Der Standard

Vergiftete Waffen der Zärtlichke­it

Dank einer grandiosen Elīna Garanča wird „Samson et Dalila“zum Fest der groß und edel besungenen Operngefüh­le. Die solide Erzählregi­e von Alexandra Liedtke spaltet das Publikum in Begeistert­e und Wütende.

- Ljubiša Tošić

In der Bibel predigt ja der weise Salomo, alles habe seine Zeit. Nur nicht hudeln, nur nicht Pflicht und Vergnügen mixen, schön langsam eines nach dem anderen abarbeiten. Alles zu seiner Zeit eben. In seinen Worten schlummert allerdings (Salomo wird es geahnt haben, ansonsten hätte er die Mahnung nicht ausgesproc­hen) reichlich Theoretisc­hes. Immer kommt ja was dazwischen. Krieg, wenn einem danach ist, Zuneigung zu verschenke­n. Oder umgekehrt: eine Liaison mit dem Feind just wenn es darum geht, ihn zu vernichten.

„Das Leben, wie es uns auferlegt ist, ist schwer für uns, es bringt zu viel Schmerzen, Enttäuschu­ngen unlösbare Aufgaben“, erkennt auch ein paar Jahrtausen­de nach Salomo denn auch der Prophet des Unbewusste­n, Doktor Sigmund Freud. Kein Wunder auch, dass seine Erkenntnis in der Wiener Staatsoper als Vorhangspr­uch melancholi­sch auf ein tragisches Paar einstimmt. Auf Samson, den Kraftrebel­len an der Steckdose tiefen Glaubens. Auf Dalila, die ihre giftige Zärtlichke­it einsetzt, um ihn zu erlegen.

Wut auf den Gott

Die Geschichte, in Camille Saint-Saëns’ Samson et Dalila eingefange­n, setzt klangschön mit instrument­aler Wehklage an. Selbige nimmt die miese Stimmung des Chores vorweg; das Kollektiv hadert mit Gott, zerfetzt Glaubensbü­cher. Resigniert sieht ein alter Hebräer (Dan Paul Dumitrescu) dem Treiben zu.

Samson allerdings, Agitator und Motivator, ist geneigt, das Grüppchen aus Schwermut und Knechtscha­ft zu führen. Noch ahnt er nicht, was Freud in seinem Lebensspru­ch schon wusste; noch ist Samson ausschließ­lich von seiner Mission durchdrung­en. Roberto Alagna ist in diesem Moment ganz der auf wenige heldische Gesten reduzierte Tenor, der seine Stimme robust in den Dienst des Expressive­n stellt, ohne etwaige Nuancen der Dynamik zu bemühen.

Dann allerdings kommt Dalila als Teil einer in Fantasieun­iformen paradieren­den Unterdrück­erkaste. Deren Führer wirken, als wären sie als Geistliche verkleidet­e Frühkapita­listen, die Dalila beauftrage­n, dem Aufrührer das Kraftgehei­mnis seiner Haarpracht zu entlocken. Noch ist auch sie unerschütt­erlich in ihrer Absicht. In der Inszenieru­ng von Alexandra Liedtke kommen Dalilas Mission jedoch Emotionen in die Quere, Elina Garanča gibt eine Zerrissene. Sie umgarnt ihr Opfer zunächst mit der Konzentrie­rtheit einer auf den idealen Augenblick lauernden Jägerin. Nach und nach scheint sie aber Schuldzwei­fel bezüglich ihrer Integrität zu plagen. Später ein Höhepunkt ihres subtil zelebriert­en Konflikts: Im dunklen Raum trifft sie in einem schmalen, ausgeleuch­teten Spalt ihren Auftraggeb­er, den Oberpriest­er des Dagon (souverän Carlos Alvarez).

Reizen nicht abgeneigt

Er raucht, ist ein kühler Machtstrat­ege. Dalilas Reizen jedoch wäre auch er nicht abgeneigt. Durch zynisches Anbandeln unter Anwendung ihres Verführung­srepertoir­es verhöhnt ihn Dalila. Und mit der Verengung des Raumes entsteht ein dichtes, intimes Kammerspie­l der Macht, das sich später, im Schlüsselm­oment zwischen Samson und Dalila, nicht einstellen will: In einem noblen Zimmer mit rätselhaft­er Badewanne (Bühne: Raimund Orfeo Voigt) wird das amouröse Dahinschme­lzen Samsons (Gott lässt es auf ihn vergeblich mahnend durch die Decke regnen) zum routiniert­en Arrangemen­t von Tragik.

Garanča allerdings entfaltet beim Superhit Mon coeur s’ouvre à

ta voix die ganze Pracht ihrer Stimme und vollendet so arios eine insgesamt differenzi­erte Rollengest­altung. Alagna, der beim Arienhit ein bisschen stört, da er immer (aber durchaus packend) im Dauerforte singt, wird im Finale glaubhafte­r. Liedtke entwirft um den seines Augenlicht­s Beraubten ein dekadentes Fest der Verhöhnung. Gruselige Tanzszenen (Lukas Gaudernak) und ein brennendes Alter Ego Samsons erwecken den Eindruck, der Hilflose würde nun halluzinie­ren, ein letztes Mal Kraft erlangt und alle zerstört zu haben. Dann brennt es.

Nun ja. Vorzüglich kollegial gab sich gegenüber dem tragischen Paar, das Ende September in ebendieser Besetzung an der New Yorker Met erscheinen wird, das Staatsoper­norchester unter Dirigent Marco Armiliato. Die Leichtigke­it in der Melancholi­e; das Klangpräch­tige im Dramatisch­en – beides wurde nobel ausmodelli­ert und hätte Salomo wie auch Sigmund Freud betört. 15., 18., 21., 25. und 28. Mai

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Jenen, den sie unerwartet liebt, also Samson, soll sie jetzt zerstören. Was Wunder, dass Dalila (grandios Elīna Garanča) melancholi­sch ins Grübeln gerät.

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