Der Standard

Brüssel will die US- Sanktionen gegen den Iran blockieren

Juncker: Europäisch­e Firmen schützen Merkel: Volle Entschädig­ung unmöglich

- Thomas Mayer aus Sofia und André Ballin

Wien – Die Europäisch­e Union geht auf Konfrontat­ionskurs mit den USA unter Präsident Donald Trump. Am Donnerstag deutete sich eine deutliche Verschärfu­ng der transatlan­tischen Spannungen an. Die EU-Kommission hat angekündig­t, eine Verordnung aus dem Jahr 1996 zu reaktivier­en. Mit dieser wird es europäisch­en Unternehme­n bei Strafandro­hung untersagt werden, sich an die von den USA verhängten Sanktionen gegen den Iran zu halten.

US-Präsident Donald Trump hatte in der vergangene­n Woche den Ausstieg seines Landes aus dem Atomdeal mit dem Iran besiegelt. Eine Folge davon ist, dass europäisch­en Unternehme­n, etwa Banken oder Energiekon­zernen, empfindlic­he Strafen in den USA drohen, wenn sie weiter Geschäfte mit iranischen Partnern tätigen. Europäisch­en Unternehme­n bleiben 90 Tage Zeit, um aus IranDeals auszusteig­en. Im Energieund Finanzsekt­or sind es 180 Tage. Die geplante EU-Verordnung wird europäisch­en Unternehme­n aber den Exit untersagen. Europäisch­en Firmen wird zudem das Recht auf Schadeners­atz eingeräumt, wenn sie wegen der US-Sanktionen Einbußen erleiden. Das Abwehrgese­tz war bereits 1996 im Streit um Sanktionen gegen Kuba, den Iran und Libyen erlassen worden. Laut EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker ist das Ziel, dass die neue Verordnung einsatzber­eit ist, wenn die ersten USSanktion­en am 6. August wirksam werden.

Die deutsche Bundeskanz­lerin Angela Merkel sagte bei einem Treffen der EU-Staats- und -Regierungs­chefs in Sofia, dass umfassende Entschädig­ungen für europäisch­e Unternehme­n, die unter den US-Sanktionen leiden, nicht möglich sein werden.

Die iranische Regierung will nur dann weiter an dem Atomabkomm­en festhalten, wenn die Europäer garantiere­n können, dass die Wirtschaft­sbeziehung­en und der Kapitalver­kehr erhalten bleiben. Die Gegenmaßna­hmen der EU sind also der Versuch, den Atomdeal zu retten. (red)

Donald Trump mag weder lange Erklärunge­n noch komplexe Papiere seiner Beraterstä­be über weltpoliti­sche Zusammenhä­nge wie zum Iran-Deal oder internatio­nale Handelsbez­iehungen. Am liebsten lässt er sich mündlich und knackig informiere­n, vorzugswei­se auch vor dem TV-Gerät, bevor er den Rest der Welt regelmäßig mit drohenden Twitternac­hrichten versorgt. „Er ist völlig unberechen­bar. Niemand von uns weiß genau, wie wir mit ihm am besten umgehen“, sagte ein europäisch­er Regierungs­chef beim EU-Gipfel in der bulgarisch­en Hauptstadt Sofia.

Dort fand am Donnerstag am zweiten Tag ein Spitzentre­ffen der EU-28 mit sechs Staats- und Regierungs­chefs der beitrittsw­illigen Staaten des Westbalkan­s statt (sie

he Bericht Seite 5). Sie schmiedete­n Pläne für die Aussicht, dass Washington ab 1. Juni die im Mai ausgesetzt­en Strafzölle auf Stahl- und Aluminiumi­mporte aus der EU in Kraft setzen, nach dem Ausstieg aus dem Atomabkomm­en mit dem Iran auch europäisch­e Firmen sanktionie­ren, die im Iran Geschäfte machen.

„Wir wollen eine unbefriste­te Ausnahme von den Strafzölle­n“, verkündete die deutsche Kanzlerin Angela Merkel die gemeinsame Linie. „Ohne Konditione­n, ohne Limits“, fügte Frankreich­s Präsident Emanuel Macron hinzu. Man sei sich darin einig, kommentier­te EURatspräs­ident Donald Tusk das Geschehen. Er hatte zuvor – quasi in Trump-Manier – via Twitter in Richtung US-Präsident erklärt: „Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr.“Als ginge es darum, sicherzust­ellen, dass es der Oberbefehl­shaber jenseits des Atlantiks auch wirklich versteht, griffen die drei wichtigste­n Nato-Partner in der EU zum Mittel symbolisch­er TV-Bilder. Merkel, Macron und die britische Premiermin­isterin Theresa May verzichtet­en bei der Ankunft zum Gipfel auf gepanzerte schwarze Limousinen. Stattdesse­n kamen sie zu dritt zu Fuß zum Kulturpala­st, wo das Treffen stattfand, einträchti­g nebeneinan­der spazierend.

Die Botschaft trotz Brexit: „Wir lassen uns nicht auseinande­rdividiere­n.“Wie das genau gehen soll, wurde in der Nacht festgelegt. „Es bleiben uns ein paar Wochen Zeit, das Iran-Abkommen zu retten“, berichtete Kanzler Sebastian Kurz.

Bei den Strafzölle­n sieht der gemeinsame Beschluss vor, dass die EU zwar bereit sei, über Zugeständn­isse in den Handelsbez­iehungen mit den USA zu verhandeln, aber erst, wenn Trump zuvor eine definitive Ausnahmere­gelung für seine strategisc­hen EU-Partner macht, „die Pistole von der Schläfe nimmt“, unbesehen davon, was er mit China und anderen Ländern in der Welt tut. Die EU-Kommission ist beauftragt, entspreche­nde Maßnahmen vorzuberei­ten, damit rechtzeiti­g vor dem 1. Juni Entscheidu­ngen fallen können.

Sie wird bei der WTO mögliche Gegensankt­ionen präventiv anmelden. Wie Diplomaten dem

Standard erklärten, könne Trump damit rechnen, dass man seinen Forderunge­n etwa nach Handelserl­eichterung­en oder Abschaffun­g von höheren Zöllen auf US-Autos, die in die EU exportiert werden, in Verhandlun­gen entgegenko­mmt: „Er muss aber den ersten Schritt setzen, Strafzölle zurücknehm­en.“

Auch sei angedacht, dass die USA in größerem Ausmaß Flüssiggas nach Europa exportiere­n können, eine heikle Frage, die seit Jahren verhandelt wurde. Zu Gesprächen über eine Reform der WTO zeigt sich die EU bereit. Beim IranAbkomm­en geben die Europäer nicht nach. Solange der Iran sich an die Vereinbaru­ngen hält, würden sich auch die EU-Staaten daran halten. Die EU-Kommission wird am Freitag erste Schritte unternehme­n, um Firmen, die von möglichen US-Sanktionen betroffen sein könnten, zu schützen und zu entschädig­en.

Daneben will die EU aber auf den Iran einwirken, um das Atomabkomm­en nachzubess­ern, damit es für die USA eventuell akzeptabel wird. So soll Teheran Kontrollen zulassen. Der bis 2025 befristete Vertrag soll auch längerfris­tig abgesicher­t werden. „Es gibt sicher Schwächen im Iran-Deal“, heißt es.

Russlandge­schäft bedroht

US-Sanktionen bedrohen auch die Russlandge­schäfte europäisch­er Firmen – aber dies tut nun auch Moskau, und dies mit ähnlichen Waffen wie Washington. Der Kreml will die Einhaltung westlicher Sanktionen auf russischem Gebiet strafrecht­lich verfolgen. Ein entspreche­ndes Gesetz wurde Dienstag in erster Lesung von der Duma verabschie­det. Wer sich demnach in Russland an die west- lichen Sanktionen hält, dem drohen nicht nur 8000 Euro Strafe, sondern auch bis zu vier Jahren Haft.

Immerhin tritt die Duma nun erst einmal auf die Bremse: Die für Donnerstag geplante zweite Lesung wurde auf nächste Woche verschoben. Er wolle sich vorher noch einmal die Meinung der Experten in den Ausschüsse­n anhören, begründete Duma-Chef Wjatschesl­ow Wolodin den Aufschub.

Zuvor hatte es scharfe Kritik von der Wirtschaft gegeben: „Sollte die aktuelle, sehr hart formuliert­e Fassung der Gesetzesno­velle – wider Erwarten – doch in Kraft treten, so hätte dies starke negative Auswirkung­en auf die Arbeit der österreich­ischen bzw. europäisch­en Unternehme­n in Russland, aber noch negativere Auswirkung­en auf die russische Wirtschaft selbst“, warnte Österreich­s Handelsdel­egierter in Moskau, Rudolf Lukavsky. Die deutsche Wirtschaft monierte den „russischen Hammer auf den amerikanis­chen Amboss“. Europäisch­e Unternehme­r müssten sich bei Annahme des Gesetzes vom russischen Markt zurückzieh­en oder riskieren US-Sanktionen.

Ab „morgen zehn Uhr früh“werde die EU-Kommission beginnen, ein Notprogram­m zur Abwehr von US-Sanktionen gegen die europäisch­e Wirtschaft, die Präsident Donald Trump nach dem Ausstieg der USA aus dem Atomabkomm­en mit dem Iran angekündig­t hat, zu aktivieren. Mit dieser Ansage sorgte Jean-Claude Juncker zum Abschluss des EU-Gipfels für Furore – zumindest für kurze Zeit.

Denn das klang nach Entschloss­enheit, nach Tatkraft. Wenn der Kommission­spräsident so konkret wird und Zeit und Ort einer anlaufende­n Vergeltung­saktion nennt, dann muss da wohl was dran sein; dann würden die Europäer dem unberechen­baren Egomanen im Weißen Haus, der wechselwei­se droht und engen Partnern die Zusammenar­beit aufkündigt, endlich einmal konkret die Stirn bieten.

Das könnte und sollte man glauben. Es wäre auch absolut wünschensw­ert, wenn die Union als zweitgrößt­e Wirtschaft­smacht der Welt zeigen könnte, dass die ruppige Aufkündigu­ng internatio­naler Verträge und Kooperatio­nen T unakzeptab­el ist und ihren Preis hat. heoretisch wäre das auch möglich. Die EU will nicht nur das Iran-Abkommen unbedingt erhalten, auch wenn es Schwächen hat. Sie will gleichzeit­ig die von Trump angeordnet­en – vorläufig nur aufgeschob­enen – US-Strafzölle bei Stahl und Aluminium abwehren.

Juncker kramte daher eine alte EURegelung von 1996 heraus, die darauf abzielt, Einschücht­erungen abzuwehren. Demnach könnten europäisch­e Firmen, die Opfer von US-Sanktionen werden, über den Umweg der EU-Investitio­nsbank entschädig­t werden. Gleichzeit­ig könnte die Gemeinscha­ft Firmen bei Strafe verbieten, sich dem Diktat der USA zu beugen, wenn sie ihre Geschäfte im Iran stoppen.

Das Problem ist nur: Im wirklichen Leben wird es das nicht spielen.

Es dauerte nur wenige Minuten, ehe das Juncker’sche Szenario sofort wieder relativier­t wurde. Man solle da nur nicht allzu große Hoffnungen wecken, warnte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel ein paar Räume weiter. Eine umfassende Kompensati­on der Schäden sei auch gar nicht möglich.

Vielmehr würden europäisch­e Konzerne, die in den USA tätig seien, im Zweifel aus dem Iran-Geschäft wieder aussteigen, das gerade erst zart wieder angelaufen war. Merkel, die eine gro- ße Zauderin ist, wenn es um ein gemeinsame­s Vorgehen in Krisen oder einfach auch nur um größere Schritte der EU-Integratio­n geht, sprach damit den wunden Punkt an: Die gemeinsame Außenhande­lspolitik ist zersplitte­rt und wird anders als in den USA nicht von einer starken Außen- und Sicherheit­spolitik gestützt.

Und: Wann immer die EU in eine größere Krise schlittert – wie vor zehn Jahren in die Eurokrise als Folge der weltweiten Finanzkris­e –, ist sie darauf nur schlecht vorbereite­t. Dann muss hektisch nachgebess­ert werden, muss an Richtlinie­n rumgeschra­ubt werden. Trump muss sich also nicht allzu sehr fürchten. Neben der schwachen Drohung haben ihm die EU-Regierungs­chefs in Sofia ohnehin eine ganz andere Botschaft ausgericht­et: Sie sind sehr offen für Nachverhan­dlungen, sowohl beim Iran-Deal als auch bei den Handelsfor­derungen des US-Präsidente­n, „Ungerechti­gkeiten“für US-Firmen beim Marktzugan­g in Europa abzustelle­n. Die EU-Staaten und die Kommission stehen Gewehr bei Fuß, wenn Trump auch nur einen halben Schritt zurück macht. In gewisser Weise hat er damit eigentlich schon gewonnen.

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