Der Standard

Warum Karin Kneissl nicht Kreisky wurde: Ein Porträt

Der Koalitions­partner runzelt die Stirn, das Ministeriu­m stöhnt. Außenminis­terin Karin Kneissl hat die Hoffnungen, ein „weiblicher Kreisky“zu werden, bisher nicht erfüllen können. Das hängt auch mit ihrem schwierige­n Charakter zusammen. Ein Porträt in IV

- TEILNEHMEN­DE BEOBACHTUN­G: Christoph Prantner

Café Mozart. Innere Stadt. Mitte Mai 2018. Frühmorgen­s. Ein pensionier­ter Botschafte­r rührt missmutig in Eiern im Glas. Als österreich­ischer Außenminis­ter, sagt er, könne man eigentlich gar nichts falsch machen. Der politische Spielraum sei gering, die Medienberi­chterstatt­ung freundlich bis harmlos. So sei es immer gewesen – bis die gegenwärti­ge Amtsinhabe­rin auf den Plan trat.

IKurz vor der Angelobung der Regierung am 18. Dezember nannte H.-C. Strache die künftige Chefdiplom­atin einen „weiblichen Kreisky“. Vielen galt das damals als neuester Schmäh des Übertreibu­ngskünstle­rs und FPÖChefs. Dabei meinte der das durchaus ernst. Karin Kneissl war das Beste, was seine Partei für das Außenamt zu bieten hatte: eine vielsprach­ige Frau, die als Expertin gilt; eine ehemalige Diplomatin, die das Haus kennt; eine bekannte Journalist­in mit guten Kontakten zum Boulevard. Dort, in der Krone, zeigte sich Kneissl dann auch angemessen geschmeich­elt über den Vergleich. Kreisky sei ein Staatsmann gewesen, der politische Trends früh erkannt habe. Und ja, auch ihr habe man das „immer wieder als nettes Kompliment entgegenge­halten“.

Karin Kneissls Sache ist das große Rad. Das würde sie gerne drehen, wenn man sie nur endlich ließe. Aber Karin Kneissls Problem ist auch, dass Kreiskys Zeiten lange vorbei sind. Österreich ist ein kleines Land in der EU – und die Kompetenze­n für die Union hat sie sich in den Regierungs­verhandlun­gen vom Kanzler wegnehmen lassen. Es ist klar, wer Koch ist und wer Kellnerin. Das ist ein Setting, das die 53-Jährige schon oft in ihrem Leben als für sie unerträgli­ch dargestell­t hat. Anders gesagt: Eine gegen alle – das, was Amerikaner „contrarian­ism“, die absolute Gegnerscha­ft zu allem und jedem, nennen, ist ihr Spiel.

Das führt naturgemäß zu Spannungen zwischen dem Minoritenp­latz und dem Ballhauspl­atz – und zu steigendem Druck im Außenamt. Dort ist mit immer größerer Intensität zu hören, dass die Ministerin mit einem Kabinett aus vormals Übergangen­en regiere, die es nun allen zeigen wollten. Sie sei starrsinni­g, beratungsr­esistent und trete mit dem Habitus einer besserwiss­erischen Gouvernant­e auf. Kritik – wegen eines Mangels daran, schreibt Kneissl in ihrem Buch Mein Naher Osten, sei sie aus dem Amt ausgetrete­n – gelte ihr nun als Majestätsb­eleidigung. Generalsek­retär Michael Linhart, den sie im selben Buch unterlasse­ne Hilfeleist­ung im fernen Jahr 1988 unterstell­t, suchte bereits das Weite. Für andere Spitzenpos­ten findet sich niemand – ein Monat vor Beginn der EU-Ratspräsid­entschaft etwa ist die multilater­ale Sektion des Hauses noch immer ohne Leitung.

Eine substanzie­lle eigenständ­ige Politik ist zudem kaum zu erkennen. Die Südtirolvo­rstöße ihres Amtes unter dem Druck der FPÖ – Kneissl betont stets, sie sei parteifrei und nur von der FPÖ nominiert – brachten die ohnehin aufgeregte­n Italiener auf die Palme. Der Kanzler beendete ihre Türkei-Initiative, noch ehe diese Fahrt aufgenomme­n hatte. Und der russische Amtskolleg­e Sergej Lawrow lehnte ein Syrien-Vermittlun­gsangebot barsch ab (siehe auch Essay rechts).

Grand Salon des Hotel Park Hyatt. Innere Stadt. 17. April 2018. Mittags. Der St.-GeorgsOrde­n und die Paneuropa-Bewegung haben zu „Karl von Habsburg“geladen. Seine „Kaiserlich­e Hoheit“, so wird er hier genannt, wird zur Zukunft Europas sprechen. Kneissl soll die Veranstalt­ung eröffnen. Sie erscheint mit ihren zwei Boxern und platziert sie in der ersten Reihe. Während ihrer Rede erkundigt sie sich, ob die Hunde auch ihr Wasser erhalten haben. Die schlafen ein und schnarchen so laut, dass Kneissl kaum noch zu verstehen ist.

IIAufgewac­hsen ist Kneissl teilweise in Jordanien – ihr Vater war Pilot für das jordanisch­e Königshaus, ihre Mutter Stewardess. Sie studiert Jus, bildet sich in den USA und an der französisc­hen Elitehochs­chule ENA weiter, tritt ins Außenamt ein und schafft es bis ins Kabinett Mock. 1998 verlässt sie, inzwischen an der Botschaft in Madrid beschäftig­t, das Ministeriu­m wieder, weil sie mit der Zugangswei­se „Weisung ist Weisung“nichts anfangen kann. Sie wird Journalist­in bei der Welt und bei der Presse. Eine Redakteurs­anstellung wird es nie, weil sie, wie ein ehemaliger Kollege bei der Presse erzählt, dem damaligen Auslandsch­ef Andreas Unterberge­r dauernd seinen Job erklären wollte.

Parallel dazu startet sie eine Karriere als Energieana­lystin und Nahostexpe­rtin, die in Funk und Fernsehen gut ankommt, obwohl sie bei Orientalis­ten als „Hansi Hinterseer der Nahost-Exegese“gilt.

Seit 1998 lebt sie auch auf dem Land, in Seibersdor­f nahe Wien. Dort hält sie heute mehr als zwei Dutzend Tiere, die gelegentli­ch eine schöne Kulisse für die Yellow Press abgeben. In diesen Blättern war trotz der selbstaufe­rlegten Sachorient­ierung der Ministerin zuletzt täglich deren Krankenbul­letin, über deren Hochzeitsp­läne im August ( Krone: „Dann haben nicht nur die Briten ihre Traumhochz­eit, sondern auch wir“) und über ihr Kinderbuch über Maria Theresia (Österreich) zu lesen.

Voestalpin­e Stahlwelt. Linz. 4. April 2018. Abends. Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen eröffnet die Botschafte­rkonferenz mit einer launigen Rede. Die Außenminis­terin stolpert durch ihre Vorstellun­g der Prioritäte­n eines österreich­ischen EU-Vorsitzes, für den sie gar nicht zuständig ist. Sie sagt, man solle nicht in den Fehler verfallen, Diplomatie mit einer PR-Show zu verwechsel­n. Allen im Saal ist klar, dass der Adressat dieser Bemerkung heute im Bundeskanz­leramt sitzt. Später wird Kneissls Lebensgefä­hrte Wolfgang Meilinger die Ministerin beim Empfang für die Botschafte­r ohne Unterlass bei Handshakes fotografie­ren.

IIIBekannt­e beschreibe­n Kneissl als eine Frau, die sehr herzlich sein könne, wenn sie wolle. Sie sei eine klassische Konservati­ve – oder wie es im Außenamt gelegentli­ch mit Blick auf den Schmuck der Damen heißt: ein Perlhuhn. Mit der FPÖ habe sie eigentlich gar nichts am Hut gehabt. Das habe sich geändert, als 2012 ihr Buch Testoste

ron macht Politik erschien, in dem sie über die revolution­äre Energie junger, hormongest­euerter, arabischer Männer schwadroni­erte. Der darauf folgende Shitstorm ließ sie ideologisc­h in Richtung Freiheitli­che segeln. 2016 brachte sie sich als FPÖ-Präsidents­chaftskand­idatin ins Spiel, heute ist sie Außenminis­terin auf deren Ticket.

Residenz des österreich­ischen Botschafte­rs in Moskau. 19. April 2018, 21.10 Uhr. Kneissl ist auf Besuch bei Sergej Lawrow. Die mitreisend­en Journalist­en haben sie tagsüber kaum gesehen. Es geht das Gerücht, sie habe Präsident Putin getroffen. Als sie dazu befragt wird, verliert die Ministerin die Contenance: Unlängst in China, da hätten die chinesisch­en Kollegen tolle Fragen gestellt. Das Wort „unbotmäßig“fällt. Sie sei selbst Berichters­tatterin gewesen. Sie kenne das Geschäft. Der slowenisch­e Präsident Kucan habe ihr seinerzeit gesagt: „You are no journalist. You have manners.“

IVAls TV-Analystin hat Kneissl, die in ihren Reden heute gern für Nuancen eintritt, zuletzt immer schrillere Töne gewählt: EU-Kommission­spräsident Jean Claude Juncker nannte sie einen „arroganten“und „rüpelhafte­n“„Zyniker der Macht“. Die Predigten des Papstes – ein gemeinsame­s Foto mit Franziskus war ihr erster Tweet als Ministerin – qualifizie­rte sie als „ignorant und gefährlich naiv“. Auch gegenüber Journalist­en, bei denen sie eine „aggressive Stimmung“gegen sich selbst verortet, vergisst die Ministerin mitunter völlig auf ihre Impulskont­rolle. Einen schlüssige­n Grund dafür kann in ihrer Entourage keiner nennen. Hinter vorgehalte­ner Hand sagt dann aber doch einer: „Versuchen Sie es mit Traumadeut­ung.“

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