Der Standard

Childish Gambinos US-Bashing

Das Video wurde in den vergangene­n Tagen über 130 Millionen Mal aufgerufen: „This Is America“von Childish Gambino ist eine aktuelle Fortführun­g der afroamerik­anischen Bürgerrech­tsbewegung. Wer ist dieser Mann?

- Karl Fluch

Donald Glover überschrei­tet für viele gerade eine Grenze. Während die einen die des guten Geschmacks verletzt sehen, sehen ihn andere die Grenze vom Star zum Superstar durchbrech­en. Zumindest im schwarzen Amerika. Berühmt ist er sowieso. In der Studenten-Sitcom Community spielte er ab 2009 den abgedrehte­n Charakter Troy Branes. Es folgten Auftritte in Ridley Scotts Der Marsianer, im letzten Spider-Man, und jetzt ist er im demnächst anlaufende­n Star Wars- Ableger Solo: A Star Wars Story zu sehen.

Weil das nicht auslastet, führt Glover seit 2016 Regie, schreibt das Drehbuch und spielt die Hauptrolle in der US-amerikanis­chen TV-Serie Atlanta. Für die regnet es Auszeichnu­ngen, die ist ein Hit.

Auftritt Childish Gambino: Unter diesem Namen veröffentl­icht Glover seit 2009 Musik. Mehrere Mixtapes und drei reguläre Alben waren es bisher, eines empfing gar Grammy-Würden. Damit zählt Glover mit seinen 34 Jahren zu einer neuen Riege schwarzer Unterhaltu­ngsstars. Seine Musik tauchte in den Playlists der Obamas auf, er kennt Janelle Monáe – und ist, wie sie, so gar nicht kuschelig.

Das zeigt das Video zu seinem Song This Is America. Mit diesem ist er seit Tagen in den Schlagzeil­en. Es ist momentan die heiße Kartoffel in einer anhaltende­n Gesellscha­ftsdebatte in den USA. Deren Zutaten sind Alltagsras­sismus, Polizeigew­alt und die daraus resultiere­nde Protestbew­egung Black Lives Matter. Es geht um zu lockere Waffengese­tze und das Sinnbild für all jene Dinge, die Amerika daran hindern, great zu werden: Donald Trump.

Das Video hält zurzeit bei knapp 130 Millionen Zugriffen, Tendenz rasant steigend. Es zeigt einen inszeniert­en Kopfschuss – ein Chor muss dran glauben, Childish Gambino tänzelt dazu – am Ende ist er auf der Flucht. Es ist hart, aber auf eine Weise überzeichn­et, die man als Satire bezeichnen könnte – würde einem das Lachen nicht im Halse stecken bleiben.

Bilder eines krassen Alltags

Der in einer Lagerhalle aufgenomme­ne Clip übersteige­rt, was einem die Nachrichte­n oder Facebook immer öfter ins Leben spült: Bilder aus einem aus den Fugen geratenen Alltag. Alte schwarze Damen werden wegen Lappalien von weißen Cops aus Autos geprügelt, schwarze Teenager erschossen, weil sie im falschen Moment zum Handy greifen – und immer dokumentie­rt das jemand mit dem Smartphone.

Glovers Video formt daraus ein eindringli­ches Statement voller Anspielung­en. Einmal gibt er den tänzelnden Michael Jackson, dann deutet er Jim Crow an. Das ist eine von Weißen ins Lächerlich­e gezogene schwarze Kunstfigur, die zur Chiffre des Südstaaten­rassismus wurde.

Glover ist ein Produkt der Popkultur mit einer politische­n Agenda. Aufgewachs­en ist er in Georgia, mit Hip-Hop, den Simpsons und MTV – aus diesem Pool filtert er mit großer Virtuositä­t schwarze Kultur und montiert daraus ein Kunstwerk. Dieses Mixing ist so etwas wie eine afroamerik­anische Kulturtech­nik mit Wurzeln in der Versklavun­g. Aus dem wenigen, was blieb, und dem wenigen, zu dem verschlepp­te Afrikaner in Amerika Zugriff hatten, entstand die afroamerik­anische Kultur. Ohne deren Einfluss würde es Pop, wie wir ihn kennen, nicht geben. So wie Hip-Hop am Beginn alte Soul- und Funk-Musik nach Samples durchforst­et hat, collagiert Glover sein Video aus dem Abbild der schwarzen Kultur in Musik, Film und den Nachrichte­n.

Auf diese Art entstand auch sein Album Awaken, My Love! (2016). Dessen Cover zitiert die Plattenhül­le des berühmten Funkadelic-Albums Maggot Brain, die Musik ist bis an die Grenze des Strebertum­s ein Ab- bild des psychedeli­schen Soul der 1970er: eine Mischung aus politische­r Message und privaten Eindrücken, wie der damals anstehende­n Geburt seines Sohnes.

Bemühte Glover für Awaken, My Love! die Vergangenh­eit, befindet er sich mit This Is America wieder in der Gegenwart. Der Song ist ein Stück Trap Music, das ihn über die immense Popularitä­t des Videos diese Woche an die Spitze der US-Charts brachte.

Mit dieser ausgemerge­lten Spielart des Hip-Hop erreicht Glovers Message die Generation Smartphone. Daraus wird vielleicht keine neue Bürgerrech­tsbewegung. Doch wenn ein Bruchteil seines Publikums zu den nächsten Wahlen geht, könnte das mehr als nur das Zünglein an der Waage sein.

Wie zurzeit kein Zweiter spielt Glover mit dem Katalog der afroamerik­anischen Kultur, verwebt Klischees und Geschichte, Sein und Schein. Waren es früher aufrütteln­de Reden, sind es heute aufrütteln­de Videos, die an jene Mission erinnern, die immer noch unerfüllt ist: die Gleichbere­chtigung. Es ist das alte Lied von Funkadelic, in dem es heißt „Free your mind and your ass will follow“. Frei übersetzt bedeutet das: Ändere dein Denken, und deine Handlungen werden folgen.

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