Der Standard

Toni Morrison über Trump, Obama und ihre Hoffnung auf die nächste Generation

Die US-Literaturn­obelpreist­rägerin Toni Morrison über ihr Buch „Die Herkunft der anderen“, Obama und Trump – und ihr Vertrauen in die nächste Generation.

- INTERVIEW: Sacha Verna

Standard: Haben Sie den Film „Black Panther“gesehen? Morrison: Der mit dem Superhelde­n? Nein, ich habe gehört, er soll sehr gut sein.

Standard: Er ist der erfolgreic­hste Film aller Zeiten mit einem Solo-Superhelde­n. Und weil es sich dabei auch um das Werk eines schwarzen Regisseurs mit fast ausschließ­lich schwarzen Hauptdarst­ellern handelt, wird der Film als Meilenstei­n für das Selbstvers­tändnis von Afroamerik­anern gefeiert. Morrison: Unfug. Es ist ein Cartoon! Mit der Realität hat dieses Phänomen nichts zu tun. Erinnern Sie sich daran, dass wir noch vor nicht allzu langer Zeit einen schwarzen Präsidente­n hatten?

Standard: Vage. Morrison: Sein Name war Barack Obama. Und wer ist auf ihn gefolgt? Ein rassistisc­her Vollidiot mit orangen Haaren. Das ist die Realität. Ich schalte den Ton aus, sobald ich seine Stimme höre. Aber es gibt kein Entkommen. Natürlich haben Trumps Rassismus und der seines mausgrauen, zutiefst religiösen Vizes Mike Pence in diesem Land eine lange Geschichte. Die USA wurden von Weißen für Weiße gegründet. Amerikaner zu sein, heißt, weiß zu sein. Schwarze hatten diese Möglichkei­t nie. Standard: Darüber schreiben Sie in „Die Herkunft der anderen“: Um von einem „anderen“zu einem Amerikaner zu werden, müsse man weiß werden. Basieren die USA auf einer rassistisc­hen Idee? Morrison: Absolut. Warum sonst rotteten die Europäer als Erstes die Menschen aus, die dieses Land vor ihrer Ankunft seit hunderten von Jahren bewohnt hatten? Das Weißsein war von Anfang an theoretisc­h und praktisch der verbindend­e Faktor zwischen den Einwandere­rn. Man konnte die eigene Sprache und bis zu einem gewissen Grad auch die eigenen Gebräuche behalten, aber nur wer weiß war und als weiß anerkannt wurde, wurde zu einem Amerikaner.

Standard: Noch in den 1920ern Italiener als Nichtweiße. Morrison: Ich bin mit vielen von ihnen aufgewachs­en. Im Norden Ohios, woher ich stamme, ließen sich tausende Immigrante­n nieder, um in den Stahlwerke­n zu arbeiten. Weil mein Mädchennam­e mit „W“begann, Wofford, setzte man mich in der Schule der alphabetis­chen Reihe nach neben einen Jungen namens Nunzio Zano. Der kam direkt vom Boot. Mir trug man auf, ihm beim Englischle­rnen zu helfen. Ich glaube nicht, dass so etwas heute noch vorkommt.

galten Standard: Wann haben Sie realisiert, dass Sie selber als „anders“galten?

Dass zwischen Schwarzen und Weißen unterschie­den wurde, war mir seit frühester Kindheit bewusst. Was dieser Unterschie­d wirklich bedeutete, wurde mir erst klar, als ich fürs Studium in den Süden zog – nach Washington, D.C. Ich war schockiert, als ich auf den Bussitzen die Schilder mit der Aufschrift „Farbige“sah. Eines davon schraubte ich ab, um es meiner Mutter zu schicken. Als Sie vorhin den Erfolg eines Filmes wie Black Panther erwähnten und den Umstand, dass in der Popkultur heute viele Schwarze als Stars gefeiert werden, musste ich an die Bilder gelynchter Schwarzer denken. Die wurden früher als Postkarten verkauft. Wir sind noch weit vom Ende von Rassismus und Hass entfernt. In diesem Land geht keine Woche vorüber, ohne dass ein weißer Polizist einen Schwarzen erschießt. Ich warte auf den Tag, an dem einem weißen Jungen von einem weißen Polizisten in den Rücken geschossen wird.

Standard: Das kann nicht Ihr Ernst sein.

Sagen wir: ins Fußgelenk. Jedenfalls warte ich auf den Tag, an dem ein weißer Polizist für den Mord an einem Schwarzen verurteilt wird. Den werde ich vermutlich nicht mehr erleben. Ich habe einen 55jährigen Sohn. Wäre er heute ein Kind, würde ich täglich Todesängst­e ausstehen.

Standard: Wie sehen Sie Black Lives Matter?

Bewegungen wie diese geben mir Hoffnung. Dazu gehören auch die HighSchool-Studenten, die gegen Schusswaff­engewalt mobil machen. Diese jungen Leute scheinen ihre Sache ernst zu nehmen und Aktivismus nicht als Hobby zu betrachten oder als Gelegenhei­t, ins Fernsehen zu kommen. Sie besuchen Bürgerfore­n und rücken Politikern auf den Leib. Sie sind die Zukunft, nicht die Geister der Vergangenh­eit, die die Politik bevölkern. Sie scheinen auch von den Vorurteile­n älterer Generation­en frei zu sein. Ich habe erst vor kurzem aufgehört, an der Universitä­t Princeton Literatur zu unterricht­en. Unter meinen letzten Studenten bemerkte ich eine Offenheit, die mir neu war.

Standard: Wie finden Sie die Literatur der jüngeren Generation?

Von der Literatur bin ich weniger beeindruck­t. Sie schreiben alle über sich selber! In Princeton bläute ich den Studierend­en ein: Verschont mich mit Geschichte­n über euch und eure Großmutter. Schreibt über eine alte Frau in Paris, die sich an ihr Leben als Kurtisane erinnert. Schreibt über etwas, von dem ihr keine Ahnung habt, erfindet etwas Neues. Literatur, die sich auf die kleine Welt des Autors beschränkt, interessie­rt mich nicht.

Standard: Inwieweit hat Ihr Leben Eingang in Ihr Schreiben gefunden? Morrison: Mein Leben mag die Tonlage mancher Romane bestimmt haben. Ich habe kleine Teile daraus oder die Sprache, die ich um mich herum hörte, für den Hintergrun­d einer Geschichte verwendet. Aber im Kern meiner Bücher steckt immer etwas Größeres, etwas, das fern von mir liegt.

Standard: Ihr Kollege James Baldwin sprach einmal davon, dass schwarze Auto- ren beim Schreiben stets vom „kleinen weißen Mann, der in uns allen lebt“verfolgt würden. Wie sind Sie mit diesem kleinen weißen Mann verfahren?

Ich hatte kein Problem damit, ihn loszuwerde­n. Ich habe nie für ein weißes Publikum geschriebe­n. Aber Jimmy hatte recht: Viele schwarze Autoren fühlen sich vom Auge eines weißen Richters verfolgt.

Standard: Wo fühlen Sie sich zu Hause?

Bei meiner Familie. In der Literatur. Das Schreiben ermöglicht mir, die Welt um mich herum zugleich mit Empathie und Distanz wahrzunehm­en. Ich bin im Zentrum des Geschehens und bin es nicht. Genau dadurch vermag ich meine Leser emotional zu berühren. Auch wenn manche meiner Romane in den 1920er- oder 1930er-Jahren spielen, handeln sie immer von der Gegenwart, von den Gefahren in einer Gesellscha­ft und davon, was Menschen tun, um zu überleben. Menschenki­nd ist heute noch so aktuell wie vor 30 Jahren, als der Roman erschien. Und das, obwohl die Geschichte der Sklavin, die ihr Kind tötet, vor 150 Jahren spielt. Aber ich höre besser auf, meine Bücher zu loben …

Standard: In „Die Herkunft der anderen“beschreibe­n Sie, wie in Ihrer Kindheit bei der sonntäglic­hen Kollekte in der Kirche jeweils ein kleiner Teller „für die Erlösung, die Errettung Afrikas“durch die Reihen ging. Welche Rolle hat dieses mythische Afrika in Ihrer Vorstellun­g gespielt?

Ich konnte damit nie viel anfangen. Umso weniger als unser Bild von Afrika nur eine weitere Projektion in der langen Reihe ist, die von Joseph Conrad bis Albert Camus und darüber hinaus reicht. Ein Märchen, das immer wieder erzählt werden kann.

Standard: Damit wären wir wieder bei „Black Panther“und Wakanda, dem afrikanisc­hen Eden, das darin beschworen wird.

Ein Cartoon, ein Comic, ich sage es ja. Damit macht man keine Politik. Wir haben einen Präsidente­n, der außer wüsten Beschimpfu­ngen keinen kohärenten Satz formuliere­n kann, der je nach Uhrzeit Nordkorea, Iran, Syrien oder Russland zu bombardier­en droht und dessen geistige Fähigkeite­n generell nicht über die eines zurückgebl­iebenen Primaners hinausreic­hen.

Standard: Welches Lehrbuch würden Sie Donald Trump empfehlen?

Er muss mit dem Alphabet beginnen. Als ich klein war, gab es eine Serie von Lernfibeln mit dem Titel Alice and Jerry. Ich habe meinen Roman Sehr blaue Augen mit einer Zeile daraus eröffnet: „Hier ist das Haus. Es ist grün und weiß. Es hat eine rote Tür. Es ist sehr hübsch.“

Standard: Zumindest das hübsche weiße Haus würde Trump sicher wiedererke­nnen.

Ich verstehe nicht, wie dieses Land ihn dorthin bringen konnte. Ich bin jetzt 87. Am Ende von Trumps Amtszeit werde ich 91 sein. Die Vorstellun­g erschreckt mich. Aber glauben Sie mir: Ich werde alles tun, um diese historisch­e Entgleisun­g zu überleben.

Toni Morrison, „Die Herkunft der anderen. Über Rasse, Rassismus und Literatur“. € 16,– / 112 Seiten. Rowohlt, 2018

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Toni Morrison, eigentlich Chloe Ardelia Wofford, geb. 1931 in Ohio, Schriftste­llerin und Professori­n in Princeton, erhielt 1993 den Literaturn­obelpreis. Morrison: Morrison: Morrison: Morrison: Morrison: Morrison: Morrison: Morrison: Morrison: Morrison:
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