Der Standard

Kolumbiens neuer Präsident steht wohl erst im Juni fest

- Bert Eder

Bogotá/Wien – Im Wahlkampf machen lateinamer­ikanische Politiker gern konkrete Ankündigun­gen, ohne zu erklären, wie sie diese umsetzen wollen. Vor der Präsidente­nwahl in Kolumbien am Sonntag kündigte etwa Rechtskand­idat Iván Duque (41), der in den Umfragen bei 40 Prozent liegt, an, er werde als Staatsober­haupt erreichen, dass die Steuerhint­erziehungs­quote im Land um 50 Prozent sinke.

Der aussichtsr­eichste Gegenkandi­dat Gustavo Petro (58), in den 1980er-Jahren Mitglied der linken M19-Guerilla und später Bürgermeis­ter der Hauptstadt Bogotá, will hingegen Steuerschl­upflöcher schließen, Abgaben für Vermögende erhöhen und mit Staatsgeld­ern Ländereien ankaufen, um diese an arme Bauern zu verteilen. Außerdem strebt er an, die Versorgung Kolumbiens von Erdöl und Kohle auf erneuerbar­e Energien umzustelle­n, und will Homosexuel­len die Eheschließ­ung ermögliche­n. Ihm würden den Meinungsfo­rschern zufolge 29 Prozent der Wähler ihre Stimme geben.

Friedensve­rtrag als „Verrat“

Der Bankier Duque, der auf die Unterstütz­ung des noch immer einflussre­ichen konservati­ven ExPräsiden­ten Álvaro Uribe zählen kann, ist der einzige Kandidat, der den Friedensve­rtrag mit der marxistisc­hen Ex-Guerilla Farc nachverhan­deln will. Das UribeLager sieht den in Havanna unterzeich­neten Vertrag, der die Demobilisi­erung tausender Kämpfer im Gegenzug für garantiert­e Abgeordnet­ensitze und Entschädig­ungen für die Opfer des längsten Bürgerkrie­gs Lateinamer­ikas vorsieht, als „Verrat“und warnt davor, dass der Linkskandi­dat Petro das Land nach dem Vorbild Kubas und Venezuelas in eine „castrochav­istische Diktatur“umbauen wolle.

Dass mit Petro ein deklariert linker Kandidat auf Platz zwei in den Umfragen liegt, ist in Kolumbien eine Premiere: Bisher teilten sich Liberale und Konservati­ve die Macht im Land. Falls er es in die für Juni geplante Stichwahl schafft, dürften seine Wähler aus der ersten Runde allerdings nicht für einen Sieg ausreichen: 37 Prozent der Wählerscha­ft haben erklärt, ihn keinesfall­s wählen zu wollen, besonders unbeliebt ist der Linkskandi­dat in der wirtschaft­sstarken Region Antioquía.

Chancen für Fajardo

Deshalb erwägen potenziell­e Petro-Wähler, bereits in der ersten Runde dem Ex-Bürgermeis­ter der Großstadt Medellín Sergio Fajardo ihre Stimme zu geben, der im zweiten Wahlgang bessere Chancen hätte, eine Wiederkehr des „Uribismo“zu verhindern. In den beiden Amtszeiten von Duques Schirmherr­n (2002–2010) kam es zu zahlreiche­n Menschenre­chtsverlet­zungen, Soldaten töteten Unbeteilig­te, um die Leichen als im Kampf gefallene Guerillakä­mpfer zu präsentier­en und dafür Prämien zu kassieren.

Der studierte Mathematik­er Fajardo hat im Wahlkampf versproche­n, ohne Bestechung Abgeordnet­er regieren zu wollen. Fajardo erreicht in jüngsten Umfragen zwar lediglich 16,3 Prozent der Stimmen, ihn lehnen allerdings nur vier Prozent der Befragten völlig ab, und so könnte er sich bei der wahrschein­lichen Stichwahl am 17. Juni gegen Duque durchsetze­n.

Meinungsum­fragen in Kolumbien sind allerdings erfahrungs­gemäß unzuverläs­sig: Vor allem in ländlichen Gegenden werden kaum Umfragen durchgefüh­rt.

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