KOPF DES TAGES
Ein verrücktes Huhn gegen dumme Buben
Den in aller Welt beliebten Vogerltanz dürften Erwachsene ohne Neigung zu Urlaubsclubanimation immerhin noch vom Kinderfasching kennen. Das 1957 von einem Schweizer Musiklehrer erdachte Stück mit seinen mehr als 300 Bearbeitungen ist ein Baustein am Erfolg der diesjährigen Song-Contest-Gewinnerin Netta Barzilai.
Wenn Menschen gackern und dazu wie Matthias Strolz ihre Flügel heben, fällt das auf. Wenn man wie Netta außerdem noch eine lustige Frisur wie die Anime-Figur Sailor Moon trägt und ein paar Kilo mehr auf die Waage bringt, wodurch alle übrigen ESC-Sportskameraden wie Klone von Helene Fischer und Florian Silbereisen wirken, fällt das noch viel mehr auf.
So richtig auffällig wird es aber, wenn man schließlich das dominierende gesellschaftspolitische Thema des vergangenen Jahres aufgreift und es damit auf einen Start-Ziel-Sieg anlegt: In ihrem Song Toy, mit dem Netta Barzilai die ESC-Trophäe zum vierten Mal nach Israel holte, behandelt die 25-Jährige die MeToo-Debatte. Zu einem stampfenden arabesken DiscoBeat aus den Synthesizern des ESC-erfahrenen Komponisten Doron Medalie liefert Netta im Refrain einfach verständlichen Grundschulfeminismus: „I’m not your toy / you stupid boy.“
Geschrieben hat den Text zwar ein Mann, Stav Beger, an der Eigenwilligkeit Netta Barzilais besteht dennoch kein Zweifel. In Hod haScharon bei Tel Aviv geboren, schlug sie nach dem Studium der elektronischen Musik die Künstlerkarriere ein.
Als DJ werkt Barzilai gern mit der Loop-Maschine, als Sängerin trat sie bei Hochzeitsfeiern und in Bars auf, Brotjobs als Kellnerin und Kinderbetreuerin halfen zu überleben. Bevor sie über die israelische Talente-Show Rising Star Anlauf zum ESCTriumph nahm, hatte die kernige Frohnatur im Theater und beim Musical ihr Glück versucht.
Leute, die Barzilai noch in der Schule gehänselt hätten, würden ihr nunmehr zum Erfolg gratulieren, heißt es. Der Song Toy, sagt die Sängerin, sei auf ihre Persönlichkeit zugeschnitten. „Er drückt weibliche Stärke aus, und ich bin superstolz darauf, ihn singen zu dürfen, denn ich weiß, wie viele Frauen sich unter Druck gesetzt fühlen, so zu sein, wie es die Gesellschaft vorschreibt.“
Es gehe darum, sich selbst „so anzunehmen, wie man aussieht und wie man denkt.“Als Netta die Trophäe in Lissabon überreicht wurde, quietschte sie vor Freude: „Danke“, sagte sie, „dass ihr euch für die Andersartigkeit entschieden habt.“