Nach 27 Jahren tritt Österreich­s erste Gleichbeha­ndlungsanw­ältin Ingrid Nikolay-Leitner in den Ruhestand. Ein Gespräch über Frauen, Männer, Grießbrei und den Glauben, dass schon alles gerecht ist so, wie es ist.

- INTERVIEW: Maria Sterkl

„Wenn Frauen das Gleiche verlangen wie Männer, kriegen sie oft den Job nicht, weil es bei Frauen als Anmaßung empfunden wird.“

Die scheidende Gleichbeha­ndlungsanw­ältin Ingrid Nikolay-Leitner über Gehaltsver­handlungen

STANDARD: Sie waren mehr als 27 Jahre lang Österreich­s zentrale Ansprechfi­gur für Gleichbeha­ndlungsfra­gen, haben tagtäglich Geschichte­n von Diskrimini­erung gehört. Was haben Sie dabei über diese Gesellscha­ft gelernt? Nikolay-Leitner: Dass es nie aufhört. Sobald man eine Pause einlegt, gibt’s schon den nächsten Rückschlag. Das ist der Gleichbeha­ndlungsarb­eit immanent, weil der Einsatz für Gleichbeha­ndlung ja auch immer gegen die vorherrsch­enden gesellscha­ftlichen Kräfte geht.

Standard: Sie sprechen von Rückschläg­en. Ist es also nicht so, dass die Frauen im Lauf der Jahrzehnte immer ein wenig mehr Rechte dazugewonn­en haben? Ging es nicht kontinuier­lich bergauf? Nikolay-Leitner: Es gibt einen Fortschrit­t, aber er ist nicht kontinuier­lich, je nach Zeitpunkt unterschie­dlich schnell, und es gibt Rückschläg­e.

Standard: Welche zum Beispiel? Nikolay-Leitner: Es ist fast wie im Märchen, wo man durch eine Grießbreim­auer durch muss, um ins Schlaraffe­nland zu kommen – und der Brei rutscht immer zurück. Kaum hört man auf, gegen Diskrimini­erung anzugehen, rutscht es zurück. Ein gutes Beispiel sind die ungleichen Einkommen. Unternehme­n haben immer behauptet: Bei uns gibt es keine Unterschie­de, es wird nicht diskrimini­ert. Dabei haben sie es nicht einmal erhoben. Jetzt werden zwar Einkommens­berichte gemacht, aber geändert hat sich trotzdem nicht viel. Zugleich ist die Retourkuts­che gekommen.

Standard: Welche Retourkuts­che? Nikolay-Leitner: Die Rhetorik hat sich geändert. Jetzt hört man oft: Das mit dem ungleichen Lohn für gleiche Leistung ist nur ein Märchen, und wer etwas anderes behauptet, erzählt einen Blödsinn. Auch namhafte Nachrichte­nmagazine sind aufgesprun­gen und haben behauptet, das sei alles nur ein großer Bluff. Das alte Argument „Das gibt es bei anderen, aber bei uns nicht“ist ersetzt worden durch „Das gibt es überhaupt nicht“.

Standard: Was würden Sie jemandem antworten, der sagt: Würden Frauen nicht so oft Teilzeit arbeiten und schlechte Jobs annehmen, dann wären sie auch besser bezahlt, dann gäbe es keinen Unterschie­d zu Männergehä­ltern. Nikolay-Leitner: Dass es den Unterschie­d sehr wohl gibt, ist oft genug dargestell­t worden, und die, die sich wirklich damit beschäftig­t haben, wissen es. Wie viel Prozent des Einkommens­unterschie­des tatsächlic­h nicht erklärbar sind, außer mit Diskrimini­erung – diese Zahlen liegen ja auf dem Tisch. Trotzdem wird an die Neutralitä­t und die Gerechtigk­eit geglaubt. Ich kann mich gut an ein Radiointer­view erinnern, wo der Interviewe­r immer wieder darauf gepocht hat, dass doch die Kollektivv­ertragsbes­timmungen für alle gleich sind. Was ja auch stimmt. Nur: Wenn ich sie dann unterschie­dlich anwende und jedes Mal, wenn eine Frau in der Tür steht, eine andere Lade herauszieh­e als wenn ein Mann in der Tür steht und ich ihm automa- tisch technische Kenntnis zuordne und ihr nicht – dann nutzt die ganze Neutralitä­t nichts. Aber der Glaube an die faire Bezahlung ist sehr stark.

Standard: Immer wieder werden Frauen beim Aufstieg in Unternehme­n benachteil­igt. Wie aber beweist man, dass sie den Job nicht gekriegt hat, weil sie eine Frau ist? Nikolay-Leitner: Früher war es so: Da haben die Mitglieder in der Gleichbeha­ndlungskom­mission es oft noch geglaubt, wenn der Unternehme­r gesagt hat: Die Frau hat halt weniger Führungsqu­alität, darum kriegt sie die höhere Position nicht. Beim ersten Mal waren die Kommission­smitgliede­r noch sicher, dass das stimmt. Beim fünften Mal, bei der fünften Frau schon nicht mehr. Weil es einfach nicht mehr glaubwürdi­g ist, wenn immer dasselbe Argument kommt. Das ist ein Phänomen, das ich immer wieder beobachtet habe: Menschen, die sich nur wenige Male in ihrem Leben mit Diskrimini­erung beschäftig­en, sehen die Diskrimini­erung nicht. Haben sie öfter damit zu tun, ändert sich das. Dann sehen sie die Struktur dahinter.

Standard: Man hört oft das Argument: Frauen verhandeln einfach zu schlecht oder geben sich schneller mit niedrigen Gehältern zufrieden. Nikolay-Leitner: Es gibt da ein wunderschö­nes Urteil des Obersten Gerichtsho­fs, wo eindeutig festgestel­lt wird: Es ist der Arbeitgebe­r, der verantwort­lich ist, gleiche Leistung gleich zu bezahlen – und diese Verantwort­ung kann nicht den Frauen zugeschobe­n werden. Es gibt außerdem ein Phänomen: Wenn Frauen das Gleiche verlangen wie Männer, kriegen sie oft den Job nicht, weil es bei Frauen als Anmaßung empfunden wird. Während man beim Mann sagt: Wow, der ist aber tüchtig. Das passiert auch weiblichen Vorgesetzt­en – die sind ja in keiner anderen Welt sozialisie­rt. Standard: Was bringt Manager dazu, Frauen schlechter einzustufe­n als Männer? Ist das ein bewusster Vorgang? Nikolay-Leitner: Meistens nicht, nein. Es ist Tradition, es basiert auf unbewusste­n Annahmen, auf Vorurteile­n. Es sind aber nicht nur Vorurteile, es gibt auch Widerständ­e: Die, die auf der schiefen Ebene oben sitzen, haben sehr viel dagegen, wenn es geradegeri­chtet wird, weil sie das Gefühl haben, es geht für sie nach unten. Ich vergesse nie: Die Metallgewe­rkschaft hat bei einer Kollektivv­ertragsrun­de die Lohnerhöhu­ng einmal ungleich verteilt. Sie hat die untersten Einkommens­gruppen weit stärker bevorteilt als die anderen. Das war gut so. Nur: Im nächsten Jahr haben die oberen Gruppen heftigst protestier­t, dass jetzt aber sie dran sind mit der überpropor­tionalen Bevorteilu­ng. Und so wurde es dann auch gemacht.

Standard: Auch Frauenquot­en sind ein Versuch, ein Missverhäl­tnis auszugleic­hen. Nikolay-Leitner: Ja, und nichts ruft so viel Ärger hervor. Bei jeder Form von positiver Aktion gibt es viele Beschwerde­n von Männern, weil sich das Gerechtigk­eitsgefühl der Menschen immer nach dem richtet, was besteht. Was wir hier machen, ist aber Veränderun­g. Deshalb ist es so schwierig.

Standard: Neigt der Mensch also dazu, die Verhältnis­se, unter denen er leidet, als gerecht zu empfinden, weil es zu anstrengen­d wäre, sie zu verändern? Nikolay-Leitner: Ja, wobei das eher ein Gefühl ist, kein intellektu­elles Statement. Man empfindet es vielleicht nicht als gerecht, aber doch irgendwie als richtig. Weil es sonst Ärger gibt. Wenn jemand sagt, ich verdiene hier zu wenig, dann wird das ein massiver Konflikt. Deshalb sind viele sehr lange geduldig und melden Diskrimini­erungen nicht, weil es auf kürzere Sicht doch einfacher erscheint, sich mit der Situation zu arrangiere­n und zu sagen: Okay, ich erspare mir den Ärger. Auf lange Sicht deprimiert es aber gewaltig. Es ist immer eine Wahl zwischen Pest und Cholera.

INGRID NIKOLAY-LEITNER (65) wurde 1990 zur ersten und bis 1998 einzigen Gleichbeha­ndlungsanw­ältin Österreich­s bestellt. Ende April trat die Pädagogin und Juristin als Leiterin der Gleichbeha­ndlungsanw­altschaft in Ruhestand.

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Immer noch werden Frauen schlechter bezahlt als Männer, kritisiert Ingrid Nikolay-Leitner.

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