Eine Richterbesetzung, der Ton und die Musik
Die Auswahl eines europäischen Höchstrichters erfordert einen redlichen politischen Diskurs, keine Schmutzkampagnen. Über die Kritik an den EuGH-Besetzungsplänen der Bundesregierung.
Ich habe vieles von meinem Großvater gelernt. Unter anderem (und das, obwohl er keinerlei musikalisches Talent hatte), dass der Ton die Musik macht. Der Ton aber, so scheint es, ist rauer geworden; jedenfalls soweit der aktuelle politische Diskurs angesprochen ist.
Zugegeben: Der schlagwortartige Befund, Österreich bewege sich von einer Konsens- zu einer Konkurrenzdemokratie, hat überschaubaren Neuigkeitswert. Und doch sind die Spitzen des Diskurses, die ebendiesen Befund untermauern, zuweilen von einer Art, die nachdenklich stimmt und nicht unwidersprochen bleiben soll, gerade wenn sie auf Akteure Bezug nehmen, die dem Grunde nach nicht dem politischen Spektrum zuzuzählen sind. Dann etwa, wenn der Klubobmann der größten im Nationalrat vertretenen Oppositionspartei die von der Regierung ventilierte Kandidatin für den mit 1. Oktober zu besetzenden Richterposten am Europäischen Gerichtshof per Presseaussendung pauschal als „erzkonservative Abtreibungsgegnerin“abqualifiziert, die „sich immer wieder mit fragwürdigen Thesen hervorgetan“habe.
Unvoreingenommene Leserinnen und Leser mögen ob einer solchen Zuschreibung beunruhigt sein (jedenfalls dann, wenn die Zuschreibung nicht ihrer Erwartungshaltung an eine Richterin – egal an welchem Gericht – entsprechen sollte). Ebenso groß wie die Unruhe dürfte indes die Ernüchterung ausfallen, sollte man sich der Mühe einer kurzen Recherche unterziehen, was die angesprochene Person anlangt: Katharina Pabel ist bislang weder politisch als Agitatorin im ultrareligiösen Spektrum noch juristisch als Proponentin interessengeleiteter Rabulistik öffentlich in Erscheinung getreten. Der Lebenslauf der Dekanin der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Linz liest sich (positionsadäquat) eher bieder; ist von zahlreichen Positionen an renommierten in- und ausländischen Einrichtungen gesäumt.
Einwandfreier Ruf
Publizistisch ist Katharina Pabel breit ausgewiesen. Als Mitherausgeberin und Koautorin zentraler Werke über die Europäische Menschenrechtskonvention zählt sie über die Landesgrenzen hinweg zu den anerkannten Expertinnen in diesem Bereich; ein Umstand, der nicht zuletzt durch zahlreiche Positionen widergespiegelt wird, die sie bereits jetzt in nationalen und internationalen Beratungsgremien und wissenschaftlichen Vereinigungen einnimmt. Zusammengefasst: Katharina Pabel eilt (zu Recht) ein einwandfreier fachlicher Ruf voraus.
Um nicht missverstanden zu werden: Das bedeutet nicht, dass man sämtliche von ihr akademisch entwickelten Positionen unkritisch zur Kenntnis nehmen oder gar teilen muss. Ich selbst etwa könnte ohne weiteres mehrere verfassungsrechtliche Punkte nennen, in denen ich abweichender Auffassung bin; aber das wäre kaum aussagekräftig: Akademischer Erkenntnisfortschritt lebt vom Diskurs, von einem Kampf um das bessere Argument und die größere Überzeugungskraft. Natürlich: Dieser Kampf kann nur dann (sinnvoll) geführt werden, wenn die (oder der) andere ebenso von einem redlichen Streben getrieben ist, mag sie (oder er) auch von diesem Streben in die Richtung eines abweichenden Er- gebnisses getrieben werden. Ebendas im Fall von Katharina Pabel in Abrede zu stellen scheint mir (um das wenigste zu sagen) abwegig; auch dann, wenn man einpreist, dass der politische Diskurs stets konfrontativer geführt wird (und geführt werden muss) als der akademische.
Juristen sind Menschen
Es stimmt schon: Juristen sind Menschen. Als Menschen sind sie Produkte unterschiedlicher Einflüsse und Prägungen. Als Menschen hegen sie unterschiedliche Überzeugungen in weltanschaulichen und religiösen Belangen, die – ungeachtet der Redlichkeit ihres Strebens – ihre rechtliche Einschätzung beeinflussen können. Das zu berücksichtigen scheint mir ein Gebot politischer Klugheit, wenn es darum geht, diesen Menschen Entscheidungsmacht über die Mitglieder des Gemeinwesens oder das Gemeinwesen als solches zu geben.
Ohne weiteres ist diese politische Klugheit in besonderem Maß gefordert, wenn es um die Beset- zung hoher und höchster Funktionen in der (nationalen oder europäischen) Gerichtsbarkeit geht. Und ohne weiteres ist deshalb zu befürworten, Kandidatinnen und Kandidaten für derartige Funktionen in besonderem Maß dem prüfenden Blick politischer Akteure wie insgesamt der Öffentlichkeit auszusetzen und auch und ihre fachlichen Positionen kritisch zu beleuchten.
All das kann jedoch nur dann zielführend erfolgen, wenn auch dieser Prozess – bei aller notwendigen politischen Härte – seinerseits von einem redlichen Streben geprägt ist, das die Sache und die Persönlichkeit in den Vordergrund stellt und beidem gleichermaßen mit Respekt begegnet. Unsachliche wie persönliche Auseinandersetzungen können dem indes nur abträglich sein. Immerhin: Der Ton macht die Musik.
CHRISTOPH BEZEMEK (Jahrgang 1981) ist Professor für Öffentliches Recht an der Universität Graz. Er studierte in Wien und an der Yale Law School und hat sich in Wien habilitiert.