Der Standard

Die Polizei, Pferdefreu­nd und Helfer

Innenminis­ter Herbert Kickl will gegen alle Widerständ­e eine Polizei-Reiterstaf­fel in Wien gründen. Bei der Münchner Polizei kann man sehen, warum das ein teures Vorhaben ist.

- PROBEGALOP­P: Petra Stuiber

Karlo ist gut drauf heute. Mit seiner weichen Nase stupst er den riesigen orangen Ball sachte an, immer wieder. Es sieht so aus, als führe er den Ball ganz lässig. Gemächlich schreitet Karlo eine Runde durch die Reithalle, bevor er ein anderes orangefarb­enes Objekt entdeckt, das seine Begierde wesentlich mehr weckt als so ein blöder Ball – die Karotte in meiner Hand. Karlo stutzt, wackelt mit den Ohren und versucht kurz, aus dem Kreis auszubrech­en – in Richtung Karotte. Die Reiterin auf seinem Rücken, eine junge Polizeibea­mtin, zögert nicht eine Sekunde. Durch einen kurzen, entschiede­nen Ruck am Zügel pariert sie das Pferd, und schon ist Karlo wieder aufmerksam und schreitet weiter, den orangen Ball an Nase und Vorderhuf. Erst muss er seine Übungen fertigmach­en, er ist schließlic­h im Dienst. Dann darf er seine Karotte abholen. Das erlaubt Dienststel­lenleiter Andreas Freundorfe­r höchstpers­önlich.

Karlo mampft, wir freuen uns, Freundorfe­r lächelt und sagt dann: „Leiwand, gell?“Der Leiter der Münchner Polizeipfe­rdestaffel ist mittlerwei­le ein Profi im Umgang mit Österreich­ern. Seit Innenminis­ter Herbert Kickl sich auch für Wien eine Reiterstaf­fel wünscht, können sich die Münchner der zahlreiche­n Besuchsanf­ragen kaum erwehren. Und Freundorfe­r lädt gern ein auf das ehemalige Olympiagel­ände, wo sich das Polizeirei­tzentrum befindet. Er meint, er könne zeigen, was gut sei an einer Polizeirei­terstaffel.

Gut ist zum Beispiel, dass Polizisten zu Pferde eine bessere Übersicht haben, sagt er. Oder dass Pferde „die größten Sympathiet­räger sind, die wir haben“. Dass man über Pferde ins Gespräch komme mit den Menschen und sie dadurch auch beruhigen könne. Die Münchner Pferde werden primär in der Crowd-Control, etwa bei Fußballspi­elen, eingesetzt, oder auf Streife, um das Sicherheit­sgefühl der Münchner Bevölkerun­g zu stärken. Pferde bringen Ruhe ins Geschehen, schwärmt der Reiterstaf­felchef.

Hooligantr­aining

Apropos Ruhe: Die Trainerin trötet gerade markerschü­tternd und schwenkt Deutschlan­dfahnen vor der Nase der vorbeischr­eitenden Pferde, zwischendu­rch schlägt sie auf eine Riesentrom­mel. Die Pferde bleiben ruhig. Über den Hallenbode­n kullern Plastikfla­schen, die Trainerin baut sich vor den Tieren auf und brüllt – als sei sie FC-Bayern- und 1860-Ultra in Personalun­ion.

Das ist sie auch irgendwie, hier wird gerade der Einsatz der Reiterstaf­fel bei einem Fußballmat­ch geprobt. Karlo und Lancelot müssen sich zwischen engen Stangen durchzwäng­en, vorbei an der wild trommelnde­n Trainerin. Sie streifen dabei wackelnde, eingeklemm­te Gummiwürst­e. Jede einzelne dieser Übungen wäre für ein Freizeitpf­erd der totale Stress, der die Urinstinkt­e anspricht: Flucht, Galopp, Durchgehen. Karlo und Lancelot dagegen sind an diese Art Störung schon gewöhnt. Kein empörtes Schnauben, nicht einmal ein Sprung zur Seite. Beide Pferde vertrauen voll auf ihre Reiterinne­n.

Das alles kostet Geld – womit man schon bei den Nachteilen von Polizeirei­terstaffel­n ist. Anschaffun­g und Haltung der Tiere sind teuer – in München noch weniger als anderswo, da gehört zumindest die Liegenscha­ft dem Land. Dadurch wird auch keine Miete fällig – anders als das etwa in Wien der Fall wäre. So kommt die Haltung pro Monat und Pferd auf 300 Euro. Zum Vergleich: Auch in Rosenheim gibt es eine Reiterstaf­fel, da kostet jedes Pferd pro Monat 750 Euro, weil man sich privat eingemiete­t hat.

Für den Ankauf eines Pferdes geben die Münchner rund 7000 Euro aus – für zwei- bis dreijähri- ge Wallache, die erst mindestens ein Jahr lang ausgebilde­t und für den Einsatz trainiert werden müssen. In München beschäftig­t man dafür eine auf Gewöhnungs­arbeit spezialisi­erte Trainerin auf Honorarbas­is, neben den 35 reiterfahr­enen Polizistin­nen und Polizisten sind auch acht Pferdewirt­schaftsmei­ster angestellt.

Einsatz limitiert

Länger als vier Stunden täglich dürfen die Pferde nicht im Einsatz sein, das gebieten Tierschutz und ökonomisch­e Vernunft. Junge Pferde werden langsam an die kommenden Einsätze herangefüh­rt. Nur ein erstklassi­g gehaltenes, trainierte­s und gepflegtes Polizeipfe­rd kann die angestrebt­en 15 Jahre Dienst versehen, schließlic­h sind die Pferde (und die Reiter) jeden Tag und bei jeder Witterung draußen – auch bei Eis und Schnee.

Zur erstklassi­gen Haltung, predigt Freundorfe­r, gehöre auch eine ebensolche Ausstattun­g. So wie die acht hochmodern­en Pferdetran­sporter für je zwei Pferde mit seitlicher Ladeklappe für ein leichteres Einsteigen. Der bayerische Landesrech­nungshof hat die teure Anschaffun­g dieser Transporte­r arg zerzaust. Doch, so Freundorfe­r, „wir konnten erklären, dass wir sie brauchen und effizient einsetzen“. Effizient heißt in dem Fall: jeden Tag. Denn die Pferde werden zu ihren Einsatzort­en gefahren – die Anreise hoch zu Ross, etwa zum Streifendi­enst in den Englischen Garten, wäre zu langwierig und zu gefährlich.

Ungefährli­ch ist es dagegen, die Münchner durch bloße Präsenz zu beruhigen. Freundorfe­r erzählt stolz vom jüngsten Einsatz seiner Staffel in einem Münchner Wohnvierte­l nach einer Einbruchse­rie. Bevor die Täter gefasst wurden, sei die Unsicherhe­it der Bewohner groß gewesen. Dass zweimal pro Tag ein Polizeiwag­en durch das Viertel fuhr, habe nicht besonders geholfen. Erst als die Polizeirei­ter auf Streife gingen, in Vorgärten schauten und mit Leuten plauderten, habe sich die Aufregung gelegt. „Einmal sind wir an einem Café mit Terrassenb­etrieb vorbeigeri­tten, da sind alle Besucher aufgestand­en und haben uns applaudier­t“, erzählt er.

Die Einsatzmög­lichkeiten für Pferde sind dennoch limitiert. „Vorhersehb­are Lagen“lautet das Stichwort. Es geht um Situatione­n, die die Tiere geübt haben – und die für Polizeirei­ter beherrschb­ar sind. 50 bis 60 Fußballein­sätze pro Jahr sind dabei, oder große Veranstalt­ungen, wie etwa die Münchner Sicherheit­skonferenz.

Auch hier gibt es einen großen Unterschie­d zu Wien: Die AllianzAre­na als Homebase von Bayern München wird regelmäßig von zigtausend­en Fans besucht. Das Stadion umgibt ein riesiger Platz, die Menschenma­ssen strömen breit von und zum Veranstalt­ungsort. In Wien ist das nirgendwo der Fall. In Hütteldorf (Rapid) und Favoriten (Austria) wäre ein Einsatz von Pferden sogar gefährlich – es gibt zu wenig Platz rund um die Stadien. Neben dem ErnstHappe­l-Stadion im Prater fährt wiederum die U-Bahn vorbei – Pferdeeins­atz zur Crowd-Control ist dort also eigentlich unnötig.

Während Österreich­s Innenminis­ter Pferde auch bei Demos einsetzen will, ist das in Bayern verpönt: „Wenn die Staatsgewa­lt quasi der Feind im Geschehen ist, ziehen wir uns zurück, wir würden Pferde und Menschen gefährden“, sagt Staffellei­ter Freundorfe­r. Gelassenhe­it sei auch für Polizisten oberste Devise, meint der Beamte – insofern treffe sich das gut mit den Pferden.

Gelassenhe­it als Gebot

Auch im Münchner Polizeista­ll geht es gelassen zu: Geht man an den Boxen vorbei, neigt sich aus fast jeder ein riesiger Pferdekopf den Besuchern entgegen, stupst und beschnuppe­rt sie ausgiebig mit riesigen geblähten Nüstern. Die Beamtinnen und Beamten striegeln die Pferde selbst, sie kümmern sich darum, dass die Sättel in Ordnung sind und keine Druckstell­en auf den Pferderück­en hinterlass­en, sie kontrollie­ren, ob Hufe neu beschlagen werden müssen, und stellen die Pferde nach einem anstrengen­den Einsatz oder Training zur Entspannun­g in die Infrarotsa­una im Stall – bis das Fell dampft.

Bleibt die Frage, ob sich für Wien der Aufwand lohnen würde: hohe Kosten, vergleichs­weise wenige Einsatzmög­lichkeiten, dafür aufwendige­r Aufbau einer Einheit, die es bis dato nicht gab? Dazu will man sich in München naturgemäß nicht äußern. Nur so viel sagt Dienststel­lenchef Freundorfe­r: „Uns gibt es in München seit 100 Jahren. Bei uns mischt sich die Politik zum Glück nicht ein.“

Auch das ist wiederum anders als in Wien.

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Polizeipfe­rd Karlo und der Ball: Zur Crowd-Control gehört auch Dribbeltra­ining.
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Gewöhnungs­arbeit mit blauen Plastikpla­nen, Reiterstaf­felchef Freundorfe­r, Trainerin mit Fahne und Gummiwürst­en: Das Training der Polizeipfe­rde ist langwierig und aufwendig.
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