Dutzende tote Palästinenser am 70. Gründungstag Israels
Symbolträchtige Eröffnung der US-Botschaft in Jerusalem löste massive Proteste aus
Jerusalem – Im Zusammenhang mit der umstrittenen Eröffnung der US-Botschaft in Jerusalem ist es am Montag zu massiven Protesten mit zahlreichen Toten gekommen: Bei Konfrontationen mit israelischen Soldaten wurden im Gazastreifen mindestens 41 Palästinenser erschossen. Rund 1700 Menschen wurden nach den Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums verletzt.
Der Umzug der Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem war von US-Präsident Donald Trump auf den 70. Jahrestag der Gründung des Staates Israel angesetzt worden. Israel lehnt den Anspruch der Palästinenser auf Ostjerusalem als Hauptstadt für einen eigenen Staat Palästina ab. Der Schritt der USA gilt daher als symbolträchtige Unterstützung für Israel im Nahostkonflikt.
Außenministerin Karin Kneissl (FPÖ) glaubt nicht an einen „Flächenbrand“in der Region, wie sie am Montag anlässlich des Besuchs von UN-Generalsekretär António Guterres in Wien erklärte. Am Sonntag hatte Österreich am GalaEmpfang des israelischen Außenministeriums in Jerusalem teilgenommen. Zahlreiche EU-Staaten hatten auf eine Teilnahme verzichtet. (red)
Muktada al-Sadr: für die einen noch immer ein Schreckenswort – für seine Anhängerschaft ein Lichtblick. Die Resultate der Parlamentswahlen im Irak, die am Montag nach und nach eintrafen, sahen die Koalition des nunmehr fast 45-jährigen schiitischen Mullahs mit den Kommunisten vorne. Auf dem zweiten Platz lag ein Parteienbündnis, dessen Vision von der Zukunft des Irak völlig anders ist als jene des irakischen Nationalisten Sadr: die schiitischen Milizen unter Hadi al-Amiri mit ihren engen Beziehungen zu Teheran.
Premier Haidar al-Abadi dürfte hingegen der größte Verlierer der Wahlen sein. Bei dieser Konstellation wäre dennoch nicht ausgeschlossen, dass er noch einmal Regierungschef wird. Chancenlos dürfte Expremier (2006–2014) Nuri al-Maliki sein.
Die Kategorien sunnitisch-schiitischkurdisch haben ja zur Beschreibung der irakischen politischen Realitäten nie ausgereicht. Diese Wahlen bilden jedoch besonders deutlich die Fraktionierung des schiitischen Lagers ab. Bisher war es für die einzelnen schiitischen Gruppen meist nicht übermäßig schwer, nach den Wahlen zusammenzuarbeiten: Auch Sadr hatte 2010 – auf iranischen Druck, heißt es – dem ihm verhassten Maliki doch noch ermöglicht, eine Regierung zu bilden. Sadr und Amiri, das geht jedoch wohl nicht zusammen, obwohl ja im Grunde die Bezeichnung „Milizenführer“auch auf Sadr zutrifft.
Aber der einstmals wilde junge Mullah mit dem ungeschlachten Auftreten hat sich in den vergangenen Jahren immer auf ein Gewaltmonopol des Staates festgelegt, im Einklang mit der höchsten schiitischen Autorität in Najaf, Großayatollah Ali Sistani. Zwar stellte er nach dem Vormarsch des „Islamischen Staats“2014 auch seine eigene Truppe auf, Saraya al-Salam, aber er sah sie als Teil der irakischen Armee. Anders als andere schiitische Milizen, die sich als irakische Variante der iranischen Revolutionsgarden identifizieren. Eine Horrorvorstellung für viele Iraker.
Der Überlebende
Muktada al-Sadr, der selbst nie ein Amt bekleidete, hat den Irak nach dem Sturz Saddam Husseins durch die US-Invasion stark geprägt. Quasi aus dem Nichts tauchte er 2003 als Überlebender der großen Klerikerfamilie Sadr wieder auf. Saddam hatte 1999 seinen Vater Mohammed Sadiq – nach ihm ist „Sadr-City“benannt, das große Slumviertel in Bagdad – und seine Brüder umbringen lassen. Hunderttausende junge Schiiten, darunter die Ärmsten der Armen, die verlorene Generation Saddam Husseins, nahmen Muktada 2003 begeistert auf. Er mobilisierte gegen so ziemlich alles: die US-„Besatzung“, die Schiitenpoli- tiker, die mit den USA kooperierten, aber auch die schiitischen Geistlichen wie Sistani, die sich aus der Politik heraushielten. Ein ihm zuzurechnender Mob brachte 2003 in Najaf den moderaten schiitischen Kleriker – und Hoffnungsträger für viele – Abdulmajid al-Khoei um, aus der Zeit stammt ein US-Haftbefehl gegen Sadr.
2006 gelang es Al-Kaida endgültig, die irakischen Schiiten in einen Bürgerkrieg zu bomben: Sadrs Milizen, die Mahdi-Armeen, verübten schwere Verbrechen an Sunniten. Aus dem Wahnsinn wachte Sadr auf, als er erkennen musste, dass er die Kontrolle verloren hatte. Er zog sich zu theologischen Studien ins iranische Ghom zurück. Nach seiner Rückkehr war erst einmal nicht viel mehr als sein Name da, den er seiner Fraktion im Parlament gab (Sadristen), die auch in diversen Regierungen war. Mehrfach kündigte er seinen persönlichen Rückzug an. Aber 2016 mobilisierte er wieder die Massen zu Demonstrationen in Bagdad, für die Bildung einer Technokratenregierung.
Einladung nach Saudi-Arabien
Ab einem gewissen Zeitpunkt trat Sadr, ein lautstarker Gegner der Politik Malikis, als Anwalt der irakischen Sunniten auf: Eine Einladung nach Saudi-Arabien, das sich im Irak heute wieder mehr engagiert, kam im Vorjahr. Und bei näherer Betrachtung der irakischen Geschichte erscheint auch Sadrs Allianz mit den Kommunisten nicht mehr ganz so absurd: Die irakische Kommunistische Partei – einstmals die zweite große Kraft neben den Nationalisten – schöpfte ihre Anhängerschaft naturgemäß aus dem Reservoir der Armen, den Schiiten, die schon von den sunnitischen Osmanen als religiöse Underdogs behandelt und von den Briten nach dem Ersten Weltkrieg ins politische Abseits gedrängt wurden. Inspiriert von der Islamischen Revolution 1979 im Iran, mutierten viele Kommunisten später auch wieder zu Islamisten.
Sadr und die Kommunisten haben also sozusagen die gleiche Klientel – was auch die riesige soziale Kluft innerhalb der Schia reflektiert. Neben den Armen gab es stets einen wohlhabenden schiitischen Händlerstand und Großgrundbesitzer.
Wie Sadr mit seinem Wahlsieg umgeht, sollte dieser bestätigt werden, ist schwer zu erraten. Es ist fast auszuschließen, dass er selbst ein Amt übernimmt. Vielleicht unterstützt er Abadi als Premier – allerdings hat dieser im Jänner versucht, mit Schiitenführer Hadi al-Amiri ins Geschäft zu kommen und dadurch bei den Iran-Gegnern im Irak Vertrauen eingebüßt. Amiri hat wiederum mit Maliki einen möglichen Verbündeten, aber sonst hat der Iran-Sektor keine Unterstützung im Irak. Und Teheran wird das hoffentlich zur Kenntnis nehmen.