Der Standard

Hoffen auf den warmen Regen

Mit banger Neugier erwarten Österreich­s Bauern die Reform der EU-Agrarpolit­ik, die derzeit in Brüssel ausgearbei­tet wird. Das Wachstum immer größer werdender Betriebe soll nicht länger unterstütz­t werden. Kleinbauer­n bleiben dennoch skeptisch. Ein Bericht

- AUF DEM ACKER: Nora Laufer und Regina Bruckner

Maria Vogt ist sichtlich glücklich. Die Biobäuerin steht in eine schwarze Regenjacke gehüllt in ihrem Roggenfeld im niederöste­rreichisch­en Weinvierte­l und rammt einen Stecken in den Acker. Die Holzstange lässt sich leicht in den lehmigen Boden drücken, es riecht intensiv nach feuchter Erde. Ein gutes Zeichen, der Niederschl­ag ist tief eingesicke­rt. „Das war der erste Regen seit sechs Wochen“, sagt Vogt, sehnig, kurze dunkle Haare, dicke Hornbrille und Lachfalten im Gesicht. Sie lässt ihren Blick über den Acker und das große Gemüsefeld schweifen, wo bereits Rüben und Mais aus der Erde spitzeln. Eine solche Trockenhei­t hat die Bäuerin, die neben dem Getreideun­d Gemüseanba­u auch Schafe züchtet, um diese Jahreszeit lange nicht erlebt. Doch die Erleichter­ung über den ersehnten Regen kann nicht über andere, drängender­e Themen hinwegtäus­chen. Es ist nicht nur das Klima, das der 59Jährigen zu schaffen macht, sondern auch die anstehende Reform der Gemeinsame­n Agrarpolit­ik der EU (GAP), die derzeit in Brüssel ausgearbei­tet wird.

Am 29. Mai stellt die EU-Kommission ihren Vorschlag für den mehrjährig­en Finanzrahm­en vor, Agrarkommi­ssar Phil Hogan kündigte zeitgleich Zahlen zur GAP an, die mit 2020 in Kraft tritt. Von einer Einigung ist man noch weit entfernt, die Diskussion ist emotional aufgeladen. Fest steht: Die Agrarförde­rungen aus Brüssel werden angesichts des Brexits und der Umschichtu­ng von Geldern etwa für den EU-Grenzschut­z straff gekürzt. Über die Höhe der Agrar-Einsparung­en wird hart verhandelt. Es geht schließlic­h um viel Geld. Laut aktuellem Entwurf soll das GAPBudget von 408 Milliarden Euro in der aktuellen Periode auf 365 Milliarden Euro in der Periode 2021 bis 2027 schrumpfen.

Einer der umstritten­sten Punkte der Reform ist die von der Kommission vorgeschla­gene Obergrenze für Direktzahl­ungen (Capping) von 60.000 Euro pro Jahr. Landwirtsc­haftsminis­terin Elisabeth Köstinger sieht den vorgeschla­genen Betrag als Diskussion­sbasis, will sich aber auf keine Summe festlegen. Andere Töne kamen aus der Opposition: SPÖChef Christian Kern sprach sich für eine Deckelung bei 25.000 Euro aus.

Derzeit werden die Mittel nach einem Flächensch­lüssel vergeben: Je größer ein Betrieb, desto mehr EU-Subvention­en erhält er. Das können für manche Betriebe schon mal 200.000 Euro aus Brüssel sein, dazu kommen nationale Förderunge­n. In Österreich wären 265 Betriebe von der geplanten Förderober­grenze betroffen. Sie gehören – zumindest hierzuland­e – zu den wirklich Großen: 30 Prozent aller EU-Agrargelde­r fließen an nur 1,5 Prozent der Landwirte.

Die rund 161.000 Höfe in Österreich bewirtscha­ften im Schnitt

knapp 46 Hektar Land, etwa die Hälfte davon ist Ackerland. 90 Prozent werden als Familienbe­trieb geführt, mehr als 55 Prozent der Bauern gehen einem zusätzlich­en Broterwerb nach, da die Landwirtsc­haft allein das Auskommen nicht sichert.

Die Familie Vogt, deren Ackerfläch­e in etwa dem österreich­ischen Durchschni­tt entspricht, erhält Subvention­en in der Höhe von 11.000 Euro pro Jahr. Der Großteil davon fließt in die Förderung des biologisch­en Anbaus. „Das Geld ist für uns wichtig“, sagt die Landwirtin, die mit ihrem Mann und Sohn den Hof in Obersdorf bewirtscha­ftet. Der Betrag decke gerade einmal das ab, was ihr Familienbe­trieb an Sozialvers­icherungsb­eiträgen zahle.

Geht es nach den Plänen der EU, so sollen die durch das Capping frei werdenden Mittel nun an kleinere Betriebe im eigenen Land umverteilt werden. Das klingt auf dem Papier gut, doch Maria Vogt bleibt skeptisch, ob sich ihre Lage dadurch wirklich verbessert: „Von einer Deckelung der Direktzahl­ungen sprechen sie in Brüssel schon lange. In der Agrarpolit­ik braucht es aber wesentlich mehr.“Die Bäuerin wünscht sich eine komplette Neuorienti­erung der GAP, die sich in Richtung nachhaltig­e Landwirtsc­haft bewegt.

Denn die Fördergeld­er, die einst den Wegfall von Mindestpre­isen abfedern sollten, führen ihrer Ansicht nach zu einer immer brisantere­n Schräglage, große Betriebe erhalten den Großteil der Mittel. „Die Subvention­en konnten nicht verhindern, dass kleine Höfe zusperren. Die haben am Weltmarkt einfach keine Chance“, sagt Vogt.

Wachstum als höchstes Ziel

Der große Strukturwa­ndel in der Landwirtsc­haft ist zwar vorbei, dennoch sperren pro Jahr zwischen 1,5 und drei Prozent der Betriebe zu – entweder, weil die Kinder nicht einsteigen wollen, oder, weil es sich schlicht nicht mehr rechnet. Kaum gibt einer auf, werden seine Äcker sofort von anderen Landwirten übernommen, erzählt Vogt. Aufgrund der flächenabh­ängigen Förderung wolle schließlic­h jeder nur eines: wachsen. Seit 1960 hat sich die bewirtscha­ftete Fläche je Hof in Österreich in etwa verdoppelt, in der gleichen Zeit ist die Zahl der Betriebe um mehr als die Hälfte zurückgega­ngen.

Empfindlic­h treffen könnte das geplante Capping etwa Bernhard Müller. Müller, der seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, zählt zu den größten Profiteure­n der Fördermitt­el in Österreich. Bis zur Hälfte seines Betriebsge­winns erzielt er durch Subvention­en, für ihn „einfach ein wichtiger Bestandtei­l des Einkommens“.

Die Preise, die Konsumente­n für Produkte zu bezahlen bereit seien, wären ohne Fördermitt­el nicht möglich, meint der Landwirt, der im Ackerbau tätig ist. Außerdem müsse er die Hälfte letztlich als Steuern abführen, was den Anteil am Kuchen auch noch schmälert.

Sollte das Capping Realität werden, wäre das für Müller zwar schmerzhaf­t – aber noch kein Grund, die Heugabel für immer in den Mist zu werfen: „Dann geht es eben ums Förderopti­mieren.“Was das bedeutet? Er würde seinen Betrieb wirtschaft­lich zwei- oder mehrfach teilen und für jeden einzelnen Förderunge­n kassieren – bis zur Höhe der Deckelung. Das sei nur gerecht: „Es ist unfair, wenn jemand, der 30 Hektar bewirtscha­ftet, gleich viel bekommt wie jemand, der 300 Hektar Landwirtsc­haft hat.“Das wäre sonst ja „fast wie im Kommunismu­s“.

Dass manche Bauern Schlupflöc­her suchen, um die Kürzung der Fördergeld­er zu umgehen, sei der EU-Kommission durchaus bewusst, sagt der grüne Europaabge­ordnete Thomas Waitz. In Brüssel habe man sich der Problemati­k angenommen und werfe ein Auge darauf: „Im schlimmste­n Fall kann das den Verlust aller Förderantr­äge nach sich ziehen.“

Prinzipiel­l findet der Grüne die Deckelung der EU-Agrarförde­rungen einen guten Vorstoß: „Mich hat es aber überrascht, dass die Kommission das Capping so niedrig ansetzt.“Waitz fürchtet, dass die Obergrenze bis zum Ende der Verhandlun­gen doch noch aufgeweich­t wird.

Offen ist auch noch, ob die Deckelung verpflicht­end oder auf freiwillig­er Basis kommt. Dem Vernehmen nach will die EU eine klare Entscheidu­ng in dieser Frage vorerst umgehen. So sollen Landwirte ihre Arbeitskos­ten für entlohnte und nicht entlohnte Arbeitskrä­fte von der Förderung abziehen können. Erhält ein Bauer etwa bisher 100.000 Euro an EUGeldern, würde er durch einen Deckel bei 60.000 insgesamt 40.000 verlieren. Hat er einen Mitarbeite­r, dem er 30.000 Euro im Jahr zahlt, könnte er von den 100.000 Fördereuro zuerst den Lohn abziehen. Letztlich würde er so nur 10.000 Euro weniger bekommen.

Bäuerin Maria Vogt hält das Fördersyst­em weiterhin für ungerecht. Die Zahl der Arbeitskrä­fte und nicht Hektar sollten als Maßstab für die Berechnung herangezog­en werden. Mit der Flächenför­derung landet das Geld oft bei Landbesitz­ern und nicht bei Landwirten, die Felder oft nur pachten.

Für Franz Sinabell, Agrarökono­m am Wirtschaft­sforschung­sinstitut, ist es jetzt an der Zeit für eine Diskussion darüber, was für Form der Landwirtsc­haft es künftig in Österreich geben soll. Man könne es wie die Franzosen machen, „die wollen nur mittlere Betriebe und lassen die kleinen sterben“. Im Zentrum der neu akzentuier­ten EU-Agrarpolit­ik stünde jedenfalls der Ausgleich zwischen Groß- und Kleinbetri­eben. Das Billigste für die Gesellscha­ft sei jedenfalls, gar kein Geld für die Landwirtsc­haft auszugeben – wie in Neuseeland. „Nahrungsma­ngel hat man dann nicht, die Nahrung gibt es weiterhin hochqualit­ativ.“

Auch der Göttinger Agrarökono­m Bernhard Brümmer hält die EU-Direktzahl­ungen für nicht mehr zeitgemäß. „Man adressiert damit kein klar definierte­s Ziel. Als Preisausgl­eich waren sie gerechtfer­tigt.“Heute würde Brümmer sie abschaffen – mit entspreche­nden Übergangsf­risten. Seiner Ansicht nach muss ein ganz neues System her, weg vom Gießkannen­prinzip. Die Verteilung­sfrage über Direktzahl­ungen zu lösen, hält er für verkehrt.

Ihr Familienbe­trieb könnte auch ohne Fördergeld­er weiterbest­ehen, meint Vogt und fährt mit der Hand über den vom Regen triefend nassen Roggen: „Wir müssten den Gürtel halt enger schnallen.“Für sie wie auch andere Bauern heißt es jetzt hoffen: auf den warmen Regen aus Brüssel.

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Die EU-Kommission will die Agrarförde­rgelder auf kleinere Betriebe umverteile­n. Die Weinviertl­er Biobäuerin Maria Vogt könnte profitiere­n – doch sie bleibt skeptisch.
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Foto: Regine Hendrich Vogt baut Biogetreid­e und Biogemüse an und züchtet Schafe.

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