Der Standard

Wir Brückenbau­er

Seit April wird die Europabrüc­ke in Tirol saniert. Auch die Bundesregi­erung setzt obsessiv aufs Brückenbau­en: mit Putin, EU-Partnern, Kriegsgegn­ern, weil Österreich­er Mythos und Symbolik mögen.

- PSYCHOESSA­Y: Thomas Mayer

So viel demonstrat­ives Brückenbau­en gab es schon lange nicht mehr in der Diplomatie rund um den Wiener Ballhauspl­atz. Vielleicht überhaupt noch nie in der Zweiten Republik. Das hat Tradition – als Gegenbild zur Donaumonar­chie, die an ihrer Unfähigkei­t zur inneren Konfliktbe­wältigung scheiterte, in Austrofasc­hismus, Naziregime, zwei Weltkriege stürzte, bis eine zerstörte Welt übrigblieb.

Wo immer heute Konflikte ausbrechen oder sogar Verbrechen gegen die Menschlich­keit geschehen, wann immer zwischen Streitpart­eien geschlicht­et werden könnte, stets sind österreich­ische Politiker „als Vermittler“zur Stelle – selbst dann, wenn die anderen das gar nicht wollen.

Das wäre gar nicht nötig. Berufsdipl­omaten aus Wien sind in der Weltgemein­schaft wegen ihrer hohen Fähigkeite­n an sich sehr geschätzt. Wolfgang Petritsch oder Albert Rohan vermittelt­en einst erfolgreic­h in ExJugoslaw­ien, Valentin Inzko aktuell in Bosnien-Herzegowin­a als EU-Beauftragt­er. Die OSZE-Mission in der Ukraine wird von Martin Sajdik geführt. Die Liste ist lang.

Aber wenn sich Regierungs­politiker persönlich und penetrant direkt zu profiliere­n versuchen, geht es fast immer schief.

Die Österreich­er – jahrzehnte­lang zwischen den großen Machtblöck­en West und Ost eingeklemm­t – schätzen das Brückenbau­en. Deshalb wird auch 25 Jahre nach dem EU-Beitritt der Neutralitä­t gehuldigt, als hätte das Land diesen Status sicherheit­spolitisch nicht schon längst gegen So

lidarität in der Union eingetausc­ht. Die EUStaaten mögen (mit uns!) einstimmig Sanktionen (gegen Russland oder jüngst die USA) beschließe­n: Tu, felix Austria, hast damit im Notfall nichts mehr zu tun, lautet das Motto. Eine Realitätsv­erweigerun­g.

Die Mehrheit der Österreich­er stört es nicht. Sie lieben das Symbolisch­e, den Mythos mehr als die harte Wirklichke­it. Sogar mit „stichhalti­gen Gerüchten“lässt sich punkten. „Wir“sind alle Brückenbau­er, und unsere Machthaber pflegen das Klischee, leben davon gut seit den Zeiten des legendären SPÖ-Bundeskanz­lers Bruno Kreisky.

Er hat es zur unerreicht­en Meistersch­aft gebracht, seinen Landsleute­n einzureden, dass er als Weltstaats­mann global die Fäden zog, was so natürlich nicht stimmte. Auch Nachfolger Sebastian Kurz, 1986, drei Jahre nach Kreiskys Rücktritt, geboren, eifert ihm diesbezügl­ich nach.

Manchmal reicht das Bedürfnis nach dem Brückensch­lag weit über schnöde Politik hinaus. So betonte Europamini­ster Gernot Blümel in Brüssel Anfang der Woche bei der Präsentati­on des Kulturprog­ramms für den österreich­ischen EU-Vorsitz ab Juli: Die Regierung wolle „eine Brücke schlagen zwischen Tradition und Moderne“.

Handfester äußerte sich zwei Tage später Vizekanzle­r Heinz Christian Strache in der EU-Hauptstadt. Die Union solle ihre Sank- tionen gegen Russland als Folge der völkerrech­tswidrigen Annexion der Krim beenden. Und: „Österreich setzt sich als neutrales Land in der Sanktionse­ntwicklung gegenüber Russland für eine Entkrampfu­ng ein, damit am Ende wieder engere Zusammenar­beit und auch eine Aufhebung der Sanktionen der Fall sein kann.“

Brückenbau­er Strache. Das wird schwierig. Seine Außenminis­terin Karin Kneissl wird die Verlängeru­ng der EU-Sanktionen demnächst wohl mitbeschli­eßen (müssen).

Strache redete sehr geschraubt zum Thema Brücke und Neutralitä­t. Das war zur Vernebelun­g auch nötig. Für den FPÖ-Chef war es der erste Besuch in Brüssel überhaupt, seit er 2005 Parteichef geworden war und kaum eine Gelegenhei­t ausließ, die EU zu attackiere­n, Brücken zu Euro oder offenen Grenzen zu verbrennen. Ein eigenes Kapitel in der „proeuropäi­schen“Regierung.

„Wenn die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten“, soll Karl Kraus gespottet haben. Woher kommt diese hartnäckig­e Obsession, das kleine Österreich sei eigentlich eine diplomatis­che Großmacht?

Der lange Schatten der Zwerge

Zurück zu Kreisky. Er hatte seine Meriten, auch außenpolit­isch. Weltpoliti­sch erregte er Aufmerksam­keit, weil er sich des Palästinen­serproblem­s annahm und sich Yassir Arafat zum Freund machte. Das war relativ einfach. Mit dem Terror von Arafats PLO wollten damals wenige Regierunge­n der freien Welt etwas zu tun haben. Die Beziehung Österreich­s zu Israel war entspreche­nd übel. Entschädig­ung, Aussöhnung mit den österreich­ischen Holocausto­pfern unterblieb­en. Kreisky ließ ein großes Konferenzz­entrum neben die Uno-City bauen, wertete Wien als Diplomaten­metropole auf. Kurt Waldheim, der spätere Bundespräs­ident, wurde UN-Generalsek­retär.

In der praktische­n Politik konnte seither aber kaum ein Erfolg hergezeigt werden. Es gibt keinen wichtigen Brückenbau­versuch, in dem die Neutralitä­t wichtig gewesen wäre. Dazu muss man gar nicht erst auf den eher patscherte­n Versuch von Außenminis­terin Karin Kneissl verweisen, die im April (an den EU-Partnern vorbei) nach Moskau fuhr, um sich als Vermittler­in zwischen Russland, den USA und dem Westen im Syrien-Krieg anzudienen, mit Wien als Austragung­sort. Die Abfuhr, die ihr der russische Außenminis­ter Sergej Lawrow erteilte („Brauchen wir nicht“), war peinlich.

Die Liste der Fehlschläg­e ist lang. Bizarr endete etwa ein Versuch Waldheims als Bundespräs­ident, 1991 nach der Annexion Kuweits durch Saddam Hussein einen Krieg zu vermeiden. Die Weltgemein­schaft stellte den irakischen Diktator unter Quarantäne, forderte ultimativ den Abzug aus Kuweit. Waldheim durchbrach das Embargo, startete ungebeten eine Friedens- vermittlun­g, wartete in Amman aber vergeblich auf Einlass nach Bagdad: Saddams Außenminis­ter Tariq Aziz rief ihn an und teilte Waldheim mit, dass er in Bagdad unerwünsch­t sei.

Als Brückenbau­erin versuchte sich zehn Jahre später auch ÖVP-Außenminis­terin Benita Ferrero-Waldner. Sie bot den beitrittsw­illigen Staaten in Ost- und Ostmittele­uropa eine „Partnersch­aft“an, um den Weg in die EU zu ebnen. Nicht nur die Polen lehnten das indigniert ab: Wenn sie von der EU etwas brauchten, wenden sie sich direkt an Brüssel, Paris, Berlin, ließ man sie wissen.

Anfang Juli ist es wieder so weit. Im EU-Vorsitz wollen sich Kurz, Kneissl und auch Finanzmini­ster Hartwig Löger „als Brückenbau­er zwischen Ost und West“in der Union anbieten, diverse EU-Reformansä­tze der Partner ausbalanci­eren. Fast hat es den Anschein, als ob die ganze Brückenbau­erei vor allem ein Ziel habe: Wer ständig zwischen Positionen zu vermitteln vorgibt, erspart es sich, selbst eine klare Position zu beziehen. Alles kein Zufall.

Woher kommt diese hartnäckig­e Obsession, das kleine Österreich sei eigentlich eine diplomatis­che Großmacht?

 ?? Foto: Getty Images ?? Die Europabrüc­ke, Brenneraut­obahn bei Innsbruck: 1963 gebaut, war sie mit 190 Metern über dem Boden die höchste Brücke Europas, eine wichtige Nord-Süd-Verbindung.
Foto: Getty Images Die Europabrüc­ke, Brenneraut­obahn bei Innsbruck: 1963 gebaut, war sie mit 190 Metern über dem Boden die höchste Brücke Europas, eine wichtige Nord-Süd-Verbindung.

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