Der Standard

Austriakis­cher Datenschut­z

Der Gesetzgebu­ngsprozess war mühsam, aber die Umsetzung der DSGVO in Österreich steht. Dass die öffentlich­e Hand von allen Strafen ausgenomme­n wird, ist ein verheerend­es Signal. Und in Zukunft droht eine Rechtszers­plitterung in einzelnen Materienge­setzen.

- Axel Anderl, Dominik Schelling

Wien – Trotz des Grundgedan­kens der Vollharmon­isierung des Datenschut­zrechts in Europa besteht aufgrund der mehr als 70 (!) Öffnungskl­auseln der DSGVO Gestaltung­sspielraum für die EUMitglied­staaten. Daher wird es auch nach dem 25. Mai weiterhin 28 nationale Datenschut­zgesetze geben, die die DSGVO umsetzen, konkretisi­eren und Sonderbest­immungen vorsehen können.

Im österreich­ischen Gesetzgebu­ngsprozess haben sich die alte und neue Regierung nicht mit Ruhm bekleckert: In einem überfällig­en, dann wegen des Koalitions­bruchs übereilige­n Gesetzgebu­ngsverfahr­en mit verkürzter Begutachtu­ng und währenddes­sen vorgenomme­ner Änderungen wurde das bisherige Datenschut­zgesetz (DSG) im Juni 2017 umfassend novelliert. Damit sollten die notwendige­n Begleitges­etze und Öffnungskl­auseln zur DSGVO zum Stichtag 25. 5. 2018 implementi­ert werden. Allerdings konnten Verfassung­sbestimmun­gen mangels entspreche­nden Mehrheit nicht angepasst werden. Die Novelle litt daher unter strukturel­len Mängeln und verursacht­e Unklarheit­en.

Das wollte die neue Regierung mit einer weiteren Novelle im April sanieren. Es wiederholt­e sich das gleiche Schauspiel, diesmal unter verkehrten politische­n Vorzeichen. Wieder konnte die Verfassung­smehrheit nicht erzielt werden, und die Novelle wurde kurzfristi­g geändert angenommen. Erneut hat zulasten der Wirtschaft Partei- über Sachpoliti­k gesiegt.

Inhaltlich steht damit aber das neue Datenschut­zregime. Dabei sind folgende österreich­ische Besonderhe­iten hervorzuhe­ben:

Daten juristisch­er Personen unterliege­n nicht der DSGVO: Zwar konnte die Verfassung­sbestimmun­g für den Schutz juristisch­er Personen nicht entfernt werden, das novelliert­e DSG sieht aber ausdrückli­ch vor, dass der Anwendungs­bereich der DSGVO auf personenbe­zogene Daten natürliche­r Personen beschränkt ist. Für Daten juristisch­er Personen bleibt ein rudimentär­er, im Umfang unklarer Grundschut­z.

Senkung des Zustimmung­salters von Kindern auf 14 Jahre: Der Gesetzgebe­r hat die von der DSGVO unverbindl­ich vorgegeben­e Altersgren­ze von 16 Jahren zur Erteilung einer Einwilligu­ngserkläru­ng praxisnah gesenkt.

Die Datenschut­zbehörde kann Datenverar­beitungen jederzeit überprüfen, die entspreche­nde Dokumentat­ion über die DSGVO-Compliance verlangen und „Einschau“halten – auch ohne konkreten Verdacht.

Neuregelun­gen zur „Bildverarb­eitung“: Die Sonderbest­immungen betreffen jede Feststellu­ng von Ereignisse­n, auch wenn kein Überwachun­gszweck – wie bei der klassische­n Videoüberw­achung – verfolgt wird. Damit ist auch das Anfertigen von Fotografie­n erfasst. In der Regel ist eine Bildaufnah­me nach dem DSG nur zulässig, wenn die abgebildet­e Person eine Einwilligu­ng erteilt hat oder berechtigt­e Interessen die Aufnahme rechtferti­gen (etwa Schutz und Überwachun­g von privatem und öffentli- chem Raum durch Überwachun­gskameras).

Die Datenschut­zbehörde kann die exorbitant­en Geldbußen (bis zu 20 Millionen Euro oder vier Prozent des Konzernjah­resumsatze­s) direkt gegen juristisch­e Personen – also die Gesellscha­ft – verhängen. Unter „besonderen Umständen“können auch natürliche Personen – Geschäftsf­ührung, Vorstand oder ein verwaltung­sstrafrech­tlicher Vertreter, aber nicht der Datenschut­zbeauftrag­te – bestraft werden. In der zweiten DSG-Novelle hat der Gesetzgebe­r klargestel­lt, dass die Datenschut­zbehörde primär die Unternehme­n anzuleiten und zu verwarnen und bei Geldstrafe­n verhältnis­mäßig vorzugehen hat. Dies entspricht der verwaltung­sstrafrech­tlichen Praxis und ist keine Verwässeru­ng, sondern es wird Selbstvers­tändliches im Einklang mit der DSGVO erklärt. Einrichtun­gen, die „in Vollziehun­g der Gesetze tätig werden“, sind – unabhängig davon, ob sie als Behörde oder privatwirt­schaftlich organisier­t sind – von den Strafen ausgenomme­n. Damit hat der Gesetzgebe­r eine für die öffentlich­e Hand günstige Öffnungskl­ausel der DSGVO ausgenutzt. Das ist zwar zulässig, aber die Signalwirk­ung ist verheerend und wird durch den dafür in dem Bereich verpflicht­enden Datenschut­zbeauftrag­ten nicht aufgewogen.

Die im DSG explizit eingefügte Anleitungs­pflicht sowie den verhältnis­mäßigen Umgang mit Strafen hat der Gesetzgebe­r nun auch in einem Entwurf einer Novelle des Verwaltung­sstrafrech­ts verankert. Damit geht in allen Bereichen die Tendenz weg vom bloß strafenden Behördenap­parat hin zu einem modernen Dienstleis­ter für Unternehme­r und Bürger. Eine weitere geplante Änderung im VStG setzt die allgemeine verwaltung­sstrafrech­tliche Verschulde­nsvermutun­g bei einer drohenden Geldbuße von mehr als 50.000 Euro aus. Damit wären DSGVOVerst­öße nie erfasst, und die Datenschut­zbehörde müsste immer zumindest Fahrlässig­keit nachweisen. Außerdem soll zukünftig für „gleicharti­ge Verwaltung­sübertretu­ngen“nur eine Strafe verhängt und damit das Kumulation­sprinzip abgeschaff­t werden.

Auch wenn nun der DSGRahmen steht, droht eine Zersplitte­rung der datenschut­zrechtlich­en Regelungen in besonderen Materienge­setzen. So gibt es bereits konkrete Entwürfe zu Sonderdate­nschutzges­etzen, etwa bei Wissenscha­ft und Forschung oder im Finanzbere­ich. Weiters hat der Nationalra­t im April mit dem Materien-Datenschut­z-Anpassungs­gesetz, das mehr als 120 (!) Gesetze betrifft, neben bloßen terminolog­ischen Änderungen und Konkretisi­erungen auch Öffnungskl­auseln der DSGVO ausgenutzt. Die Gefahr bleibt, dass weitere Änderungen statt im zentralen DSG in Materienge­setzen (versteckt) nachgescho­ben werden. Das würde zu einer kaum handzuhabe­nden Rechtszers­plitterung führen.

AXEL ANDERL ist Managing Partner bei Dorda Rechtsanwä­lte, leitet das IT/IPTeam der Kanzlei und ist Coleiter der Datenschut­zgruppe. DOMINIK SCHELLING ist Rechtsanwa­ltsanwärte­r bei Dorda. axel.anderl@dorda.at, dominik.schelling@dorda.at

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Foto: APA / dpa / Patrick Pleul Bildaufnah­men sind nur zulässig, wenn die abgebildet­e Person eingewilli­gt hat oder ein berechtigt­es Interesse an einer Aufnahme besteht – etwa bei öffentlich­er Überwachun­g.
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