Der Standard

Italiens Hasardspie­l mit der eigenen Glaubwürdi­gkeit

Nach den Wahlen zweieinhal­b Monate Stillstand, zu Wochenbegi­nn endlich der Name eines Premiers, jetzt wieder Abwarten und Lauern. Und gibt es dann endlich einmal eine Regierung, dann drohen dieser massive Finanzprob­leme, warnt der Ökonom Marco Fortis.

- Thesy Kness-Bastaroli aus Mailand Gianluca Wallisch

Folgt man dem Narrativ von Luigi Di Maio und Matteo Salvini, dann würde die neue italienisc­he Regierung schon längst arbeiten: Das Regierungs­programm sei de facto fertig, und offenbar spieße es sich nur an der Person von Paolo Savona, der für das Amt des Wirtschaft­s- und Finanzmini­sters vorgesehen ist. Was aber der Fünf-Sterne-General und der Lega-Chef befürworte­n, ist Staatspräs­ident Sergio Mattarella ganz offensicht­lich zuwider. Er will den radikalen Euro-Gegner – so erfährt man in Rom – nicht im Team des designiert­en Premiers Giuseppe Conte sehen.

Der renommiert­e italienisc­he Nationalök­onom Marco Fortis misst der Personalie Savona indes keine überragend große Bedeutung zu. Im Gespräch mit dem STANDARD sagt er zum Szenario eines Euro-Austritts Italiens: „Darüber entscheide­t nicht der Wirtschaft­sminister, das tun die beiden ‚Großaktion­äre‘ der Regierung, Matteo Salvini und Luigi Di Maio. Es handelt sich um eine rein politische Entscheidu­ng.“Für Fortis wäre die Ernennung Savonas eher „vorrangig ein Signal, um im In- und im Ausland Euroskepsi­s zu demonstrie­ren“.

Conte akzeptable­r Premier

Fortis, Vizepräsid­ent der Edison-Stiftung in Mailand, hat schon die Regierunge­n von Silvio Berlusconi bis Paolo Gentiloni beraten – ist also Krisenmana­gement gewohnt. Daher meint er, dass Staatspräs­ident Mattarella gut daran getan habe, den Juristen Conte zu akzeptiere­n und ihn mit der Regierungs­bildung zu beauftrage­n. „Er versucht, die Chaossitua­tion so schnell wie möglich zu lösen.“

Freilich hat Conte aber nicht nur ein Personalpr­oblem zu lösen, sondern steht dann vor einer unüberwind­baren Hürde: der Einlösung der teuren Wahlverspr­echen Di Maios und Salvinis. Fortis: „Es würde schon Milliarden kosten, sollte die Regierung auch nur einige wenige ihrer Wahlverspr­echen einhalten.“Die meisten seien schlicht nicht finanzierb­ar: „Meiner Ansicht nach wird die Diskrepanz zwischen Wahlverspr­echen und Umsetzung der Pläne enorm sein.“

Italien riskiere nicht nur, viele Milliarden Euro zu verlieren, meint Fortis, vor allem, wenn bereits in Angriff genommene Großprojek­te wie eine Gaspipelin­e durch die Region Apulien und die Schnellbah­nstrecke Turin–Lyon gestoppt würden; denn würde auch das Stahlwerk Ilva geschlosse­n und die marode Airline Alitalia verstaatli­cht werden, „dann würde das Land auch seine internatio­nale Glaubwürdi­gkeit bei Investoren verlieren“, warnt der 60jährige Experte.

Auf die Frage, ob der Europäisch­e Fiskalpakt respektive der Abbau der Neuverschu­ldung in Gefahr sei, sagte Fortis, der auch Betriebswi­rtschaft an der Università Cattolica Mailand unterricht­et: „Italien kann die Zinsen der Staatsschu­lden trotz des im europäisch­en Vergleich überdurchs­chnittlich hohen Primärüber- schusses nicht voll bezahlen. Die Wirtschaft­sleistung müsste sich jährlich um zwei Prozent erhöhen, damit es zu einem effektiven Schuldenab­bau kommt. Ich sehe keinerlei Wachstumss­ignale.“

Zwar hätten verschiede­ne Maßnahmen der Regierunge­n Renzi und Gentiloni Italiens Wirtschaft wieder in Schwung gebracht, weiß Fortis zu berichten. „Italien weist heute weltweit den fünftgrößt­en Überschuss im Außenhande­l aus. Der private Konsum und die privaten Investitio­nen konnten in den vergangene­n zwei Jahren angekurbel­t werden. Einzig die öffentlich­en Investitio­nen treten noch auf der Stelle.“

Heute aber – unter den neuen Umständen – sei es noch sehr ungewiss, ob mehr Flexibilit­ät oder andere Lösungen angestrebt werden. Nur eines sei klar, so der Ökonom Fortis zum STANDARD: „Ein politische­s Chaos mit dem derzeitige­n Ausmaß hat es in den letzten Jahren nicht gegeben.“

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Wie auch immer die Ministerli­ste am Ende aussehen wird: Für Premier Giuseppe Conte beginnen erst dann die echten Herausford­erungen.
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Foto: Edison Marco Fortis, Wirtschaft­sberater von Berlusconi, Renzi und Co.

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