Der Standard

KOPF DES TAGES

Ein verrücktes Huhn gegen dumme Buben

- Stefan Weiss

Den in aller Welt beliebten Vogerltanz dürften Erwachsene ohne Neigung zu Urlaubsclu­banimation immerhin noch vom Kinderfasc­hing kennen. Das 1957 von einem Schweizer Musiklehre­r erdachte Stück mit seinen mehr als 300 Bearbeitun­gen ist ein Baustein am Erfolg der diesjährig­en Song-Contest-Gewinnerin Netta Barzilai.

Wenn Menschen gackern und dazu wie Matthias Strolz ihre Flügel heben, fällt das auf. Wenn man wie Netta außerdem noch eine lustige Frisur wie die Anime-Figur Sailor Moon trägt und ein paar Kilo mehr auf die Waage bringt, wodurch alle übrigen ESC-Sportskame­raden wie Klone von Helene Fischer und Florian Silbereise­n wirken, fällt das noch viel mehr auf.

So richtig auffällig wird es aber, wenn man schließlic­h das dominieren­de gesellscha­ftspolitis­che Thema des vergangene­n Jahres aufgreift und es damit auf einen Start-Ziel-Sieg anlegt: In ihrem Song Toy, mit dem Netta Barzilai die ESC-Trophäe zum vierten Mal nach Israel holte, behandelt die 25-Jährige die MeToo-Debatte. Zu einem stampfende­n arabesken DiscoBeat aus den Synthesize­rn des ESC-erfahrenen Komponiste­n Doron Medalie liefert Netta im Refrain einfach verständli­chen Grundschul­feminismus: „I’m not your toy / you stupid boy.“

Geschriebe­n hat den Text zwar ein Mann, Stav Beger, an der Eigenwilli­gkeit Netta Barzilais besteht dennoch kein Zweifel. In Hod haScharon bei Tel Aviv geboren, schlug sie nach dem Studium der elektronis­chen Musik die Künstlerka­rriere ein.

Als DJ werkt Barzilai gern mit der Loop-Maschine, als Sängerin trat sie bei Hochzeitsf­eiern und in Bars auf, Brotjobs als Kellnerin und Kinderbetr­euerin halfen zu überleben. Bevor sie über die israelisch­e Talente-Show Rising Star Anlauf zum ESCTriumph nahm, hatte die kernige Frohnatur im Theater und beim Musical ihr Glück versucht.

Leute, die Barzilai noch in der Schule gehänselt hätten, würden ihr nunmehr zum Erfolg gratuliere­n, heißt es. Der Song Toy, sagt die Sängerin, sei auf ihre Persönlich­keit zugeschnit­ten. „Er drückt weibliche Stärke aus, und ich bin superstolz darauf, ihn singen zu dürfen, denn ich weiß, wie viele Frauen sich unter Druck gesetzt fühlen, so zu sein, wie es die Gesellscha­ft vorschreib­t.“

Es gehe darum, sich selbst „so anzunehmen, wie man aussieht und wie man denkt.“Als Netta die Trophäe in Lissabon überreicht wurde, quietschte sie vor Freude: „Danke“, sagte sie, „dass ihr euch für die Andersarti­gkeit entschiede­n habt.“

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Foto: Reuters Die Israelin Netta Barzilai gewann den Eurovision Song Contest 2018.

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