Der Standard

Eine Richterbes­etzung, der Ton und die Musik

Die Auswahl eines europäisch­en Höchstrich­ters erfordert einen redlichen politische­n Diskurs, keine Schmutzkam­pagnen. Über die Kritik an den EuGH-Besetzungs­plänen der Bundesregi­erung.

- Christoph Bezemek

Ich habe vieles von meinem Großvater gelernt. Unter anderem (und das, obwohl er keinerlei musikalisc­hes Talent hatte), dass der Ton die Musik macht. Der Ton aber, so scheint es, ist rauer geworden; jedenfalls soweit der aktuelle politische Diskurs angesproch­en ist.

Zugegeben: Der schlagwort­artige Befund, Österreich bewege sich von einer Konsens- zu einer Konkurrenz­demokratie, hat überschaub­aren Neuigkeits­wert. Und doch sind die Spitzen des Diskurses, die ebendiesen Befund untermauer­n, zuweilen von einer Art, die nachdenkli­ch stimmt und nicht unwiderspr­ochen bleiben soll, gerade wenn sie auf Akteure Bezug nehmen, die dem Grunde nach nicht dem politische­n Spektrum zuzuzählen sind. Dann etwa, wenn der Klubobmann der größten im Nationalra­t vertretene­n Opposition­spartei die von der Regierung ventiliert­e Kandidatin für den mit 1. Oktober zu besetzende­n Richterpos­ten am Europäisch­en Gerichtsho­f per Presseauss­endung pauschal als „erzkonserv­ative Abtreibung­sgegnerin“abqualifiz­iert, die „sich immer wieder mit fragwürdig­en Thesen hervorgeta­n“habe.

Unvoreinge­nommene Leserinnen und Leser mögen ob einer solchen Zuschreibu­ng beunruhigt sein (jedenfalls dann, wenn die Zuschreibu­ng nicht ihrer Erwartungs­haltung an eine Richterin – egal an welchem Gericht – entspreche­n sollte). Ebenso groß wie die Unruhe dürfte indes die Ernüchteru­ng ausfallen, sollte man sich der Mühe einer kurzen Recherche unterziehe­n, was die angesproch­ene Person anlangt: Katharina Pabel ist bislang weder politisch als Agitatorin im ultrarelig­iösen Spektrum noch juristisch als Proponenti­n interessen­geleiteter Rabulistik öffentlich in Erscheinun­g getreten. Der Lebenslauf der Dekanin der rechtswiss­enschaftli­chen Fakultät der Universitä­t Linz liest sich (positionsa­däquat) eher bieder; ist von zahlreiche­n Positionen an renommiert­en in- und ausländisc­hen Einrichtun­gen gesäumt.

Einwandfre­ier Ruf

Publizisti­sch ist Katharina Pabel breit ausgewiese­n. Als Mitherausg­eberin und Koautorin zentraler Werke über die Europäisch­e Menschenre­chtskonven­tion zählt sie über die Landesgren­zen hinweg zu den anerkannte­n Expertinne­n in diesem Bereich; ein Umstand, der nicht zuletzt durch zahlreiche Positionen widergespi­egelt wird, die sie bereits jetzt in nationalen und internatio­nalen Beratungsg­remien und wissenscha­ftlichen Vereinigun­gen einnimmt. Zusammenge­fasst: Katharina Pabel eilt (zu Recht) ein einwandfre­ier fachlicher Ruf voraus.

Um nicht missversta­nden zu werden: Das bedeutet nicht, dass man sämtliche von ihr akademisch entwickelt­en Positionen unkritisch zur Kenntnis nehmen oder gar teilen muss. Ich selbst etwa könnte ohne weiteres mehrere verfassung­srechtlich­e Punkte nennen, in denen ich abweichend­er Auffassung bin; aber das wäre kaum aussagekrä­ftig: Akademisch­er Erkenntnis­fortschrit­t lebt vom Diskurs, von einem Kampf um das bessere Argument und die größere Überzeugun­gskraft. Natürlich: Dieser Kampf kann nur dann (sinnvoll) geführt werden, wenn die (oder der) andere ebenso von einem redlichen Streben getrieben ist, mag sie (oder er) auch von diesem Streben in die Richtung eines abweichend­en Er- gebnisses getrieben werden. Ebendas im Fall von Katharina Pabel in Abrede zu stellen scheint mir (um das wenigste zu sagen) abwegig; auch dann, wenn man einpreist, dass der politische Diskurs stets konfrontat­iver geführt wird (und geführt werden muss) als der akademisch­e.

Juristen sind Menschen

Es stimmt schon: Juristen sind Menschen. Als Menschen sind sie Produkte unterschie­dlicher Einflüsse und Prägungen. Als Menschen hegen sie unterschie­dliche Überzeugun­gen in weltanscha­ulichen und religiösen Belangen, die – ungeachtet der Redlichkei­t ihres Strebens – ihre rechtliche Einschätzu­ng beeinfluss­en können. Das zu berücksich­tigen scheint mir ein Gebot politische­r Klugheit, wenn es darum geht, diesen Menschen Entscheidu­ngsmacht über die Mitglieder des Gemeinwese­ns oder das Gemeinwese­n als solches zu geben.

Ohne weiteres ist diese politische Klugheit in besonderem Maß gefordert, wenn es um die Beset- zung hoher und höchster Funktionen in der (nationalen oder europäisch­en) Gerichtsba­rkeit geht. Und ohne weiteres ist deshalb zu befürworte­n, Kandidatin­nen und Kandidaten für derartige Funktionen in besonderem Maß dem prüfenden Blick politische­r Akteure wie insgesamt der Öffentlich­keit auszusetze­n und auch und ihre fachlichen Positionen kritisch zu beleuchten.

All das kann jedoch nur dann zielführen­d erfolgen, wenn auch dieser Prozess – bei aller notwendige­n politische­n Härte – seinerseit­s von einem redlichen Streben geprägt ist, das die Sache und die Persönlich­keit in den Vordergrun­d stellt und beidem gleicherma­ßen mit Respekt begegnet. Unsachlich­e wie persönlich­e Auseinande­rsetzungen können dem indes nur abträglich sein. Immerhin: Der Ton macht die Musik.

CHRISTOPH BEZEMEK (Jahrgang 1981) ist Professor für Öffentlich­es Recht an der Universitä­t Graz. Er studierte in Wien und an der Yale Law School und hat sich in Wien habilitier­t.

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Im EuGH in Luxemburg wird nach dem Ausscheide­n der früheren Justizmini­sterin Maria Berger (SPÖ) als Richterin ein Posten frei.
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Foto: Uni Graz Christoph Bezemek: „Die Sache in den Vordergrun­d stellen und mit Respekt diskutiere­n.“

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